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Kinofilm „Zikaden“: Zwei Frauen navigieren durch ihr Leben

Filmkritik

Neu im Kino: "Zikaden" – Zwei Frauen mäandern durch ihr Leben

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    Szene aus dem Film "Zikaden": In ihrem dritten Spielfilm erzählt Regisseurin Ina Weisse von zwei Frauen aus verschiedenen Welten. Und doch verbindet die beiden etwas. Sie sind auf der Suche nach ihrem Platz im Leben, Anja (Saskia Rosendahl, rechts) und Isabell (Nina Hoss).
    Szene aus dem Film "Zikaden": In ihrem dritten Spielfilm erzählt Regisseurin Ina Weisse von zwei Frauen aus verschiedenen Welten. Und doch verbindet die beiden etwas. Sie sind auf der Suche nach ihrem Platz im Leben, Anja (Saskia Rosendahl, rechts) und Isabell (Nina Hoss). Foto: DCM Filmdistribution

    Ein flirrendes Sommerbild steht am Anfang von Ina Weisses neuem Film „Zikaden“. Die titelgebenden Insekten zirpen mit zwitschernden Vögeln um die Wette. Die Kamera ruht auf einer sonnenvertrockneten Wiese am Waldrand, bis der ländliche Frieden von einem Ruf unterbrochen wird. Anja (Saskia Rosendahl) sucht sichtlich aufgewühlt nach ihrer Tochter.

    Sorge und Fürsorge liegen in Ina Weisses Film „Zikaden“ dicht beieinander

    Das Kind stochert in einem Tierkadaver, als die Mutter es endlich findet. „Wenn ich rufe, musst du hören“ sagt sie und schließt das Mädchen in die Arme. Sorge und Fürsorge liegen in dieser Szene dicht beieinander und treiben auch Isabell (Nina Hoss) an, die auf der nahegelegenen Landstraße mit einem kleinen Autokonvoi auf dem Weg zum Wochenendhaus ihrer Eltern ist. Der Vater ist ein bekannter Architekt und hat das modernistischen Gebäude mitten im märkischen Sand selbst entworfen. Aber vor wenigen Jahren hatte Rolf (Rolf Weisse) einen schweren Schlaganfall. Seitdem ist der alte Mann an den Rollstuhl gefesselt und stark pflegebedürftig. Isabell organisiert das Leben für ihre gebrechlichen Eltern, denen es nicht an finanziellen Ressourcen fehlt. Pfleger aus Polen betreuen den Kranken rund um die Uhr. Aber wenn einer von ihnen ausfällt, steht die einzige Tochter in der Pflicht.

    Eigentlich ist Isabell ebenfalls Architektin. Aber nun arbeitet sie als Maklerin für Luxusimmobilien, um sich besser um die Eltern kümmern zu können. Darunter leidet auch die Ehe mit dem französischen Ingenieur Philippe (Vincent Macaigne), der sie am Berliner Flughafen auf dem Weg in den gemeinsamen Urlaub einfach sitzen lässt. Das alles sind Luxusprobleme im Vergleich zu dem prekären Überlebenskampf, den die alleinerziehende Mutter Anja Tag für Tag ausfechten muss. Wenn sie morgens auf den Bus rennt, um als Spülerin in einer Berliner Kantine zu arbeiten, läuft die kleine Gerda dem Bus weinend hinterher. Die Großeltern kümmern sich wenig um das Kind und so strolcht das Mädchen mit zwei Jungs aus dem Dorf durch die Gegend.

    Jede der beiden Frauen ist mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt

    Ihren Küchenjob hat Anja schon bald verloren. Und so fängt sie in einer Bowlingbahn in der Nähe des Dorfes an, obwohl die späten Schichten ihr die Kinderbetreuung noch mehr erschweren. Auf einer Brücke treffen sich die beiden Frauen schließlich, rauchen zusammen eine Zigarette und bringen es – mit den eigenen Sorgen beschäftigt – nur auf ein schleppendes Gespräch. Trotzdem ist in ihren müden Augen ein Interesse füreinander sichtbar. „Du bist schön“, sagt Anja, was Isabell mit einem irritierenden Lächeln zur Kenntnis nimmt.

    Zwei Frauen, die sich in ihrer Unterschiedlichkeit von Alter und sozialer Herkunft zueinander hingezogen fühlen, stellt Ina Weisse ins Zentrum ihres neuen Filmes „Zikaden“. Gemeinsam ist den beiden, dass ihr Leben durch familiäre Verantwortlichkeit geprägt und eingeschränkt wird. Ebenso wie die Pflege für ihre kranken Eltern Isabells Kräfte aufzehren, ist Anja zunehmend von ihren Aufgaben als alleinerziehende Mutter überfordert. Die Fürsorge für andere lässt nur noch wenig Platz für eine aktive Gestaltung des eigenen Lebens.

    Die erotische Spannung im Film „Zikaden“ bleibt im Ungefähren

    Dabei belässt Weisse die erotische Spannung zwischen den beiden Frauen – wie so vieles – im Ungefähren. Ihr Film treibt seine Figuren nicht in Entwicklungen hinein, sondern lässt sie durch ihr Leben mäandern, welches die beiden Frauen immer weniger im Griff zu haben scheinen. Aber dann hat Isabell eine Idee, die für alle Beteiligten ein Ausweg sein könnte: Sie stellt Anja als Haushaltshilfe für ihre Eltern ein, wodurch die festgefahrenen Strukturen allmählich in Bewegung kommen.

    „Zikaden“ ist ein leiser Film mit stillen Qualitäten. Dazu gehört vor allem eine offene Erzählstruktur, die sich nicht an konventionelle Drei-Akt-Vorgaben hält, sondern eher wie eine geduldige Zuhörerin des Lebens erscheint. Zu dieser narrativen Offenheit passt das visuelle Konzept von Kamerafrau Judith Kaufmann, die immer wieder Sommerbilder von idyllischer Melancholie aus den spröden brandenburgischen Landschaften herausfiltert. Die lähmende Hitze, die den Lebensrhythmus verlangsamt und die widersprüchlichen Gefühle träge ineinander fließen lässt, ist in den unangestrengten Bildkomposition stets präsent.

    Die Eltern von Regisseurin Ina Weisse spielen in „Zikaden“ mit

    Mit Nina Hoss, die schon in Weisses letztem Film „Das Vorspiel“ die Hauptrolle spielte, und Saskia Rosendahl bringt „Zikaden“ zwei der interessantesten, deutschen Schauspielerinnen vor die Kamera, die sich ebenso kontrastieren wie ergänzen. Für die Rolle der gebrechlichen Eltern hat die Regisseurin ihre eigenen Eltern gecastet. Vater Rolf Weisse ist ein angesehener Architekt, der schon mit Mies van der Rohe zusammengearbeitet hat. Hier spielt er selbst die Rolle des betagten Baumeisters, der nach einem Schlaganfall viele seiner Fähigkeiten, aber nichts von seiner Autorität eingebüßt hat.

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