Eine Altbauwohnung in München Haidhausen, vierter Stock. Ein weicher roter Teppich führt vom Wohnzimmer bis in die Diele direkt vor einen silbergerahmten Spiegel. 7,5 Meter lang. Den Teppich einmal entlang und dann weiß Edeltraud Breitenberger eigentlich schon, woran es hakt. Ob man zum Beispiel Typ Breitbein oder Typ Klappmesser ist. Wenn man Typ Klappmesser ist, dann neigt man seinen Oberkörper beim Laufen leicht nach vorne und streckt den Popo ein bisschen nach hinten raus. Typ Breitbein dagegen geht – nun ja – breitbeinig und schwingt dabei den Oberkörper von rechts nach links. Typ Lineal versteift sich, dann wäre da noch Typ Rundrücken, erklärt sich auch von selbst.
Wie man vom Typ Klappmesser zu Typ Königin werden kann
Edeltraud Breitenberger, rotes Etuikleid, rote Pumps, ist Typ Königin. Typ Königin läuft elegant, dynamisch, aufrecht, eben so, als ob sie eine Krone auf dem Kopf hätte, und als ob sie das Laufen einst mit High Heels in Highgrove oder einem anderen hübschen Schlösschen gelernt hätte. Typ Königin schwingt ein bisschen die Hüfte, knickt nicht um und klagt nicht. Typ Königin lächelt fein. Wie man von Typ Klappmesser zu Typ Königin werden kann, erklärt Breitenberger in Workshops und Einzeltrainings ihren Klientinnen. „Gehen auf hohem Niveau“ hat die High-Heel-Trainerin als Slogan auf ihrer Website stehen. Und gleich noch so ein griffiger Satz der Münchnerin: „Wer auf hohen Absätzen elegant gehen kann, kann auch auf flachen Absätzen elegant gehen. Das ist ein großer Benefit.“ Umgekehrt stimmt das nicht.

Während Corona und auch noch danach hat sich Edeltraud Breitenberger gefragt, ob das mit ihrer Idee so weiterlaufen wird. An allen Frauenfüßen plötzlich Sneaker oder glitzernde Birkenstock-Sandalen. „Haben wir uns von den High Heels verabschiedet?“, fragte der Sender CNN in einem Beitrag. Die Barbiepuppe schaute im gleichnamigen Film verdutzt auf ihre plötzlich flachen Füße, schlüpfte sofort in die gemütliche Sandale.
Und der Economist vermeldete aus der Hauptstadt der Mode, dass auch da die Bequemlichkeit Einzug gehalten habe: „Das einst vertraute Klicken der Stilettos auf dem Kopfsteinpflaster weicht der Stille der Gummisohlen.“ Selbst die Französinnen hätten nämlich keine Lust mehr auf hochhackige Schuhe und schmerzende Füße. Laut einer Umfrage wisse fast die Hälfte ohnehin nicht, wie man auf hohen Absätzen läuft. „Was ist hier los?“, fragte die Zeitung.
Gerade eben schreitet Carrie Bradshaw auf hohen Absätzen wieder durch New York
Nix Besonderes ist los, lautet die Antwort zwei Jahre später. Die Sneaker sind immer noch da, die hohen Absätze aber nicht wirklich weg. Vielleicht vom Kopfsteinpflaster, aber nicht vom Parkett. Die High-Heels-Industrie vermeldet nach einer Umsatzdelle wieder steigende Absätze. Von wegen Auslaufmodell. „Totgesagte laufen länger“, steht in der Neuen Zürcher Zeitung. Es klickt und klackert auch wieder auf den Laufstegen. Und gerade eben schreitet Carrie Bradshaw in der neuen Staffel des Sex-and-the City-Ablegers „And Just Like That“ durch New York. Typ Königin natürlich. Und ja, auch bei Edeltraud Breitenberger in München läuft es … „Ich werde gefunden“, sagt sie.

