Die Hoffnung war groß: Vor zwei Jahren stellte ein internationales Forschungsteam im Fachblatt Science eine Studie vor, der zufolge eine gängige Aminosäure die Gesundheit verbessert und das Leben verlängert. „Taurin könnte ein Lebenselixier in uns sein, das uns hilft, länger und gesünder zu leben“, erklärte damals der Studienleiter Vijay Yadav von der Columbia University in New York.
Konkret berichtete das Team: Mäuse, Affen und auch Menschen hätten mit zunehmendem Alter immer weniger Taurin im Blut. Dagegen lebten mit Taurin gefütterte Mäuse grob zehn Prozent länger. Nun, zwei Jahre später, widerspricht ein anderes Forschungsteam nach Analysen anderer Daten über längere Zeiträume – ebenfalls im Fachjournal Science. Demnach fällt die Konzentration der Aminosäure im Blut im Alter nicht ab, sondern im Gegenteil: Sie steigt an – bei Menschen, bei Rhesusaffen und auch bei weiblichen Mäusen. Lediglich bei männlichen Mäusen bleibe sie konstant, heißt es.
Taurin wird im Körper gebildet, lässt sich aber auch synthetisch herstellen
Taurin ist seit fast 200 Jahren bekannt, erstmals isoliert wurde die Substanz 1827 von zwei deutschen Chemikern aus Ochsengalle. Die Aminosäure kommt im menschlichen Körper vor, unter anderem im Blut, in Muskeln und in vielen Organen. Die Funktionen des Stoffes sind nicht genau geklärt. Sie scheinen aber vielfältig zu sein, so gilt die Aminosäure als wichtig für die Gehirnentwicklung, die Stabilisierung der Zellmembran und für den Energiestoffwechsel. Möglicherweise schützt sie Zellen vor oxidativem Stress.
Taurin wird vom menschlichen Körper selbst gebildet, aber die Aminosäure wird auch mit der Nahrung aufgenommen, insbesondere durch den Verzehr von Fisch und Fleisch. Laut Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erhält der Körper auf natürlichem Weg zwischen 10 und 400 Milligramm pro Tag.
Zudem wird der Stoff, der sich günstig synthetisch herstellen lässt, seit längerem Energy-Drinks zugesetzt. Die europäische Lebensmittelbehörde EFSA hält Mengen von 6 Gramm täglich für unbedenklich. Studien zufolge drohen Katzen, die im Gegensatz zum Menschen Taurin nicht ausreichend selbst bilden können, ohne die Aminosäure schwere Gesundheitsschäden.

In der 2023 publizierten Studie schrieb das Team um Yadav, dass Mäuse, Affen und auch Menschen mit zunehmendem Alter weniger Taurin im Blut haben. Blutproben von über 60-jährigen Menschen enthielten demnach durchschnittlich nur etwa ein Fünftel der bei Kindern und Jugendlichen gemessenen Konzentrationen. Daher prüfte das Team damals gezielt an Mäusen, ob Taurin den Alterungsprozess beeinflusst. Mäuse mit Taurin im Futter lebten im Schnitt zehn bis zwölf Prozent länger. Auch bei Fadenwürmern verlängerte Taurin die Lebenserwartung, nicht aber bei dem einfachen Organismus Hefe.
Weitere Untersuchungen an Mäusen und Rhesusaffen ergaben damals, dass alternde Tiere, die Taurin erhielten, gesünder waren als unbehandelte Artgenossen. Weibliche Mäuse nahmen mit der Aminosäure altersbedingt weniger Gewicht zu, verbrauchten mehr Kalorien, hatten stärkere Knochen und Muskeln, verhielten sich weniger depressiv und ängstlich. Ähnliche gesundheitliche Effekte berichteten Yadav und sein Team bei Rhesusaffen mittleren Alters, die sechs Monate täglich Taurin bekamen.
Damals hatte Co-Autor Henning Wackerhage, Professor für Sportbiologie an der Technischen Universität München, von eindrucksvollen Ergebnissen gesprochen, jedoch eingeräumt: „Wir wissen aber nicht, ob sie auf den Menschen übertragbar sind.“ Zwar hatten die Analysen von 12.000 europäischen Erwachsenen darauf hingewiesen, dass auch Menschen mit höherem Taurin-Spiegel tendenziell gesünder waren, aber ob es sich um einen kausalen Zusammenhang handelte, war unklar.
Neue Studie zeigt: Die Taurin-Konzentration im Blut hängt von vielen Faktoren ab
Die neue Veröffentlichung in Science wirft nun viele Fragen auf. Denn als Reaktion auf die Studie von Yadav und Kollegen überprüfte das Team um Rafael de Cabo vom US-amerikanischen National Institute on Aging in Baltimore die Verbindung zwischen Taurin und Alter an drei menschlichen Kohorten mit rund 1.000 Menschen, aus den USA und den Balearen, sowie auch an Rhesusaffen und Mäusen – jeweils getrennt nach Geschlechtern und, im Gegensatz zur früheren Studie, vor allem: bei den gleichen Personen über lange Zeiträume.
„Die Taurin-Konzentrationen zeigten eine geschlechtsspezifische Zunahme mit dem Alter in allen Gruppen“, bilanziert das Team um de Cabo, „außer in männlichen Mäusen, wo Taurin unverändert blieb“. Einen Zusammenhang zwischen Taurin-Werten im Blut und Gesundheit fand die Gruppe nicht. Taurin-Konzentrationen seien wohl kein guter Biomarker für das Alter, folgert sie.
In den Daten waren die individuellen Schwankungen zwischen verschiedenen Menschen wesentlich größer als die Veränderungen mit dem Alter. Dies könnte möglicherweise die widersprüchlichen Resultate beider Studien erklären, sagt Sebastian Grönke vom Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns. „Die individuelle Variabilität ist sehr groß“, wahrscheinlich seien viele verschiedene Faktoren für die Blutwerte verantwortlich.
Das betont auch Joris Deelen vom Leiden University Medical Center in den Niederlanden. Schon länger lieferten Studien unterschiedliche Resultate zur Veränderung der Taurin-Werte mit zunehmendem Alter, sagt er. Diese Konzentrationen könnten stark schwanken und hingen von vielen Faktoren ab, etwa von der Art der Ernährung, wann jemand vor der Blutabnahme zuletzt gegessen habe, dem Vorliegen von Krankheiten und möglicherweise auch von der genetischen Veranlagung.
Übereinstimmend betonen beide Experten, die nun vorgelegten Resultate seien besonders valide – vor allem deshalb, weil die Entwicklung der Taurin-Werte bei einzelnen Menschen und Tieren über längere Zeiträume verfolgt wurde. Wackerhage, Co-Autor der Studie von 2023, stimmt zu. „Diese Daten zeigen überzeugend, dass der Rückgang der Taurin-Konzentration im Blut kein universelles Altersphänomen ist.“
Forschende untersuchen zahlreiche Stoffe, die das Altern verlangsamen sollen
Nach den Resultaten der damaligen Studie hatte der Sportbiologe eine Studie geplant, die an 80 Menschen klären soll, wie sich eine Taurin-Supplementierung konkret auf Alterungsprozesse auswirkt. Bei der zurzeit laufenden Untersuchung nehmen 40 von ihnen – 20 Männer und 20 Frauen – ein halbes Jahr lang täglich 4 Gramm Taurin, während weitere 40 ein Scheinpräparat erhalten. Anschließend wird geprüft, wie sich die Nahrungsergänzung auf verschiedene Altersmarker im Körper ausgewirkt hat.
Möglicherweise droht Taurin ein ähnliches Schicksal wie anderen Stoffen, von denen Forschende in der Vergangenheit eine Verlangsamung des Alterns erhofften. Dazu zählen: Der Rotwein-Inhaltsstoff Resveratrol wird seit Jahren untersucht – und im Internet beworben. Einen Nachweis für eine gesundheitsfördernde oder lebensverlängernde Wirkung beim Menschen gibt es nicht.
Auch der gegen Diabetes und Übergewicht genutzte Wirkstoff Metformin wurde untersucht – ohne Nachweis für eine lebensverlängernde Wirkung beim Menschen. Rapamycin soll bei Mäusen die Lebenserwartung verlängern. Der Stoff, der die Wachstumssignalübertragung hemmt, steht bei Altersforschern hoch im Kurs. Ob bisherige Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind, ist offen.
„Selbst wenn es vielversprechende Belege in Tierversuchen gibt, ist es sehr schwer, dies auch bei Menschen zu zeigen“, sagt der Leidener Experte Deelen. Der Grund: Menschen seien wesentlich komplizierter als Versuchsmäuse. Diese seien meist genetisch einheitlich, lebten in gleicher Umgebung und würden mit weitgehend identischer Nahrung gefüttert.
Experte warnt vor Einnahme von vermeintlichen Anti-Aging-Stoffen
Ob Taurin dem Alterungsprozess entgegenwirken könne, darauf gebe die aktuelle Studie keine endgültige Antwort, meint Krasimira Aleksandrova vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) in Bremen. „Altern ist ein hochkomplexes Phänomen, bei dem viele biochemische Prozesse und Gewebe miteinander in Wechselwirkung stehen“, betont sie. „Daher ist es vielleicht etwas naiv, einem einzelnen winzigen Molekül die Eigenschaften eines Wundermittels zur Verlangsamung des Alterns zuzuschreiben.“
Gewissheit darüber, wie eine Taurin-Nahrungsergänzung auf Menschen wirkt, erhofft der Münchner Biologe Wackerhage von seiner laufenden Studie, deren erste Resultate er 2026 erwartet. „Wir wollen diese Frage so gut beantworten wie möglich. Dann kann man endlich eine sichere Aussage treffen.“
Ob Taurin, Rapamycin, Metformin oder Resveratrol: Der Leiter der aktuellen Studie, da Cabo, plädiert generell zu Vorsicht im Umgang mit Untersuchungen, die Anti-Aging-Effekte von Stoffen belegten. „Da flippen alle aus und fangen an, solche Supplemente zu nehmen“, sagte er.
„Wir sollten die Leute daran erinnern, dass man wissenschaftliche Fortschritte im Kontext betrachten sollte – und zwar im genauen Zusammenhang der jeweiligen Studie“, so da Cabo. Falls man erwäge, solche Stoffe zunehmen, so sein Appell, dann sollte man zuerst mit einem Arzt sprechen. (Walter Willems, dpa)
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