Als ein seltenes Ereignis in der deutschen Politik bezeichnete Fernsehmoderator Jan Klukkert die Gelegenheit, dass Direktkandidaten für den Bundestag ohne politische Vorgänger gegeneinander antreten - denn den Wahlkreis 255 Memmingen-Unterallgäu gab es bislang nicht. Umso gespannter waren die Besucherinnen und Besucher einer Wahlarena, die vom Bund der Selbstständigen in Schwaben in Bad Wörishofen organisiert wurde.
Bis auf Jennifer Merx (Boos, juristische Sachbearbeiterin)von den Linken stellten alle Direktkandidaten erstmals gemeinsam ihre Visionen der zukünftigen Bundespolitik bei Jäckle Automobile in Bad Wörishofen einer breiten Öffentlichkeit vor.

Eines der drängenden Themen ist der Bürokratieabbau. Die Kandidaten waren sich einig, dass hier Handlungsbedarf bestehe. Volkswirt Dr. Florian Dorn (CSU) nannte die Übererfüllung von EU-Verordnungen oder überbordende Dokumentationspflichten als großes Hemmnis. „Vielleicht reichen nach dem Paretoprinzip auch 80 Prozent aus“, meinte FDP-Kandidat Daniel Steffen und nannte als Beispiel die Nachweispflichten zur Bekämpfung von Scheinselbstständigkeit. Auch müsse die Digitalisierung wirklich gelebt werden. Dem stimmte auch Joachim Linse, Kandidat der Grünen, zu: „Der Staat muss den Betrieben und Bürgern mehr vertrauen.“ Er forderte ein härteres Strafmaß. Missbrauch dürfe sich nicht lohnen. Eine drastische Reform forderte der Wissenschaftliche Referent Dr. Simon Kuchlbauer von der AfD, der sich höhere Freigrenzen bei den Bilanzierungspflichten vorstellen könnte.

Die Verlässlichkeit der Politik und die damit verbundene Planungssicherheit sei von wachsender Bedeutung, sagte Kaminkehrer Michael Kroeschell aus Memmingen, der für die Freien Wähler in den Bundestag einziehen möchte. Das Hin und Her bei den Fördermaßnahmen wie E-Autos oder dem Einbau von Pelletheizungen sei nicht zielführend. Unsicherheit in der Wirtschaftspolitik führe dazu, dass die Investitionsbereitschaft von Unternehmen abnehme, so Volkswirt Dorn. Kuchlbaur wünscht sich, „die Planwirtschaft zurückzufahren und den Mut, Förderungen auslaufen zu lassen.“
So wollen die Bewerber für den Bundestag dem Fachkräftemangel begegnen
Auch um dem Fachkräftemangel zu begegnen, diskutierten die Podiumsteilnehmer verschiedene Ansätze. SPD-Kandidat Marcel Keller räumte die Notwendigkeit ein, bildungspolitisch nachzusteuern. Der Lehrer aus Trunkelsberg will sich für eine Ausweitung von Pflichtpraktika von Schülerinnen und Schülern starkmachen. Statt der täglichen Höchstarbeitszeit plädierten Steffen und Dorn für mehr Flexibilisierung und eine maximale Wochenarbeitszeit. Auch müsse die Entlohnung von Mehrarbeit steuerfrei sein, um Anreize zu setzen. Kuchlbauer beklagte die „Überakademisierung“ in unserem Land, während sich Kroeschell eine freiwillige Anpassung des Renteneintrittsalters vorstellen kann. Das stärke die Sozialsysteme und helfe der heimischen Wirtschaft, meinte Dorn.
Mit Keller von den Sozialdemokraten werde es keine „Steuergeschenke mit der Gießkanne geben“. Er propagierte den „Made-in-Germany“-Bonus seiner Partei. Das bedeutet, dass auf Produkte, die ausschließlich hierzulande hergestellt und gekauft werden, zehn Prozent weniger Steuern bezahlt werden sollen. Wichtig sei, so Linse, die Nachfrage in Deutschland für produzierte Güter nachhaltig zu steigern.
Was in Bad Wörishofen zum Thema Bürgergeld gesagt wurde
Die Unternehmenssteuern zu reduzieren, sei ein probates Mittel, um die Wirtschaft anzukurbeln, erklärte Steffen. Doch das eigentliche Problem seien die zu hohen Personalkosten und die damit verbundenen Sozialabgaben in Deutschland. Kuchlbauer bemängelte eine marode Infrastruktur und Geld, das im Land fehlgeleitet oder ins Ausland geht. All das führe zu einer schrumpfenden Wirtschaft. Der Meringer sprach sich in Bezug auf das Bürgergeld für eine „aktivierende Grundsicherung“ aus.
Bei der Energiepolitik forderte der AfD-Kandidat, aus dem Pariser Klimaschutzabkommen auszusteigen, das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu stoppen und zur Atomkraft zurückzukehren. Dem entgegnete Grünenpolitiker Linse, dass die Atomkraft ein „totes Pferd“ sei, das geritten werde. Der Memminger Softwareentwickler plädierte dafür, die Stromsteuer zu senken und an den gesetzten Klimazielen festzuhalten. Den Netzausbau voranzutreiben ist Steffen wichtig. Dorn hingegen sprach sich für eine dezentrale Stromversorgung aus. Man müsse auf geopolitische Veränderungen reagieren und Entscheidungen nötigenfalls korrigieren, so der Bad Grönenbacher.
Auch konnte das Publikum direkt Fragen an die einzelnen Kandidaten stellen. In Bezug auf den Ausbau der Betreuungsangebote in Kitas sei es wichtig, so Kuchlbauer, nicht nur in die Gebäude, sondern auch in Personal zu investieren: „Weniger Beton – mehr Pädagogik“ sei das Gebot der Stunde. Daniel Steffen, Offizier der Luftwaffe aus Amberg, sprach sich für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht aus, wenngleich das nicht die Linie der FDP sei. Offen und ehrlich gab Unionspolitiker Dorn zu, dass er sich in puncto eines neuen Abtreibungsgesetzes noch nicht festgelegt habe: „Mir ist wichtig, dass der Staat nicht in Familien rein regiert.“
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden