Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kultur
Icon Pfeil nach unten
Gesellschaft
Icon Pfeil nach unten

Partnerschaftskolumne: Was zu einer erfüllten Beziehung dazugehört

Interview

Beziehungscoach Christian Roos: „Zu lieben ist das Mutigste, was wir tun können“

    • |
    • |
    • |
    Beziehungscoach sagt: „Solange Liebe da ist, lohnt es sich, denn sie ist nicht nur ein Gefühl, sondern eine bewusste Entscheidung, in die Partnerschaft zu investieren.“
    Beziehungscoach sagt: „Solange Liebe da ist, lohnt es sich, denn sie ist nicht nur ein Gefühl, sondern eine bewusste Entscheidung, in die Partnerschaft zu investieren.“ Foto: Adobe Stock

    Herr Roos, als Beziehungscoach helfen Sie Paaren aus der Krise. Bis wann lohnt es sich, an einer Partnerschaft zu arbeiten?
    CHRISTIAN ROOS: Solange Liebe da ist, lohnt es sich, denn sie ist nicht nur ein Gefühl, sondern eine bewusste Entscheidung, in die Partnerschaft zu investieren. Wenn diese Bereitschaft fehlt, wird es schwierig. Bevor man sich trennt, sollte man sich drei wichtige Fragen stellen: Habe ich alles versucht, um die Probleme zu lösen? Dazu gehört, diese anzusprechen, Risiken einzugehen und mit einem externen Blickwinkel den eigenen Anteil am Konflikt zu verstehen. Zweitens: Arbeite nur ich an der Beziehung oder auch der Partner? Manchmal reicht es, wenn einer neue Impulse gibt, um die Dynamik in der Beziehung zu verändern. Das setzt aber voraus, dass sich der andere darauf einlässt, anstatt auf Distanz zu gehen. Und drittens: Wünsche ich diese Beziehung meinem Kind? Auf diese Frage reagieren Klienten oft emotional, denn sie macht ihnen bewusst, was sie sich in der Beziehung eigentlich wünschen: Verständnis, Wertschätzung, Respekt, Freude.

    Oft ist von der „Generation beziehungsunfähig“ die Rede. Was halten Sie davon?
    ROOS: Nicht viel. Der Bedarf an Beziehungsarbeit ist sicherlich hoch, denn viele wissen nicht, wie sie Beziehung leben können, weil sie nicht die Möglichkeiten hatten es zu lernen. Gleichzeitig nimmt der Stress in der Gesellschaft zu und es bleibt wenig Zeit für die Beziehung. Aber die langen Wartelisten für Therapieplätze und das zunehmende Interesse an psychologischen Themen zeigt, dass Paare mehr denn je bereit sind, in die Beziehung zu investieren und wie wichtig ihnen das ist.

    Was bedeutet für Sie Liebe?
    ROOS: Liebe beginnt mit dem Ende der Verliebtheitsphase, gern mit dem ersten Konflikt, wenn man die vermeintlichen Schwächen und Unzulänglichkeiten des Partners sieht und trotzdem bereit ist, alles zu tun, um ihm nahe zu bleiben. Zu lieben, also einen anderen Menschen anzunehmen mit all seinen Ängsten, Selbstzweifeln und Verletzlichkeiten, ist das Mutigste und Schönste, was wir tun können. Im schönsten Fall führt die Liebe zu gemeinsamen Wachstum und Heilung ebendieser Verletzlichkeiten.

    Verwechseln wir Liebe häufig mit Verliebtsein?
    ROOS: Der größte Irrtum über die Liebe ist, zu denken, sie sei primär ein Gefühl, das einfach so da ist. Das mag beim Verliebtsein so sein, aber Gefühle folgen Verhaltensweisen und das Gefühl von Liebe entsteht, wenn wir Dinge tun, die Nähe und Wertschätzung ausdrücken. Wenn sich Menschen nicht mehr geliebt fühlen, liegt das häufig daran, dass wir aufhören, Dinge zu tun, die Ausdruck von Liebe sind. Weil Enttäuschungen, Missverständnisse oder Konflikte stattgefunden haben, die nicht vollständig geklärt wurden. Dann tun wir weniger für die Liebe und folglich werden die Gefühle von Liebe weniger und die Distanz nimmt zu. Liebe ist also auch die Entscheidung, unangenehme Konflikte anzusprechen und zu lösen.

    Was sind wichtige Merkmale einer erfüllten Beziehung?
    ROOS: Zum einen sollte man sich und die Partnerschaft wichtig nehmen. Wenn die Arbeit immer an oberster Stelle steht, bleibt wenig Raum für die Beziehung. Liebe und Vertrauen sind unabdingbar. Vertrauen verlangt nach vereinbarten Regeln, sonst wäre es blindes Vertrauen. Für die einen ist Flirten erlaubt, für die anderen ist es ein Vertrauensbruch. Gegenseitige Wertschätzung ist ebenso essenziell. Vor allem diejenigen, die die Care-Arbeit übernehmen – leider sind das immer noch meistens Frauen –, fühlen sich oft nicht gesehen. Deshalb spielt auch Gleichberechtigung eine wichtige Rolle. Care-Arbeit und Erwerbsarbeit sollten gleichermaßen wertgeschätzt und Bedürfnisse auf Augenhöhe verhandelt werden, unabhängig von Geschlechterklischees, mit denen wir alle sozialisiert sind. Und schließlich gehören Sexualität und körperliche Nähe zu einer erfüllten Beziehung.

    Sie und Ihre Frau beraten Paare in Beziehungsfragen. Wie läuft es in der eigenen Partnerschaft?
    ROOS: Wir sind seit 14 Jahren zusammen, haben vier Kinder und selbst viele Hundert Stunden Coaching hinter uns. Wir waren anfangs unheimlich verliebt, haben aber auch früh viel und leidenschaftlich gestritten. Wir streiten auch heute noch, aber weniger intensiv und mit weniger Drama, weil wir das Problem schneller erkennen und viele alte Wunden aus unserer Vergangenheit geheilt und integriert haben. Und doch zeigen sich mit neuen Lebenskapiteln wieder alte Ängste, die sich wie ein roter Faden durch unser Leben ziehen, die wir immer wieder überwinden können und die sich zeigen wie die Schalen einer Zwiebel. Wir sind gerade ausgewandert und auch das bringt wieder alte teils irrationale Ängste hoch, die wahrgenommen und integriert werden wollen. Das führt immer wieder zu Konflikten, aber gemeinsame Grundwerte und eine Vision, wie wir unser Leben gestalten wollen, haben uns bislang durch alle Krisen getragen.

    Gibt es für jeden Menschen den perfekten Partner oder ist das romantischer Kitsch?
    ROOS: Die Vorstellung vom perfekten Partner, der irgendwo auf einen warten, hat mit der Realität wenig zu tun. Ich glaube, es gibt viele passende Partner für einen Menschen. Das Gefühl von Seelenverwandtschaft ist nicht einfach da, sondern es entsteht, wenn Paare Zeit investieren, gemeinsame Werte entwickeln, Abenteuer eingehen und sich immer besser kennenlernen. Viele Menschen haben Angst vor Konflikten, weil sie nie gelernt haben, damit umzugehen, aber sie gehören dazu. Wenn man sich streitet und eine Lösung findet, schafft das Nähe und Vertrauen, weil man weiß, dass man Probleme gemeinsam überwinden kann.

    Wie lassen sich Konflikte lösen?
    ROOS: Wenn beide Partner bereit sind, gibt es für fast jedes Problem eine Lösung. In einer Beziehung wird man verletzt, aber man kann den Schmerz auch gemeinsam heilen. Oft äußern sich Konflikte auf der Beziehungsebene, man macht sich Vorwürfe, streitet über Kleinigkeiten, wird enttäuscht. Überwinden lassen sich die Probleme aber meistens nur, wenn man tiefer blickt und die emotionalen Muster und Glaubenssätze erkennt, die wir meist in unserer Kindheit entwickelt haben und wir alle in uns tragen.

    Ist es heutzutage schwieriger, eine erfüllte Beziehung zu leben?
    ROOS: Wir leben in einer kapitalistischen Welt, in der viele Bedürfnisse nahezu jederzeit erfüllt werden können. Eine Partnerschaft zu leben bedeutet aber ganz oft, kurzfristig auf etwas zu verzichten, um langfristig das zu bekommen, was einen wirklich zufrieden macht. Man lässt beispielsweise das kurzfristige Bedürfnis nach Freiheit vorbeiziehen, weil man weiß, dass nur die Beziehung einem die nötige Geborgenheit geben kann, um langfristig glücklich und frei zu sein. Diese Hingabe ist eine Herausforderung, aber sie lohnt sich.

    Was schätzen Sie an Ihrer Arbeit?
    ROOS: Mich fasziniert die Einzigartigkeit der Geschichten, die die Paare mitbringen. Ich fühle mich manchmal wie ein Detektiv, der versucht herauszufinden, warum Menschen sich so irrational verhalten, wie sie es tun. Warum sie Distanz leben, obwohl sie sich Nähe wünschen. Oft gibt es dann diese Momente, in denen sich Klienten über etwas bewusst werden und blinde Flecken erkennen. Wenn sich Paare nach einer Sitzung in die Augen schauen, entschuldigen und mit Verständnis aufeinander zugehen, ist das etwas sehr Schönes. Wenn die Welt heute eines braucht, sind es tiefergehende Beziehungen. 

    Tanja und Christian Roos sind seit 14 Jahren zusammen, haben vier Kinder und helfen anderen Paaren aus der Krise.
    Tanja und Christian Roos sind seit 14 Jahren zusammen, haben vier Kinder und helfen anderen Paaren aus der Krise. Foto: Laral Ohl

    Zur Person:

    Christian und Tanja Roos arbeiten als Beziehungscoaches. Sie beraten Paare mit unterschiedlichsten Problemen, sprechen in ihrem Podcast „Das neue Wir“ über ihre Erfahrungen und haben mit dem Buch „Das Ich im Du: Du hast dein Beziehungsglück selbst in der Hand“ einen Bestseller gelandet. In unserer Partnerschaftskolumne schreiben sie jetzt alle zwei Wochen über Beziehungsthemen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare

    Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.

    Registrieren sie sich

    Sie haben ein Konto? Hier anmelden