Für die Grünen ist es eine Zäsur, aber auch für den Wahlkreis Neu-Ulm insgesamt: Die Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz tritt nicht mehr an, nach mehr als 26 Jahren im Bundestag. Ihr Nachfolger als Kandidat für die Wahl am 23. Februar ist der 37-jährige Softwareentwickler Alpay Artun aus Neu-Ulm. Wie stehen seine Chancen und welche Themen sind ihm wichtig? Im Gespräch mit unserer Redaktion berichtete Artun, wie er zur Politik kam, wie er Diskriminierung erlebt hat und warum ihm die Frage, ob er kandidieren soll oder nicht, schlaflose Nächte bereitet hat.
Diese Themen sind Alpay Artun von den Grünen im Bundestagswahlkampf besonders wichtig
Artun bezeichnet sich selbst als „typisches Arbeiterkind“. Er war der erste in der Familie, der studiert hat, musste aber auf dem Weg zum beruflichen Erfolg „buckeln“ und sagt deshalb: „Die Chancen junger Menschen sollten nicht vom Geldbeutel oder vom Bildungsstand der Eltern abhängen. Das treibt mich an.“ Und weiter: „Ich möchte das deutsche Aufstiegsversprechen erneuern.“ Das beinhaltet für ihn auch den Kampf gegen Diskriminierung. Artun wuchs als Sohn einer alleinerziehenden Mutter auf, die am Wochenende putzen ging, um die Familie über die Runden zu bringen.
Eines Tages, als er gerade am Küchentisch seine Hausaufgaben machte, kam seine Mutter weinend nach Hause und sagte, dass sie kündigen werde, sie halte es nicht mehr aus. Sie sei bei der Arbeit gemobbt und rassistisch beleidigt worden. Diese Erfahrung habe ihn geprägt, sagt Artun. „Das vergisst man einfach nicht.“ Später machte der Bundestagskandidat, der seit 2017 die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, ähnliche Erfahrungen, die ihn politisiert haben. Als er vor einigen Jahren mit seinem Partner eine Wohnung besichtigte, habe der Makler zu ihm gesagt: „Eigentlich mag der Vermieter keine Türken. Aber weil Sie zwei Männer sind, ist das schon okay.“
Neben dem Thema Chancengleichheit ist es vor allem der Klimawandel, der ihn beschäftigt. „Ich setze mich dafür ein, dass Klimaschutz sozial gerecht ist und niemand dabei vergessen wird.“ Andernfalls seien die Maßnahmen zum Scheitern verurteilt. Auch bessere Bus- und Bahnverbindungen, Fahrradschnellstraßen und mehr Ladesäulen sind ihm wichtig. Außerdem würde er die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel abschaffen, sagt Artun, der ursprünglich nur zu den Grünen ging, um sein Vorbild Cem Özdemir im Wahlkampf zu unterstützen.
Vor etwa einem Jahr informierte ihn Ekin Deligöz darüber, dass sie nicht mehr antreten wolle. Er solle sich überlegen, ob er sich vorstellen könne, zu kandidieren. „Ich habe viele schlaflose Nächte verbracht“, gesteht Artun, der seit 2021 Bezirkssprecher der Grünen in Schwaben ist. „Ich habe einen Job, den ich liebe, und viele Ehrenämter. Oder ich gehe nach Berlin und habe eine 50-Stunden-Woche“, schildert er den Zwiespalt, in dem er steckte. Schließlich kam er aber zu dem Schluss, dass eine Kandidatur die beste Möglichkeit ist, um mit anzupacken. Außerdem sei es ihm wichtig, dass die Vielfältigkeit der Gesellschaft auch im Bundestag abgebildet werde.
Alpay Artun steht auf Platz 24 der Landesliste der Grünen in Bayern
Dass er nun als Kandidat auf Deligöz folgt, die so viele Jahre lang die Region in Berlin vertreten hat, sieht Artun als besondere Motivation: „Ekin Deligöz hat mir gezeigt, dass man es schaffen kann.“ Er wolle aber nicht in ihre Fußstapfen treten, sondern seinen eigenen Weg gehen.
Seine Chancen sind allerdings gering. Er steht auf Platz 24 der Landesliste. Derzeit stellen die bayerischen Grünen 19 Bundestagsabgeordnete. Die Ökopartei müsste also deutlich zulegen, damit Artun über die Liste den Sprung ins Parlament schafft. Der 37-Jährige lässt sich davon nicht entmutigen. „Die Wählerinnen und Wähler entscheiden, ob ich in den Bundestag komme oder nicht“, sagt er. Im Wahlkampf möchte er in den Landkreisen Neu-Ulm und Günzburg jeweils in fünf Orten an 500 Haustüren klingeln, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. „Es ist wichtig, dass man auf die Leute zugeht und nicht wartet, dass sie zu einem kommen.“
ich möchte Herrn Artun nicht zu nahe tretten, aber das Argument mit den Chancen für junge Menschen ist eine abgedroschene Floskel. In keinem Land hat man so gute Möglichkeiten im Schulsystem wie in Deutschland. Meine Wenigkeit hat mit 50 Jahren noch das Abitur abgelegt und anschließend ein Magisterstudium abgelegt. Es gibt den zweiten Bildungsweg, der oft besser ist als der erste. Da ich diesen beschritten habe, weiß ich, wovon ich spreche. Wie sagten die Philosophen der Antike so treffend, "vor dem Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt."
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