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17 Jahre alter „Streichbruder“ ärgert Japan

Influencer

Tiktoker „Streichbruder“ nervt halb Japan mit lauter Musik und Backflips

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    Streichbruder hält den Rekord im Rückwärtssalto-Schlagen. Mehr als eine Million Menschen folgen ihm im Netz.
    Streichbruder hält den Rekord im Rückwärtssalto-Schlagen. Mehr als eine Million Menschen folgen ihm im Netz. Foto: Daniel Wirsching

    Die Pendlerinnen und Pendler in der U-Bahn von Tokio ahnen noch nichts, als ein Typ mit riesigem Lautsprecher einsteigt. Dann aber kann ihn niemand mehr ignorieren: der Bass, die dröhnenden Autotunes, sein wildes Getanze. Ein Mann hält sich die Ohren zu, ein anderer sieht peinlich berührt weg. Dieser blonde Typ im schwarzen Kapuzenpullover findet das aber nicht peinlich. Er tanzt fröhlich weiter, für die Kamera vor ihm.

    Videos wie dieses kursieren seit einigen Tagen in Japan. Sie stammen vom Influencer Streichbruder, einem wohl 17-jährigen aus Bayern, der quer über Plattformen wie Instagram, Tiktok und Youtube mehr als eine Million Fans hat. Online-Quellen zufolge stammt er aus dem Raum Rosenheim. Sein Konzept: In diversen Ecken der Welt filmt er sich, wie er an eigentlich ungeahnten Orten laut Musik hört, tanzt und Rückwärts-Salti, sogenannte Backflips, macht.

    In Tokio gehört es zum guten Ton, sich ruhig zu verhalten

    Mit solchen Videos ist der bis dahin in Japan völlig unbekannte Typ auch hier zu einer Berühmtheit geworden. Allerdings nicht nur im positiven Sinn: Einige Videos zeigen ihn zwar umzingelt von einer begeisterten Menge. Aber längst ist auch klar, dass sich viele in Japan über ihn aufregen. Denn gerade in den oft überfüllten U-Bahnen gehört es zum guten Ton, sich ruhig zu verhalten.

    „Das störende Verhalten an Bord der Züge der Yamanote-Linie ist zu einem heißen Thema geworden“, berichtet das beliebte Onlineportal Yahoo Japan. Das sich an ausländische Bewohner Japans richtende Medium Tokyo Weekender titelt: „Die Tokioter Zug-Possen von TikToker Streichbruder lösen Empörung aus.“ Im Text wird erwähnt, dass der Influencer seit Kurzem einen Eintrag im Guinessbuch der Rekorde für die meisten Backflips binnen 30 Sekunden hat. Aber auch, dass das in Japan nicht alle interessiert.

    Die weltberühmte Shibuya-Kreuzung ist eine der berühmtesten Sehenswürdigkeiten in Japan.
    Die weltberühmte Shibuya-Kreuzung ist eine der berühmtesten Sehenswürdigkeiten in Japan. Foto: Jan Woitas, dpa

    So schreibt der japanische Journalist Taichi Soga auf X, während er eines der Videos von Streichbruder verlinkt: „Ich frage mich, ob das hier wohl der Grund ist, warum die Deutsche Botschaft die Reisenden aus Deutschland dazu aufruft, sich an Regeln zu halten.“

    Streichbruder ist bei Weitem nicht der einzige Besucher aus dem Ausland, der Verstimmungen auslöst. Ein paar Beispiele: Im vergangenen Herbst sorgte eine Tanzgruppe aus New York mit Videos aus japanischen Zügen, ähnlich wie jene von Streichbruder, für Ärger. Im Sommer 2024 war ein Österreicher verhaftet worden, nachdem er Sex auf dem Gelände eines Schreins hatte, also einer Heiligenstätte der Urreligion Shinto. Kurze Zeit später machte eine chilenische Turnerin Schlagzeilen, weil sie an einem Torii, also einem der Eingangstore zu Schreinen, Klimmzüge gemacht hatte.

    Tourismuszahlen in Japan haben sich versechsfacht

    Die Zyniker im Land sagen nun: Das kommt davon, wenn man einen Tourismusboom herbeisehnt. Denn Japans Regierung beschloss vor gut zehn Jahren, dass das Land, in dem die Bevölkerung altert und schrumpft, auf den Fremdenverkehr setzen müsse. Seitdem wurden überall Hotels gebaut. Japan begann, intensiv seine Schönheit in Sachen Kultur und Natur zu bewerben.

    Mit Erfolg: JTB, die führende Reiseagentur, prognostiziert für 2025 insgesamt 40 Millionen aus dem Ausland kommende Reisende in Japan. Gegenüber 2011, als kurz vorm Start der Tourismusstrategie noch 6,2 Millionen ins Land kamen, wäre das deutlich mehr als eine Versechsfachung. Aber was finanziell ein großer Gewinn ist, wird für viele eben zusehends zum Ärgernis. Der Tourismusboom fällt in eine Zeit, in der sich Japan – wo vor einigen Jahren noch kaum zwei Prozent der Bevölkerung im Ausland geboren waren – in hohem Tempo internationalisiert.

    Streichbruder bestätigt japanisches Klischee über Ausländer

    Streichbruder, der Japan mittlerweile schon wieder verlassen hat und nun in Los Angeles weitere Videos von sich aufnimmt, hat bis Mittwochnachmittag auf eine Presseanfrage nicht reagiert. Dafür hat sich unterdessen ein anderer Influencer aus Deutschland gemeldet. Misterkruger1, der auf Instagram Videos über sein Leben in Japan teilt, erhielt für ein Video immerhin gut 10.000 Likes, in dem er an Streichbruder die Worte richtet: „Sei nicht so ein Negativvorbild!“

    In Japan gelte Streichbruder nämlich schon als der neueste „Skandaltourist“. Misterkruger1 mahnt: „Der Ruf von Touristen in Japan geht gerade sowieso immer mehr den Bach runter.“ Er möge doch bitte seine Videos aus dem Netz nehmen. Ansonsten werde nur wieder ein altes japanisches Klischee über Ausländer breitgetreten: dass sich diese Fremden einfach nicht benehmen können.

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