Der Wald steht weiß und schweiget. Es ist eine abweisende Welt voller Kälte, in der zwei aufgebrachte junge Tierschützerinnen vor einer gewilderten Rehricke stehen. Dann durchschlägt eine Kugel den Kopf eines der Mädchen und das zweite rennt um sein Leben. Was für ein heftiger Auftakt zu einem Sonntagskrimi, der in diesem beginnenden Sommer für 89 Minuten eine Kälte ins Wohnzimmer haucht, die einen frösteln lässt– aber der einen nicht kaltlässt. Dieser Rostock-Polizeiruf „Böse geboren“ (Sonntag, 20.15 Uhr, ARD) hat es in sich, im wahrsten Sinne des Wortes.
Er ist der Sohn eines Frauenmörders
Das Polizeiteam ermittelt dieses Mal jenseits von Stadt und Küste im Wald, denn dort betreiben die innerlich verhärtete Eva Greuner (Jördis Triebel) und ihr extrem verschlossener Sohn Milan (Eloi Christ) eine kleine Fischräucherei. Er ist ein Außenseiter, Kind eines mehrfachen Frauenmörders, das Produkt einer Vergewaltigung. Sie liebt den störrischen Jungen trotzdem, misstraut ihm aber. Was, wenn sich das Böse des Vaters im Kind fortgepflanzt hat? Weil der Junge mit dem Gewehr durch den Wald streift, manchmal blutig ist, aber nichts erzählt, gerät er schnell in den Verdacht, der Mörder der Aktivistin zu sein.

Milan ist nicht der Einzige, der sein Herz nicht auf der Zunge trägt. Da gibt es noch die Förstersfamilie, in der es innen genauso kalt zugeht, wie draußen im Wald. Und auch die Ermittlerinnen Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Nelly Böwe (Lina Beckmann) tragen ihre persönlichen Päckchen lieber stumm mit sich herum – wobei Böwe im Laufe der Story ein unerwartetes Bekenntnis ablegt, das ebenfalls mit einem gewalttätigen Ereignis zu tun hat. Privates und Ermittlungsarbeit greifen da wieder ineinander, allerdings nicht so aufdringlich, wie in manchem „Tatort“-Team.
In „Böse geboren“ geht es eben nicht so sehr um Befindlichkeiten von Polizisten, sondern darum, was einmal erlebte Gewalt in Menschen anrichten kann und ob dieses Böse tatsächlich weitergegeben wird. Das wird es in dieser Folge durchaus, wenngleich nicht genetisch, sondern durch die schlimmen Erfahrungen, die ein Leben geprägt oder auch versaut haben.
Dieser „Polizeiruf“ lässt einen nicht kalt
Das Drehbuch von Catharina Junk und Elke Schuch ist stimmig, kommt zum Glück völlig ohne belehrende Vorträge aus. Leiden und Verzweiflung spiegeln sich in den Gesichtern und kleinen Gesten wider. Weil dies ein „Polizeiruf“ über dunkle Familienverhältnisse ist, der kein Fünkchen Freude oder Hoffnung ausstrahlt, hat ihn Regisseur Alexander Dierbach in fahlen Farben als Winter-Wald-Krimi mit leichten Horror-Elementen (zerschossene Schaufensterpuppen hängen von Bäumen) inszeniert, der perfekt zu einem todtrüben Novembertag gepasst hätte. Bei all der gedrückten Stimmung, die hier vermittelt wird: Es ist eine packende Folge geworden, die einen – im Gegensatz zum Dragqueen-Kasperltheater des jüngsten Münchner „Polizeirufs“ – tatsächlich berührt zurücklässt.

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