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„Mahagonny“ in Augsburg: Wohin geht es mit uns, fragt die Inszenierung

Kritik

Staatstheater Augsburg: Wir alle sind doch irgendwie „Mahagonny“

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    Spaß mündet in blutigen Ernst: Jim (Mirko Roschkowski) geht es an den Kragen (links Shin Yeo, rechts Haozhou Hu ).
    Spaß mündet in blutigen Ernst: Jim (Mirko Roschkowski) geht es an den Kragen (links Shin Yeo, rechts Haozhou Hu ). Foto: Jan-Pieter Fuhr

    Dass die Dinge, die im Theater verhandelt werden, etwas mit uns, den Zuschauern, zu tun haben könnten, ist kein ganz neuer Gedankenfunke für eine Inszenierung. Wie aber Jochen Biganzoli das macht in seiner Neuinszenierung von „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, ist dann doch originell. Mit Video geht‘s los, darin zu sehen: Ein Auto, dessen Kontrollleuchten Panne signalisieren, weshalb die drei Insassen von der Straße abfahren und vor einem nur zu bekannten Gebäude halten, das Trio geht hinein, der eine zur Tür mit der Aufschrift „Saal links“, der andere bei „Saal rechts“, und dann stehen Fatty und Dreieinigkeitsmoses und die Begbick leibhaftig im Saal des Martiniparks, sind angelangt in der Aufführung des Staatstheaters Augsburg. Virtuos gemacht, diese virtuell ins Reale gleitende Introduktion.

    Die Vergnügungsstadt Mahagonny, die vom besagten Ganoventrio hier nun gegründet wird zum Zweck des Geld-aus-der-Taschen-Ziehens, ist eben auch der Ort, an dem das Spiel über die Bühne geht. Wobei die Bühne in der Inszenierung erst einmal unbespielt bleibt. Nicht nur der Beginn, sondern weite Teile des ersten Akts von Bertolt Brechts und Kurt Weills „Mahagonny“-Oper sind nach dem Willen von Regisseur Biganzoli ins Auditorium verlegt: Die vier Holzfäller tauchen aus den Publikumsreihen auf, und das Septett der käuflichen Mädchen umschwirrt ebenfalls die Zuschauer und reichen gratis Getränke herum. Mahagonny, Stadt des kostspieligen Lotterlebens, das sind wir alle, besagt dann auch die Spiegelprojektion des Publikums auf einer Wand quer über der Bühne.

    Bei „Mahagonny“ amüsiert man sich prächtig

    Das bunte, peppige Spiel mit dem Publikum ist die szenische Konsequenz von Biganzolis Sicht, wonach die Kapitalismuskritik, die Brecht am Exempel der Stadt Mahagonny und ihrer Bewohner vornimmt, bald hundert Jahre nach der Entstehung des Stücks ihre Schlagkraft eingebüßt hat. Alles zwar irgendwie noch gültig, was Brecht da aufgeschrieben hat, doch keinen kümmert‘s mehr, man amüsiert sich stattdessen prächtig, wie der vorgehaltene Spiegel zeigt. Dass die Augsburger Neuinszenierung in ihrer Stilistik dabei selbst nicht wenig „kulinarisch“ ist, etwas, das Brecht und Weil der traditionellen Oper vorwarfen und mit „Mahagonny“ streng vermeiden wollten, der ist der Preis, der für solchen Inszenierungsansatz zu entrichten ist.

    Denn letztlich will Jochen Biganzoli keineswegs launiges Unterhaltungstheater präsentieren. In der zweiten Hälfte der Aufführung - nach einer Pause, in welcher das Publikum durch Bildschirm-Unterrichtung über die prekäre Wetterlage selbst bei Sekt und Selters weiterhin im Stück verbleibt - ändert sich dann doch die Tonlage, wird das szenische Geschehen (nurmehr weitgehend auf der Bühne stattfindend) existenzieller, theatral-epischer, ums mit Brecht zu formulieren. Wenn der Holzfäller Jim, der mit der Dirne Jenny ein zartes Beziehungspflänzchen hat wachsen lassen, irgendwann kein Geld mehr hat, für Geleistetes nicht mehr bezahlen kann, vom Ganoventrio in die Zange genommen und auf die Knie gezwungen wird, dann zeigt Biganzoli das in die Irre geführte Individuum in seiner ganzen Not.

    Mirko Roschkowski, der ideale Jim

    Dass dieses Ecce homo die bewegendste Szene der Aufführung ist, liegt wesentlich an der Darstellung des Jim durch Mirko Roschkowski. Der als Gast verpflichtete Tenor vermittelt fulminant einen energisch-lebenszugewandten Rollentypus, dem doch die Fähigkeit zur Einsicht nicht abhandenkommt. Eigenschaften, die Roschkowski darstellerisch mit intensivem Körpereinsatz, sängerisch druckvoll und empfindungsstark zu gestalten vermag - eine Idealbesetzung.

    Im zweiten Teil des Abends legt auch Ivan Demidov am Pult der Augsburger Philharmoniker an Dringlichkeit zu, nachdem man sich in der ersten Hälfte manches zugespitzter, schärfer artikuliert gewünscht hätte. Eben das gelingt Demidov in den Akten zwei und drei, indem er die punktierte Tanzrhythmik zum grimmigen Treibsatz des sich schürzenden dramatischen Geschehens werden lässt. Farbenreich das Orchester, packend die Kommentare des Chors (Einstudierung Katsiaryna Ihnatyeva-Cadek).

    Ein Staatstheater-Ensemble mit Lust am Spiel

    Lust am Agieren zeigt das komplette Ensemble, sängerisch sticht neben Mirko Roschkowski vor allem Kate Allen hervor, die ihrer Leokadja Begbick opernhaft-klangvolle Autorität verleiht. Sally du Randt ist eine zwischen Gefühl und Berechnung kühl oszillierende Jenny, Wiard Witholt, Avtandil Kaspeli und Jinjian Zhong zeichnen als Bill, Joe und Jakob jeweils individuelle Holzfäller-Physiognomien, während Shin Yeo und Hoazhou Hu als Dreieinigkeitsmoses und Fatty es nicht an Ganoven-Gefährlichkeit fehlen lassen.

    Die Rückbesinnung auf das kritische Potenzial, die Regisseur Biganzoli im zweiten Teil unternimmt, kulminiert in der plakativ ausgestellten, wiederholt projizierten Frage aus dem Benares-Song der Oper: „Where shall we go?“ - wohin sollen, wohin werden wir gehen? Weiter wie bisher mit schrankenlosem „Du darfst es“, solange man bezahlen kann? Weiter angesichts einer Natur mit Vernichtungskraft, ein schon von Brecht gesetztes Thema, dessen Aktualität sich die Inszenierung mit Katastrophen-Videos jüngeren Datums nicht entgehen lässt?

    Und das soll es gewesen sein?

    Der „Fall“ von Mahagonny endet in Brechts Libretto in aller Schwärze: „Können uns und euch und niemand helfen“, singen alle als Schlusswort der Oper. Auch Jochen Biganzoli lässt die Akteure ratlos stehen, kein Fingerzeig auf eine Antwort auf die Benares-Frage. Aber auch keine demonstrativ ausgestellte Untergangsstimmung. Dieses finale Offen-Lassen gehört zweifellos zu den Qualitäten dieser facettenreichen Inszenierung.

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