Wer alles schon über ihren roten Teppich gelaufen ist: Bräute, viele Bräute. Bräute und deren Freundinnen, Bräute und deren Mütter. Freundinnen. Abiturientinnen vor dem Ball. Businessfrauen aus allen Branchen. Männer. Transfrauen. Frauen vor einem Vorstellungsgespräch. Ihre älteste Kundin war Mitte siebzig. Sie fragt immer vor Beginn, was sich die Teilnehmerinnen von den nächsten Stunden wünschen. Elegant auf hohen Absätzen gehen, selbstsicher, ohne sich Gedanken zu machen, ohne Schmerzen. Das sind die typischen Antworten, die sie hört, oder: „Dass nicht jeder schaut.“ Wobei da antwortet Edeltraud Breitenberger dann: „Wenn man es kann, dann schaut jeder. Und wenn man es nicht kann, auch.“

Den Satz hätte vermutlich auch Marilyn Monroe unterschrieben. Sie hat so einiges über Schuhe gesagt. Zum Beispiel. „Gib einem Mädchen die richtigen Schuhe – und es kann die Welt erobern.“ Monroe versuchte es auf spitzen Modellen von Salvatore Ferragamo, 11 Zentimeter Absatz. Um die vierzig Paar hat der italienische Schuhkünstler für den Hollywoodstar kreiert. Sie wisse nicht, wer die High Heels erfunden habe, aber alle Frauen verdanken ihm viel. Noch so ein Zitat, das Marilyn Monroe zugeschrieben wird. Würde sie heute vermutlich aber nicht mehr so sagen. Der Satz hat einen Touch. Als ob High Heels eine Art Gottesgeschenk wären, um das Frauenbein noch besser in Szene zu setzen, ein bisschen länger, eleganter, schicker zu machen, für mehr Sex-Appeal, und als ob es nicht die exakt gegenteilige Meinung gäbe: Nämlich, dass dieser Schuh direkt aus der Hölle kommt – Teufelszeug, geschaffen, um Frauenfüße zu martern. Oder um die Frauen zum Stehenbleiben zu zwingen, wie die Feministin Alice Schwarzer einmal mutmaßte, derweilen bräuchte es doch Schuhe zum Davonlaufen.
Aus Protest zog Kristen Stewart die Schuhe aus – schwarze Louboutins
Das Teufelszeug wird mittlerweile immerhin meistens freiwillig getragen. Auch bei den Festspielen in Cannes, wo vor einigen Jahren noch – im „Übereifer“, wie der Festivalchef damals betonte – das Personal einige Gäste abwies, die nicht die erforderliche Absatzhöhe vorweisen konnten. Aus Protest gegen das ungeschriebene Gesetz zog die Schauspielerin Kristen Stewart dann 2018 auf dem roten Teppich ihre hohen Schuhe aus und lief barfuß weiter. Schwarze Louboutins, leicht erkennbar an der karmesinroten Sohle.

High Heels seien „pleasure with pain“, sagt deren Designer Christian Louboutin. Glücksgefühl, gepaart mit Schmerz. Der beginnt laut einer Umfrage des britischen „College of Podiatry“ durchschnittlich nach einer Stunde, sechs Minuten und 48 Sekunden. Deswegen schließlich die Wechselschuhe in den Handtaschen … Wobei manchen Frauen offenbar schon nach zehn Minuten die Füße wehtun, manchen erst nach Stunden. Einigen angeblich nie. Das angeblich ist an dieser Stelle ein wenig gemein. Es unterstellt, dass die Frauen nicht ganz ehrlich sind, auf schmerzunempfindliche Supersexywomen machen. Die sie aber womöglich ja auch sind. Die Schauspielerin Eva Longoria sagt, sie als Latina sei mit High Heels geboren. „Wir können damit Grenzen überqueren und vor der Einwanderungsbehörde fliehen …“ Damit aber zu der Frage: All die Frauen, die mit den schmerzenden Füßen, warum tun die sich das eigentlich an? Wegen des pleasures? Weil dann jeder schaut?
Der Professor drückt es einfach aus: „Hohe Absätze machen eine Frau schöner“
Vor ein paar Jahren schickte ein französischer Soziologe junge Frauen für ein Experiment los. Manche trugen flache Schuhe, andere mittelhohe und einige wiederum ganz hohe Schuhe. Die Frauen ließen dann vor Männern einen Handschuh fallen. Fast schon überraschend half ab und an auch ein Mann den Frauen mit flachen Absätzen. Der Professor fasste seine Studienergebnisse in folgendem Satz zusammen: „Einfach ausgedrückt: Hohe Absätze machen eine Frau schöner.“ Wenn man etwas einfach ausdrückt, klingt es manchmal platt. Aber ist natürlich deswegen nicht falsch. Es gibt andere Studien und Umfragen zu dem Thema, die aufs Gleiche hinauslaufen. In einer schon etwas älteren Umfrage des Magazins Mens Health gaben 94 Prozent der Männer an, Frauen in High Heels sexy zu finden, vor allem weil ihr Gang dann erotischer werde. Wobei fast ebenso viele, nämlich 88 Prozent, erklärten, wenn eine Frau darin nicht laufen könne, solle sie es lieber sein lassen. Auch ein wenig gemein. Man denkt dann gleich an die armen angehenden Models von „Germany’s Next Topmodel“, die vor Kurzem bei Heidi Klum über einen Laufsteg voller Legosteine laufen mussten. Die meisten staksten wackelig wie frischgeborene Gazellen.

