Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs ging es ums nackte Überleben. Vor 80 Jahren, im Februar 1945, bekam auch das Ries den Luftkrieg zu spüren, der bis dahin vorwiegend Ballungsräume getroffen hatte. Fliegeralarm in immer kürzeren Abständen, der die Leute aus dem Tagesgeschäft riss und in die Luftschutzkeller zwang, Evakuierte aus ausgebombten Städten, die einquartiert werden mussten, an der Front stehende, gefallene oder vermisste Ehemänner, Väter und Söhne, eine immer schwieriger werdende Versorgungslage, immer schrillere Durchhalteparolen – da war es schwer genug, den eigenen „Alltag“ zu bewältigen, die nötigste Habe und vor allem sich selbst in Sicherheit zu bringen. Wer konnte sich dabei noch Gedanken um den Schutz von Kulturgut vor der Zerstörung machen? Gerade in Nördlingen stellte sich diese Frage in besonderem Maße, da seine Identität als „lebende Stadt des Mittelalters“ auf seinem reichen kulturellen Erbe beruhte.
Bis jetzt hatten der historische Baubestand, die Kunstschätze in den Kirchen und im städtischen Museum, die einzigartige Überlieferung im Stadtarchiv und die wertvollen Bibliotheksbestände die Jahrhunderte weitgehend unbeschadet überdauert. Dass sie auch die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs überstanden haben, ist in erster Linie einer großen Portion Glück, aber auch entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen zu verdanken.
Zweiter Weltkrieg: Kein Licht im Dunkeln, um für Angriffe nicht gut sichtbar zu sein
Wie überall galt seit Kriegsbeginn ein strenges Verdunkelungsgebot, um nicht als potenzielles Angriffsziel aus der Luft sichtbar zu sein. Zur Verringerung der Brandgefahr mussten die Speicher entrümpelt und Eimer mit Löschsand aufgestellt werden. In öffentlichen Gebäuden und großen Betrieben wurden Luftschutztrupps aufgestellt, um bei Feuer schnell Löschketten bilden zu können.
Schon am 26. August 1939, also sechs Tage vor dem deutschen Überfall auf Polen, erließ der Reichsminister der Luftfahrt eine Verordnung zum Schutz von Kulturgut. Die Kunstgegenstände und historischen Dokumente mussten in drei Kategorien eingeteilt werden: 1. Unersetzliche, 2. besonders wertvolle, und 3. alle übrigen Kulturgüter. Während die ersteren beiden an unbedingt bzw. bedingt sichere Bergungsorte verlagert und regelmäßig überwacht werden sollten, konnten letztere an Ort und Stelle bleiben; Fenster und Türen mussten aber gegen Granatsplitter abgesichert werden.

Nördlingens Stadtarchivar Dr. Gustav Wulz musste Kulturgüter schützen
In Nördlingen fiel diese Aufgabe dem Stadtarchivar Dr. Gustav Wulz (1899–1981) zu, der dabei rasch an Grenzen stieß. Die wertvollsten Gegenstände wie die spätgotischen Gemälde von Herlin wurden aus dem Museum, das sich damals in der Bundesstube des Rathauses befand, ins Stadtarchiv im gewölbten und damit stabileren Erdgeschoss des Rathauses verbracht. Das bis zum Erdrücken mit Akten und Bänden überfüllte Archiv war der einzige zur Verfügung stehende Raum, der halbwegs den Anforderungen entsprach. Einige Stücke konnten noch im Tresor der Kreis- und Stadtsparkasse untergebracht werden. Die übrigen Museumsgegenstände blieben an Ort und Stelle, da nirgends mehr Platz war. Trotz wiederholter Nachfragen von höherer Stelle, ob wirklich alles zum Schutz des Kulturguts getan wurde, begnügte man sich in Nördlingen notgedrungen mit diesen Erstmaßnahmen.

