Eine Klientin möchte eine bessere Partnerin sein und den Vorstellungen ihres Mannes gerecht werden - für mehr Harmonie in der Beziehung. Sie liebt ihren Mann, die beiden haben zwei Kinder und sind seit 14 Jahren ein Paar. Doch im Verlaufe des Gespräches wird offensichtlich, dass die Vorstellungen des Mannes rigide sind, Ausdruck von Kontrolle, Misstrauen und mangelndem Selbstwert. Plötzlich stellt sich viel mehr die Frage, wieso sich die Klientin schuldig fühlt, wenn sie seinen Wünschen nicht entspricht, keine Nähe zulässt und an Trennung denkt. Liebe bedeute doch, den anderen anzunehmen, wie er ist und ihm gerecht zu werden, sagt sie. Hier verbirgt sich ein Irrglaube, den viele Paare unbewusst leben.
Bedingungslose Liebe ist ein edler Gedanke und wenn wir unter dem großen Wort Liebe das Annehmen eines Menschen mit all seinen Eigenarten, vermeintlichen Schwächen und Stärken verstehen, dann liegt genau darin die Schönheit des menschlichen Wesens und des partnerschaftlichen Miteinanders. Soweit zum edlen Gedanken.
Liebe alleine reicht in der Beziehung nicht aus
Im Alltag wissen wir aus eigener Erfahrung, dass es nicht ganz einfach ist, den Partner oder auch die eigenen Kinder mit all ihren Eigenschaften, Emotionen und Eigenarten anzunehmen, ohne auch mal genervt zu sein – was streng genommen keine Annahme im Sinne der Liebe ist, sondern eine Ablehnung im Sinne der Distanzierung. Hier ist die bedingungslose Liebe nicht mehr alltagstauglich.
Es muss möglich sein, miteinander zu wachsen, Dinge am Partner zu kritisieren oder einzufordern, sich Veränderungen zu wünschen ohne gleich die Liebe infrage zu stellen. Gesundes Abgrenzen muss Teil der Liebe sein! Wir empfehlen daher zwischen bedingungsloser Liebe und bedingter Nähe zu unterscheiden. Um es auf den Punkt zu bringen: Liebe alleine reicht in der Beziehung nicht aus - ich kann meinen Partner lieben und mich doch trennen, weil wir uns nicht mehr nah sind. Ich kann meinen Partner nicht mehr lieben und aus Gründen von Sicherheit mit ihm zusammenbleiben.
Vieles wird als selbstverständlich erachtet - das sollte es nicht
Für Nähe müssen wir etwas miteinander oder füreinander tun, das Ausdruck der bedingungslosen Liebe ist. Oder wie die berühmten Paartherapeuten John und Julie Gottman schreiben: „Lieben ist ein Tu-Wort!“. Nähe verlangt nach gemeinsamen Bedingungen: Der Kaffee am Morgen, die Wertschätzung für den geleisteten Beitrag, der Danke-Post-it am Spiegel oder die Ich-liebe-Dich-Nachricht am Nachmittag, der Kuss beim Verabschieden oder die Umarmung beim Wiedersehen. Das wöchentliche Date, das abendliche Erzählen vom Tag, die gemeinsame Planung der Zukunft, das Da-sein, wenn der andere traurig ist und das gemeinsame Lachen. Und auch: das Geldverdienen und Kümmern um die Familie.
Vieles wird als selbstverständlich erachtet. Das sollte es nicht. Wir sollten uns bewusst sein, was der Partner bereits als Ausdruck von Liebe für uns tut und wie wir Nähe bereits leben. Aber auch, was wir brauchen, um mehr Nähe zu schaffen – körperlich wie geistig. Dazu gehört es, die eigenen Wünsche zu kennen, auszudrücken und zu verhandeln, was beide bereit sind, in diese Nähe zu investieren.
Vielleicht merken wir im Laufe einer Beziehung, dass die Nähe zu wenig geworden ist. Das ist der natürliche Lauf der Dinge. Anstatt zu resignieren, weil die Liebe „weg ist“ oder „einfach nicht mehr ausreicht“, gilt es, wieder mehr Nähe zu schaffen. Wenn wir das Gefühl von Liebe spüren wollen, müssen wir Dinge tun, die uns einander nah sein lassen - nicht nur am Valentinstag. Die Logik ist also andersherum: Wir erschaffen die Nähe nicht, weil wir uns verliebt fühlen, sondern wir fühlen uns verliebt, weil wir Nähe erschaffen.
Zu den Autoren
Christian und Tanja Roos arbeiten als Beziehungscoaches. Sie beraten Paare mit unterschiedlichsten Problemen, sprechen in ihrem Podcast „Das neue Wir“ über ihre Erfahrungen und haben mit dem Buch „Das Ich im Du“ einen Bestseller gelandet. In unserer Partnerschaftskolumne „In Sachen Liebe“ schreiben sie alle zwei Wochen über Beziehungsthemen. Hier erklären sie, was man tun kann, wenn man sich vom Partner nicht mehr wertgeschätzt fühlt.
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