Was aber sagen Frauen? Ein paar Zitate, nicht ganz zufällig ausgewählt.
Schauspielerin Meg Ryan: „Wenn ich High Heels trage, habe ich einen großen Wortschatz und spreche viel eloquenter.“
Politikerin Theresa May: „Ich glaube in High-Heels kann ich besser denken.“
Designerin Victoria Beckham: „In flachen Schuhen kann ich mich nicht konzentrieren.“
Es geht also auch um den Kopf. Auf dem die Krone sitzen sollte. Zurück zu Edeltraud Breitenberger nach München. Wie wird man zur Gehtrainerin? Breitenberger ist als Stewardess um die Welt geflogen, sie war begeisterte Tangotänzerin, sie hat als Körpertherapeutin gearbeitet. So jemand muss schon mal gut laufen können. Die Idee zum Workshop kam ihr auf Jamaika, als sie eine Hochzeitsgesellschaft beobachtete: die Braut, wunderschön, spektakuläres Kleid, wackeliger Gang. In solchen Fällen könnte ich helfen, dachte Breitenberger. 2009 startete sie ihren ersten Kurs an der VHS München. „Gesund und elegant auf höheren Absätzen gehen.“ Der erste Schritt. Dann kamen die Workshops, für die sie einen eigenen Raum anmietet. Mittlerweile gibt es auch ein Buch von ihr. „Dein starker Auftritt. Elegant, selbstbewusst und gesund gehen von Sneakers bis High Heels“, herausgegeben im Eigenverlag.
Nichts geht über eine glückliche Wirbelsäule, sagt die Gehtrainerin
Die Gehtrainerin hat jetzt eine schwarze Schürze angezogen, auf der vorne ein Skelett abgebildet ist. Wenn sie darin vor den Teilnehmerinnen einmal kurz auf- und abläuft, geht es ihr darum zu zeigen, was beim Gehen eigentlich alles locker in Bewegung sein sollte. Die Beine, das Becken, die Schultern. Die ganze Wirbelsäule nämlich. „Dann werden auch die Bandscheiben mit Flüssigkeit versorgt.“ Nichts geht über eine glückliche Wirbelsäule, sagt Breitenberger.
Nur der Kopf sollte natürlich nicht wackeln. Sie fordert in ihren Kursen „Mut zum Doppelkinn“. Dann schaut man nicht arrogant in die Höhe, aber auch nicht stiernackig nach vorne oder in Smartphonehaltung nach unten. Sie könnte auch sagen: „Verbinde dein Kinn mit dem Brustbein.“ Aber daran erinnere man sich doch nicht so gut. Und noch so ein schöner Merksatz von Edeltraud Breitenberger: „Die Brust betritt zuerst den Raum.“ Sie meint damit nicht, dass Frauen den Busen übertrieben nach vorne strecken sollen. Was sie ja aber beobachtet, ist das Gegenteil: Dass nämlich Frauen ihre Brust oft unbewusst verstecken, den Rücken rund machen…
Jetzt wieder zu den Schuhen. Edeltraud Breitenberger holt ein paar an den Tisch. Stiefeletten, Pumps, Stilettos … „Wenn der Fuß sich mit dem Schuh verbinden kann, dann ist schon mal viel gewonnen“, sagt sie. Auf keinen Fall dürfe man zu groß oder zu klein kaufen. Man kennt dieses Problem aus dem Märchen. Bei Aschenputtel hackt sich die eine Schwester den Zeh ab, die andere skalpiert ihre Ferse, aber so klappt das natürlich nicht mit der Verbindung.
Frauen mögen ihre Füße nicht unbedingt. Frauen mögen ja ihren ganzen Körper nicht unbedingt. Selbst die Füße sind unter Schönheitsdruck. Zu dick, zu dünn, zu lang, zu kurz, zu knubbelig. Die Schuhe aber sind perfekt?