Wie sehr man die Gefahr unterschätzt hatte – im letzten Krieg 1914/18 waren die Front weit weg und Luftangriffe noch unbekannt gewesen –, wurde den Nördlingern in der Nacht zum 13. Oktober 1941 schlagartig bewusst. Britische Flieger warfen 900 Brand- und Minenbomben auf Lauingen ab, das so zum ersten Opfer des Luftkriegs in Nordschwaben wurde. Einer der Flieger merkte offenbar wenig später, dass er nicht seine ganze todbringende Fracht abgeworfen hatte, und ließ die letzten Bomben über Nördlingen fallen. Eine landete einen Volltreffer auf das Hotel „Deutsches Haus“ und sorgte für fünf Todesfälle.

Sichere Unterbringung: Das Erdgeschoss des Nördlinger Daniel fiel wegen der Holzdecke aus
Der erste Fliegerangriff in der Region wurde zum Fanal und setzte weitere Maßnahmen zur Sicherung des wertvollen Museums- und Archivguts in Gang. Vor den Archivfenstern wurde ein Splitterschutz angebracht, und auch für die Kunstschätze in den Nördlinger Kirchen wurden nun bombensichere Bergungsorte gesucht. Die Figuren und Tafeln des Altars in St. Salvator brachte man in der Sakristei unter, für die kostbarsten Stücke aus St. Georg wurde eigens ein splittersicherer Raum im nördlichen Orgelemporenaufgang geschaffen; das massive Erdgeschoss des Daniels schied wegen seiner Holzdecke aus, da man befürchtete, sie könne von den herabfallenden Glocken durchschlagen werden.

Ende Februar 1944 legte ein britischer Luftangriff Augsburg in Schutt und Asche. Man sah nun die Zwecklosigkeit des Bretterverschlags vor den Archivfenstern ein und wollte sie zumauern lassen. Stadtarchivar Wulz begann, die ältesten und wertvollsten Archivalien und Bücher in das Gefängnis unter dem Rathaus zu schaffen; Zweitexemplare von seltenen Nördlinger Drucken vertraute er Rieser Lehrern zur Verwahrung an. Anders als die großen Archive in München, die ihre Bestände über halb Bayern verteilten – auch in Nördlingen liefen Züge voller Akten ein, die hier verladen und ins Schloss Hirschbrunn transportiert wurden –, lehnte Dr. Wulz das Auslagern des Nördlinger Archivs ab. Im ganzen Ries gebe es keinen geeigneteren Raum als das massive Rathausgewölbe (kühl, trocken, ungezieferfrei, bombensicher), und ein Abtransport des Archivguts würde „eine solche Unordnung in diese großen Bestände bringen, dass sie in ihrer Auswirkung fast dem Verlust des Archivs gleichkäme“.
Donauwörth wurde von Bomben in eine Trümmerwüste verwandelt
Nach Fliegerangriffen am 22. und 23. Februar 1945 auf die Nördlinger Bahnhofsgegend und Oettingen, wo 200 Menschen zu Tode kamen, traf am Karfreitag (30. März) eine Bombe die Georgskirche und richtete schwere Schäden an. Kunstgegenstände lagen unter einem Berg aus Schutt und Orgelpfeifen begraben, der sich bis zum Kanzeldeckel auftürmte. Erst jetzt flüchtete man die wertvollsten Objekte in Dorfkirchen der Umgebung; die Altarfiguren, unersetzliche Meisterwerke der Spätgotik, kehrten 1947 unbeschadet aus der Möttinger Kirche zurück.
Bei den schweren Luftangriffen im April 1945 kam Nördlingen vergleichsweise glimpflich davon. Donauwörth hatte weniger Glück: 53.000 Bomben verwandelten die Stadt wenige Tage vor Kriegsende in eine Trümmerwüste, es gab 300 Todesopfer. Angesichts dessen mögen die Verluste und bis heute nachwirkenden Schäden des Donauwörther Archivs nebensächlich wirken. Dennoch: Was damals zerstört wurde, ist unwiederbringlich verloren. Was wären wir ohne unser kulturelles Erbe?
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