Seit vielen Jahren starten die Salzburger Festspiele, noch vor der ersten großen Opernpremiere sowie der ersten Schauspielpremiere im Landestheater, mit der Reihe „Ouverture spirituelle“ – geistig, geistlich, an das Menschenwürdige appellierend. Sakralmusik, die allfällige Mysterienspiel-Fortschreibung „Jedermann“ passen da hinein, aber auch weltliche Musiken mit Bekenntnis zur Humanität. Alles andere als obsolet geworden, schärft die „Ouverture spirituelle“ in Zeiten bedrohter Demokratien, in Zeiten rigider Machterneuerung politischer Systeme das Bewusstsein dafür, was politisch zeitenübergreifend zu tun beziehungsweise zu lassen ist.
Dass dort hinein neben Bach, Händel, Thomas Tallis, Arvo Pärt auch Luigi Nono passt, der in Salzburg seit Jahrzehnten einen guten Stand und heuer seinen 100. Geburtstag hat, liegt auf der Hand. Hat Nono doch in seinen Hauptwerken gegen das menschengemachte Menschenleid angeschrieben, sei es in Form von Flüchtlingstragödien, der Ausbeutung einfacher Beschäftigter, fahrlässig herbeigeführter Umweltkatastrophen, Armut, Krieg, Gewaltherrschaft. Wiewohl er Kommunist war, politisch sich auch engagierte: Ideologisches ist seinem Werk nicht eigen, erst recht nicht – in ästhetischer Hinsicht – die Doktrin eines sozialistischen Realismus. In tönend immens herausfordernden Stücken, die parteipolitisch-massentauglich nutzbar nicht sind, trat er, Schwiegersohn Arnold Schönbergs, für die Grundzüge des Menschenrechts ein.
Salzburger Festspiele ehren Luigi Nono und Dallapiccola
Eine frühe Großtat diesbezüglich: Sein „Canto sospeso“ von 1956, der jetzt in Salzburgs Felsenreitschule zusammen mit Luigi Dallapiccolas einaktiger Oper „Il prigioniero“ (1949) vom ORF-Radio-Symphonieorchester Wien und dem Chor des Bayerischen Rundfunks aufgeführt wurde. Beide Werke gedenken der Opfer politischer bzw. kirchlicher Gewaltherrschaft; Nono vertonte Auszüge letzter Briefe von zu Tode verurteilten Widerstandskämpfern im Zweiten Weltkrieg, Dallapiccola setzt einen politischen Gefangenen während der spanischen Inquisition ins Zentrum seines zwölftönigen Musikdramas. Und beiden Werken ist Erschütterung eingeschrieben – Erschütterung über die vielfach erstaunlich gefassten, nichts bereuenden letzten Worte außerordentlich junger Widerstandskämpfer, Erschütterung über die letzte grausame Folter eines politischen Gefangenen, dem perfide Aussicht auf Freiheit vorgegaukelt wird, bevor er zum Richtplatz muss.
Dass Tobias Moretti als ein Zugpferd die Auszüge der letzten Briefe las – übrigens mit wenigen zusätzlichen erläuternden Worten zu Biographie, Todestag, Hinrichtungsmethode –, traf in ausgeklügelter Balance zwischen Nüchternheit und stockend-belegter Stimme erkennbar ebenso den Nerv des Auditoriums wie Nonos behutsame, in motivischen Klanggesten aufleuchtende Vertonung, die gleichsam abstrahierend Desillusion, Trauer, Klage – und zukunftsgerichtete Hoffnung! – der zum Tode verurteilten Widerstandskämpfer zusammenfasst. Dirigent Maxime Pascal, der BR-Chor, das ORF-Symphonieorchester, die Solisten leisteten Überragendes an Präzision in dieser frühen Tragödie des Hörens von Luigi Nono.
Vor allem Georg Nigl als psychogefolterter Gefangener bei Dallapiccola setzte die hohe musikalische und interpretatorische Qualität des Abends fort – allein: Die trotz Dodekaphonie eher konventionelle Anlage von „Il prigioniero“ ließ den Gedanken aufkommen, dass eigentlich Luigi Nono mit seinen Lichtpunkten aus einem Riesenorchester diesen Abend des Anspruchs hätte final krönen müssen.
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