„Schauen Sie“, sagt Edeltraud Breitenberger und hebt eine schwarze Stiefelette in die Höhe, Absatz neun Zentimeter: „Ein Fehlkauf. Gerader Absatz, keine Abrollhilfe. Der platscht beim Gehen, kein schöner Sound.“ Die nächste schwarze Stiefelette wird hervorgeholt: „Dieser Schuh dagegen, 8,5 Zentimeter, schmaler Absatz, aber der geht nach innen. Viel bequemer.“ Und noch ein Schuh, High Heel, beige und schwarz, 11 Zentimeter. „Sehr lange Schuhspitze, die ist bei jedem Schritt im Weg. Absatz direkt an der Fersenkante, da ist technisch schon gar kein eleganter Gang möglich.“ Die Kundin hatte den Schuh für die Hochzeit ihrer Tochter gekauft, ihn dann gleich dagelassen.
„Ich bin zehn Zentimeter größer. Das macht was“, sagt die Schuhdesignerin
Anruf jetzt bei Gaby Wurth, Schuhdesignerin aus dem badischen Ettenheim. Gaby Wurth hat jahrelang in der Pharmabranche gearbeitet. Morgens rein in die hohen Schuhe, abends wieder raus. „Ich werde ja ganz anders wahrgenommen, als wenn ich zum Beispiel in Sneakers daherkomme. Ich habe einfach eine aufrechtere Haltung und bin zehn Zentimeter größer. Das macht was.“ Um solch einen Tag durchzustehen, sagt Wurth, braucht man trainierte Muskeln. Und gute Schuhe. Keine, die drücken, die Blasen machen, die die Zehen quetschen. Arbeitsschuhe! Sie hat noch die Worte ihres Großvaters im Ohr, ein Schuhmacher: „Ein Schuh muss aus Leder sein und passen.“ Wenn er mit ihr als Kind zum Schuhkauf ging, musste sie im Laden erst einmal auf- und ablaufen. Steht der Fuß stabil im Schuh? Darauf habe der Großvater geachtet, sonst wurde nicht gekauft: „Da gab es keinen billigen Pling-Pling-Plastikschuh in Rosa.“

Weh tun können aber auch Schuhe aus feinstem Leder. „Mit dem Tragekomfort ist es bei High Heels immer ein bisschen schwierig“, sagt Gaby Wurth. Und als leidenschaftliche Absatzträgerin habe sie wirklich vielen Schuhen eine Chance gegeben. Wie viele? „Oh Gott, wollen sie das wirklich wissen?“ Vier- bis fünfhundert Paare stehen zu Hause. Sneakers, Lauf- und Skischuhe eingerechnet.
Wurth glaubt, die Sache mit dem fehlenden Tragekomfort liegt auch an den Männern. „Gehen sie die großen Namen doch einmal durch. Sergio Rossi, Manolo Blahnik, Christian Louboutin, Salvatore Ferragamo … alles Männer.“ Beurteile nie einen Menschen, bevor du nicht mindestens einen halben Mond lang seine Mokassins getragen hast, lautet ein indianisches Sprichwort. Um High Heels zu beurteilen, müsste man sie vermutlich zumindest einen halben Tag tragen. Machen das Schuhdesigner?
Das Problem an größeren High Heels – sie sind nur die Länge gezogen
Gaby Wurth sagt, das Problem ist folgendes: „Nehmen Sie zum Beispiel einen Manolo Blahnik Größe 35. Ein superschöner Schuh mit einer ganz tollen Leiste für diese Größe. Wenn sie aber Schuhgröße 38 oder 39 haben, dann ist der Schuh einfach nur in die Länge gezogen. Ein viel zu schmaler Prinzessinnenschuh, ein normaler Fuß passt da eigentlich gar nicht rein.“ Auf die Leiste aber kommt es an, damit der Fuß optimal das Gewicht verteilen kann. Also nicht alles auf den Vorderballen. 2022 besuchte sie mit ihrem Bruder, ebenfalls Schuhbranche, eine familiengeführte Schuhmanufaktur in der Nähe von Venedig. Sie hatte einen klassischen Stiletto dabei: vorne spitz, zehn Zentimeter Absatz. Den hat sie dort vor lauter Männern auf den Tisch gestellt und gefragt: „Diesen Schuh hätte ich gerne in bequem.“ So breit, dass man nicht die Zehen zusammenkneifen muss. So geformt, dass auch Gewicht auf der Ferse liegt.
