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Nachruf: Ihr Name war Nadja Abd el Farrag

Sexismus

Ihr Name war Nadja Abd el Farrag

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    Nadja Abd el Farrag, auch bekannt als „Naddel“, ist gestorben.
    Nadja Abd el Farrag, auch bekannt als „Naddel“, ist gestorben. Foto: Rolf Vennenbernd, dpa

    Verona. Gina-Lisa. Jenny. Und natürlich: „Naddel“. Wer um die Jahrtausendwende Zugang zu einem Fernsehgerät mit Privatsenderanschluss besaß, dem erscheint im Kopfkino eine Ahnengalerie von Frauen. Vor- und Spitzname genügt, der Film rollt an – und das ist in diesem Fall keine Reduktion der Güteklasse, des hohen Respekts, kein Fall wie Marlene oder Frida und auch nicht Madonna. Es sind Frauen, die RTL, ProSieben und Co. zu Madonnen der Trash-Kultur erhoben haben. Oder auch: Duz-Freundinnen für das Sofapublikum der 90er- und 2000er-Jahre, bekannt aus Clips von Taff bis TV Total. Idealbiografie: Skandalöse Prominenzaffären, öffentliche Fehltritte, Lebensbeichten mit Ausflügen ins Dschungelcamp und Big-Brother-Haus.

    Nadja Abd el Farrag war eine von ihnen. Wofür sie in den Augen der Kameras und der Zuschauer stand, zeigt am schärfsten ein Sechs-Sekunden-Video. Stefan Raab zeigte den Clip immer wieder, auf Knopfdruck, in seiner Show „TV Total“: Der junge Dieter Bohlen brüllt durch seine Villa, ruft nach seiner Geliebten: „Naddel!“ Diese Frau, Nadja Abd el Farrag, ist jetzt im Alter von 60 Jahren gestorben. Die Ursache soll Organversagen gewesen sein, seit längerem litt sie an einer Leberzirrhose.

    Zum Tod von Naddel: Jenny Elvers hat sich in ihrer Autobiografie erklärt

    Welche Verantwortung trägt so ein Mensch auf dem Bildschirm für sein Schicksal? Wann entwickelt sich da eine Abhängigkeit, in der ein Mensch seine volle Existenzberechtigung aus der Aufmerksamkeit der Kameras bezieht – beziehen zu müssen glaubt? Oder anders gefragt: Wie nüchtern, klar und widerstandsfähig muss eine Seele sein, dass sie vor und mit der Kamera überlebt?

    Schauspielerin Jenny Elvers veröffentlichte 2018 ihre Autobiografie „Wackeljahre: Mein Leben zwischen Glamour und Absturz“.
    Schauspielerin Jenny Elvers veröffentlichte 2018 ihre Autobiografie „Wackeljahre: Mein Leben zwischen Glamour und Absturz“. Foto: Georg Wendt, dpa

    Was Naddel erlebte, das erlebten andere Frauen in unterschiedlichen Härtegraden: Allein durch ihren Schönheits-Titel als „Heidekönigin“ von Amelinghausen wäre Jenny Elvers noch nicht zum Gazetten-Promi avanciert. Dahin führten sie Moderations-Jobs, Beziehungen mit Farin Urlaub, Heiner Lauterbach und ja, Dieter Bohlen. Ihr neuer Königinnentitel: Freundin von. Jahre später, es ist 2012, sitzt diese Frau, die inzwischen Jennifer Elvers-Elbertzhagen heißt, auf dem „Roten Sofa“ des Norddeutschen Rundfunks. Großes TV-Interview, doch sie kichert. Nein, sie lallt und schwankt, blickt glasig aus den Augen. Jeder Zuschauer im Fernsehsessel, jeder Kabelträger im Aufnahmestudio und jeder Senderboss, der es sehen will, muss erkennen, dass diese Frau betrunken ist. Die Kamera hält drauf, ohne Gnade. 2018 wird sich Elvers selbst der Welt erklären in ihrer Autobiografie: „Wackeljahre: Mein Leben zwischen Glamour und Absturz“.

    Verona Feldbusch war die Frau mit dem „Blubb“, keine andere in der TV-Werbung konnte mit so viel Witz und so laut klimpernden Wimpern Tiefkühlspinat verkaufen. Sie drehte mit perfekt simulierter Bitte-hilf-mir-Schusseligkeit lustige Werbespots, moderierte die Erotik-Show „Peep!“ und traf ihre Liebe – Dieter Bohlen. Nach dem Bruch mit dem Modern–Talking-Macher dann ein Auftritt unter Tränen: Bohlen habe sie geschlagen, erzählt Feldbusch bei Johannes B. Kerner und weint. Der Musiker kontert, er habe nur reagiert, sie habe ihm eine Schüssel mit scharfen Kanten ins Gesicht geschleudert. Das Publikum damals nahm es wie Schauspiel hin, ohne Wimpernzucken und Realitätsbezug, wie eine Episode einer Telenovela. Heute aber, 2025, scheint Verona Pooth ihre Balance gefunden zu haben, mit ihrem zweiten Mann Franjo und ihren zwei Söhnen.

