Jeder Mensch trägt Fröhlichkeitsbläschen in sich, die eigentlich für einen guten Start in den Tag sorgen könnten. Wenn da nicht die Frusties von außen wären, die die Freude dämpfen. Der Liedermacher Walter Spira erwies sich in seinem Konzert im Christophorus-Haus in Weißenhorn als wahrer „Frustschutzwächter“.
Vielen der rund 100 Zuhörer dürfte der gebürtige Neu-Ulmer durch seine bewegte Vergangenheit bekannt sein. Straßenmusikant, Fahrlehrer, Gastronom unter anderem am Ulmer Theater, Besitzer von Kleinkunstbühnen und seit 2017 „sehr stiller Teilhaber“ am Café Choclet in Ulm. Auftritte mit großen Bands oder, wie an diesem Abend, solo mit Gitarre und raumfüllender Stimme.
Spira erzählt in seinen Lieder auch von persönlichen Krisen
Gleich im ersten Lied zählt Spira die Stationen seines Lebens auf und verschweigt auch nicht die Zeiten der Krise. Seit mehr als 30 Jahren ist er nun trockener Alkoholiker, lange hat er gebraucht, bis er zu seiner heutigen Einstellung kam: „Seitdem ich mich selbst mag, können mich die anderen gern haben.“
Rasch bezieht Spira die Zuhörer in Weißenhorn ein, die etwa das fehlende Blasinstrument ersetzen müssen oder mit den Worten „Blink! Blink!“ an passender Stelle eine Bergzither imitieren sollen. Humorvoll nimmt er mit seinem Lied „Tschandall“ Helikoptereltern auf den Arm, die ihn als Musiklehrer anfragen. Die kleine „Tschandall“ hatte aber sowieso nie Zeit für Musik, da sie von Eiskunstlauf über Schulchor hin zur Laufstegschulung an jedem Tag Termine hat. Auch Samstag klappt es nicht, da dieser Tag für die Psychotherapie reserviert ist.
Der 72-Jährige hat selbst drei Kinder und sechs Enkelkinder, sodass er auch der jungen Zielgruppe etwas mit seinem „Oldtimer Rap“ bieten möchte. Dazu setzt er sich Schildmütze und Sonnenbrille auf, wirft sein Hemd weg und präsentiert ein T-Shirt mit der Aufschrift „Fuck the System!“. Und während er vom „Steppen mit Prothesen“ singt, bewegt sich Spira ausgelassen auf der Bühne. Doch mit dem Stück „Omm ...“, das von Yoga und Selbstfindung handelt, kommt der Sänger wieder zur Ruhe.
Neben den humorvollen Stücken kommt auch Nachdenkliches nicht zu kurz, ob es das Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ von Dietrich Bonhoeffer ist oder das irische Segenslied „Möge die Straße uns zusammenführen“. Walter Spira bezeichnet sich als spirituellen Menschen, der abseits von Kirchen oder Organisationen daran glaubt, dass es noch etwas jenseits des Sichtbaren gibt.
Hommage an andere Liedermacher
Auch Stücke von anderen Liedermachern sind, textlich meist ein wenig verändert, hat er im Programm: „Gut wieder hier zu sein“ von Hannes Wader oder „Uschi, mach‘ kein Quatsch“ von Stephan Sulke, Spira ergänzt das Lied aber um den gemeinsamen Besuch eines Töpferkurses. Und natürlich hat er Lieder des großen Vorbilds Reinhard Mey mit dabei. Bei „Gute Nacht Freunde“ wird die Zigarette und das letzte Glas im Steh‘n ergänzt um eine Strophe für Nichtraucher: Eine Yogurette und zwei Snickers müssen für den Abschied genügen.
Das Publikum war begeistert und spendete stehend langanhaltenden Applaus. Einladen kann man den Liedermacher auch zu Familienfeiern und insbesondere zu einem neuen Projekt: Auftritte in Seniorenheimen mit Stücken aus den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Und wer Auftritte im Freien mag, kann sich die Aufführung im Neu-Ulmer Glacis Park für den 8. August vormerken unter dem Titel „Mitsingen strengstens erlaubt!“.
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