Mit der Leiste ist sie zu einem Aschaffenburger Sportschuhhersteller gefahren. Der Dämpfung wegen. „Weil ein Sprinter, der rennt ja auch auf dem vorderen Ballen, der braucht eine gute Dämpfung.“ In Aschaffenburg haben sie für die schöne Leiste eine Sportfunktionssohle entwickelt. So begann das mit den Gloriellas, ihrer eigenen High-Heels-Marke, die sie seit 2023 online und in Pop-up-Stores vermarktet. Vor zwei Jahren, als der Economist auf die französischen Straßen schaute und fragte: „Was ist hier los?“
Wurth sagt, die Schuhbranche ist gerade keine einfache. Aber High Heels seien wieder auf dem Vormarsch. Das merke sie auch im Bekanntenkreis. Oder wenn sie abends vor dem Fernseher sitze. Die Moderatorinnen, die Politikerinnen, da solle man mal aufmerksam auf die Schuhe blicken. Überall „hohe Fersen“, so die wörtliche Übersetzung von High Heels. Auf der Mailänder Modewoche habe sie mit einem Trendforscher gesprochen. Der habe sie ermutigt und gesagt: Je schwieriger die politische Situation, umso höher die Absätze.
High Heels oder nicht? In Deutschland steht es halbe-halbe
Derzeit steht es bei den Frauen in Deutschland etwa halbe-halbe. In einer YouGov-Studie gab etwas mehr als die Hälfte der befragten Frauen an, niemals High Heels oder Plateauschuhe zu tragen. Die knappe andere Hälfte also schon. In dieser Gruppe waren dann die eher jüngeren. Gefragt wurden die Frauen auch, warum? Am häufigsten wurden folgende Gründe genannt: festliche Anlässe (61 Prozent), Selbstbewusstsein (14 Prozent), berufliche Verpflichtungen (13 Prozent). Die Studie wurde von einem Barfußschuhhersteller in Auftrag gegeben. Zurück jetzt zu den Füßen also.
Sind die erst einmal kaputt, landen sie vielleicht unter den prüfenden Augen von Vlatka Andric, Fußchirurgin an der Hessing-Klinik in Augsburg, leitende Oberärztin. Victoria Beckham wäre ein Fall für Vlatka Andric, oder das Modell Naomi Campbell, die Juristin Amal Clooney. Alle drei leidenschaftliche High-Heels-Trägerinnen, alle drei leiden unter Hallux Valgus, bekannt auch als Ballenzeh. Bei Vorträgen zeigt die Ärztin Bilder. Also nicht von den dreien, sondern von deformierten Füßen. Nicht schön! Als ob der große Zeh falsch abbiegen wolle. Auch Letizia von Spanien ist Fußpatientin. Sie leidet am Morton Neurom, ein schmerzhaftes Nervenleiden im Mittelfuß. Länger als fünfzehn Minuten könne sie nicht mehr in hohen Schuhen stehen, berichteten spanische Medien und titelten: „Die Königin ist von ihren hohen Absätzen hinuntergestiegen.“ Das hat natürlich einen leichten Unterton. Sind die Schuhe schuld?

Vlatka Andric erklärt jetzt Grundlegendes. „Ab fünf Zentimetern Fersenerhöhung verändert sich auch die Biomechanik im menschlichen Skelett.“ Der Druck auf den Vorfuß erhöht sich, und damit auch der Druck auf die Mittelfußköpfchen und auch auf die Strukturen, die sich dazwischen befinden, wie Bänder und Nerven. Deswegen zum Beispiel kann es bei langen Nächten auf hohen Schuhen zum Brennen im Vorfuß kommen: weil die kleinen Nerven überlastet sind. Vlatka Andric verwendet jetzt das Wort Mikrotraumatisierung. Sie spricht von der Förderung des Spreizfußes. Sie erwähnt die Verkürzung der Wadenmuskulatur. Wären High Heels Medikamente, wäre der Beipackzettel lang. Aber der Satz, den Vlatka Andric immer wieder einfügt, ist ja auch der: „Bei exzessivem Gebrauch.“ Ab und an High Heels machen noch keinen Hammerzeh. Frauen wachen nicht morgens plötzlich mit Krallenzehen auf. „Das merkt man schon, wenn man zu oft High Heels trägt und die Füße leiden.“
Auch andere Schuhe sind nicht optimal, sagt die Fußchirurgin
Wenn sie schätzen müsste: Etwa fünf Prozent werden aufgrund ihres Schuhwerks bei ihr zu Patientinnen. Der Hallux valgus, von dem Frauen deutlich häufiger als Männer betroffen sind, ist oftmals erblich bedingt. Oma, Tante, Tochter … Ohnehin sind die weiblichen Füße ein wenig empfindlicher als männliche, hormonell bedingt weicher.