    Der Fall von Gina Lisa Lohfink ist bis heute umstritten

    Der Aufstieg der Gina Lisa Lohfink begann mit ihrer „hessischen Kodderschnauze“, sie kämpfte sich 2008 durch Heidi Klums Topmodel-Show und quittierte jeden Triumph mit ihrem Schlachtruf: „Zack, die Bohne!“ Sie tourte durch die Promi-Szene, trat bei Erotikmessen und in Reality-TV-Shows auf. Bis ihr Weg zum Gericht führte. Video-Aufnahmen zeigen sie beim Sex mit zwei Männern. Stand sie unter Drogen? Hatte man sie mit K.O.-Tropfen betäubt? War es eine Vergewaltigung? Die Männer klagen gegen sie, am Ende muss Lohfink wegen falscher Verdächtigung zahlen. Zweifelnde Stimmen bleiben, ihr Fall wird zum Stoff für Strafrechts-Debatten. Und heute? Neue Lebenszeichen: Gina-Lisa Lohfink plant einen Gastauftritt bei Germanys Next Topmodel.

    Sie sind Frauen, die hübsch zu sein hatten nach Mannequin-Maß. Sie sind aber auch Frauen, die vor der Kamera stolpern, weil sie normalsterblich sind, die sich verhaspeln und verwirren in Worten, bis sich jeder Zuschauer im Sessel sicher fühlen kann: Über diese Menschen darf man sich lustig machen, niemand muss ihre Existenz so ganz für voll nehmen. Kunstfiguren. Sie wollen doch ein Leben in Schlagzeilen? Oder worauf hatten sie gehofft?

    Wie der Großteil der Welt Nadja Abd el Farrag sah, zeigt ein längerer Clip von TV Total. Die Show, nun ja, würdigt sie zu ihrem 45. Geburtstag, eine japsende Männerstimme poltert Flachwitze zu bunten, laufenden Bildern: Tausend Schüsse fangen „Naddel“ ein, auf jedem dritten schwingt sie ein Glas Sekt und lächelt. Bilder mit dem Mogul Mörtel Lugner auf dem Wiener Opernball, eines sogar mit Kanzler Helmut Kohl, der ihr freundlich die Hand reicht und zu zwinkern scheint. Ihre Tanzfläche findet „Naddel“ in Clubs, auf Erotikmessen ebenso wie auf Galaabenden, bei denen sie der Gast ist, den man einlädt, um mit dem Skandal zu spielen. Bilder von „Naddel“, wie sie sich in Unterwäsche das Gewicht ihrer Brüste messen lässt, vor den Kameras einer TV-Show. „Naddel“, wie sie als Hobby-DJane am Mischpult eine etwas wackelige Figur abgibt. „Naddel“, wie sie erklärt, dass sie fortan nicht mehr „Naddel“ genannt werden will. „... sondern Naddel“, sagt sie. Stutz kurz. „Äääh ...“, sie lacht lauthals und schüttelt ihre Mähne. Ein kleiner Versprecher – und wieder eine Chance fürs Publikum, sich über sie lustig zu machen.

    Zeit zu verstehen: Diese Frauen sind keine Kunstfiguren

    Das Leben der Nadja Abd el Farrag begann in Hamburg-Altona, als Tochter einer Deutschen und eines Sudanesen, der Biologie studierte und dann einen Autohandel betrieb, um die Familie mit zwei Töchtern zu ernähren. Nadja Abd el Farrag begann eine Lehre als Apothekenhelferin, wurde Backgroundsängerin im Musikprojekt Blue System und traf auf Dieter Bohlen – eine Liebe, über die alle Gazetten den Verstand verloren. Ihre späteren Jahre lesen sich wie ein Kampf, wenn man die Shows, durch die sie jetzt tourte, als Kapitelüberschriften ihres Lebens deutet: „Promiboxen“, „Raus aus den Schulden“ und „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“. Je größer die Last der Schlagzeilen, desto leichter wurde ihr Körper: 45 Kilogramm bei 1,80 Körpergröße. Kamerajäger fingen Bilder von ihr ein, wie sie immer weniger wurde hinter ihrem Spitznamen, in ihrer Hülle als „Naddel“.

    Und jetzt? Nachspann eines Lebens. Zeit für Nachrufe, scheinheilige, aber auch intime. „Ein Partner, ein Kind, eine vernünftige Beziehung, das war immer ihr Herzenswunsch“, erinnert sich eine gute Freundin. Die Bild wühlt in ihren Archiven, zitiert Nadja Abd el Farrag aus dem Jahr 2021: „Ich bin jetzt in meinem letzten Lebensdrittel und möchte nicht mehr allein weitergehen. Ich träume von einer Hochzeit mit weißer Kutsche.“ Ihr Leben war TV total, ein Leben ohne jede Drehpause. Was wir in diesen Tagen vielleicht für einen kurzen Moment fühlen und verstehen: Diese Frauen sind keine Kunstfiguren. Verona Pooth. Jenny Elvers-Elbertzhagen. Gina-Lisa Lohfink. Nadja Abd el Farrag.

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    2 Kommentare
    Sabine Schmitt-Kuchler

    Ein super Artikel, Frau Veronika Lintner.

    Marianne Böhm

    Naddel ist eine der Frauen die die ewigen Verliererinnen sind.. Ihr lebenslanger Kampf um Anerkennung und ihr Tod ist sehr tragisch.. und tut mir sehr, sehr leid.. Ich wünsche ihr dass der Himmel für sie einen wunderschönen Platz frei hat.. um alles Leid wieder gut zu machen. Nadya Ruhe sanft... und träume was schönes..!

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