Haare machen Königinnen und Präsidenten, Haare sind politisch. Und, dieses Zitat kommt im neuen „Tatort“ aus der Schweiz immer wieder vor: Haare sind der Sitz der Seele. Im Zürcher Fall mit dem Titel „Rapunzel“ (Sonntag, ARD, 20.15 Uhr), sind Haare außerdem ein kriminelles Geschäft.
Ein ganzer Lagerraum voller Echthaar wird in Zürich ausgeraubt. Eine junge Frau hängt tot in einer Baumkrone – mit stumpf abgeschnittenem Haar. Es ist Vanessa Tomasi (Elena Flury), Tochter eines alteingesessenen Zürcher Coiffeurs. Ihre Haarfarbe: wertvolles Blond. Auch sie machte eine Lehre im Friseurhandwerk, allerdings in der Perückenmanufaktur von Aurora Schneider (Stephanie Japp). Eine Horrorbude ist das, immer düster, Büsten mit toten Augen, potenzielle Mörderhände beim Waschen abgeschnittener Zöpfe. Das schafft natürlich Atmosphäre, sorgt aber auch dafür, dass man als Zuschauerin und Zuschauer das Perückenknüpfen, ohnehin immer noch ein gesellschaftliches Tabuthema, mit einem gewissen Grusel verfolgt.

Zum Glück kommt Licht in diese Schattenwelt, denn die Kommissarinnen Tessa Ott (Carol Schuler) und Isabelle Grandjean (Anna Pieri Zuercher) blicken bei der Tätersuche nach und nach tief ins Haargeschäft hinein, die berühmteste Krimireihe Deutschlands wird zum Bildungsfernsehen.
Nach diesem Schweizer „Tatort“ ist man klüger
Selten hat man in einem „Tatort“ so viel gelernt – noch dazu über ein Thema, bei dem sicher die wenigsten sich auskennen; und auch heilfroh darüber sein dürfen, dass sie nicht betroffen sind. Da ist das adelige Ehepaar des Großunternehmens „Majestic Hair“. Sein Geschäft basiert auf dem Haar indischer Frauen, ursprünglich abgeschnitten als Opfergabe für Tempelrituale. Die Firma kauft es millionenfach auf, macht Extensions und Echthaarperücken daraus. Auch in der Realität funktioniert das so. „Jede Frau, die was auf sich hält, hat ein Set Clipping Extensions griffbereit“, sagt der schnöselige Firmenchef Rudolf von Landegg – ausgerechnet zu Ott, die im ganzen „Tatort“ keinen Kamm in die Hand nimmt.
„Tatort“ aus der Schweiz erklärt religiöse Vorschriften
Eine Spur führt in die Welt orthodoxer Jüdinnen. Sie zeigen ihr echtes Haar nie öffentlich, tragen einen „Scheitel“, also eine Perücke, wann immer sie das Haus verlassen. Das Haar muss koscher sein, darf nicht aus Tempelgaben stammen. Waren die Tote und ihre braun gelockte Freundin Lynn (Elsa Langnäse) einem Betrug mit religiösen Gefühlen auf der Spur?
Die Sache ist spannend, aber der Fall von Regisseur Tobias Ineichen und Drehbuchautor Adrian Illien verfranst sich wie so oft in zu vielen Handlungssträngen. „Ernsthaft jetzt? Geschorenes Opfer, gestohlene Haare, falsche Perücken und... ein Bootsunfall?“, sagt Grandjean einmal sogar selbst, als die Geschichte eine weitere Wendung nimmt. Man müsste noch hinzufügen: ein unglücklich verliebter Geschäftsmann, ein trauernder Gatte, eine renitente Mutter. Am Ende, als nicht Rapunzel ihr Haar herunterlässt, sondern eine der Hauptpersonen aus einem Hochhausfenster hängt, ist man zwar nicht ganz überzeugt von der Auflösung, hat aber eines verstanden: dass Haare oft Würde bedeuten.
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