Vor einigen Jahren hätte sie vielleicht noch eine höhere Prozentzahl genannt. „Aber heutzutage ist der flache Schuh doch absolut salonfähig.“ Sneakers, Sandalen, Ballerinas. Das sei übrigens auch kein Top-Schuh für den Fuß. „Da haben sie oft gar keine Polsterung, da hat man ja das Gefühl, dass man fast barfuß herumläuft. Auch nicht optimal.“ Und was hält sie vom gehypten Birkenstock-Modell? Da fehle ein bisschen der seitliche Halt. „Der ist schon relativ breit.“ Hat sie aber auch, wie auch Flip-Flops, Sneakers und High Heels. Sie mag hohe Hacken, zumindest ab und an. „Man fühlt sich schon sehr weiblich und elegant“, sagt Andric. Sie persönlich aber spürt es nach ein paar Stunden im unteren Rücken…
Was sie Frauen grundsätzlich rät: Schuhe häufiger wechseln! Am Vormittag den einen, am Nachmittag den anderen und abends vielleicht mal gar keinen. Und sich um die Füße auch kümmern. Kalt und warm im Wechsel abduschen, abrubbeln, ab und an ein Fußbad, eincremen mit Kokosöl zum Beispiel, oder Rosskastanien-Balsam. Ein bisschen Fußgymnastik machen.
Wer schaut seine Füße schon genau an – kein Körperteil ist weiter vom Kopf entfernt
Spricht da jetzt Edeltraud Breitenberger? Die Gehtrainerin sagt all das nämlich auch. Mit dem Kümmern und der Pflege. Zu Beginn ihres Workshops macht sie mit den Teilnehmerinnen Übungen. Sie lässt sie zum Beispiel die Zehen spreizen oder ein Tuch mit den Zehen aufheben. „Das haben die Füße doch verdient“, sagt Breitenberger: „Sie tragen uns durch Leben.“ Es schwingt da Liebe in den Worten mit.
Edeltraud Breitenberger holt jetzt das Modell eines Fußskeletts. 26 Knochen hat der menschliche Fuß. Zusammengerechnet, also mal zwei, sind das fast ein Viertel aller Knochen im menschlichen Körper. Wer weiß das schon? Wer schaut schon seine Füße so genau an, wenn sie nicht gerade wehtun? Nichts am Körper ist vom Kopf weiter entfernt. Für das Laufen auf High Heels sind alle Knochen wichtig, sagt die Lauftrainerin. Selbst der kleine Zeh, oft unterschätzt, der sorgt für Balance. Jetzt aber wieder einer der Breitenbergerschen Merksätze: „Der große Zeh ist der Boss der High Heels.“ Ist der gut trainiert, steht der Fuß auch sicher im Schuh. Eine gewisse Höhe aber sollte nicht überschritten werden, wenn es elegant und auch noch gesund bleiben soll, sagt Breitenberger. Und: Je kleiner der Fuß, umso weniger Absatz vertrage er, weil sonst der Mittelfußknochen zu steil steht. Sie machte das eben mal am Modellfuß vor…
Die Schuhdesignerin Gaby Wurth vergleicht das Laufen auf hohen Absätzen gerne auch mit Sport. Man braucht Übung. Einfach mal ohne in die Stilettos mit zehn Zentimetern steigen und dann den Abend auf einer Hochzeit durchtanzen, das stehe man ohne gewisses Training nicht durch. „Wenn sie zum ersten Mal Skifahren, kaufen sie sich ja auch nicht ein Renncarver und fahren die schwarze Piste hinunter. So ist das auch mit High Heels.“
Das Becken schwingen lassen, nicht mit dem Popo wackeln
Jetzt aber High Heels an, noch ein paar Schritte auf dem roten Teppich in München-Haidhausen gehen. Edeltraud Breitenberger korrigiert. Die Schultern erst einmal nach hinten, als ob man die Hände in die hinteren Hosentaschen stecken würde. Der große Zeh bestimmt die Richtung. Das Becken natürlich schwingen lassen. Nicht mit dem Popo wackeln. Mut zum Doppelkinn…
Es fehlt jetzt eigentlich nur noch die Krone auf dem Kopf.
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