Wien hat Wut im Bauch. 40.000 Demonstrierende ziehen durch die Donaumetropole: Querdenker, Verschwörungsideologen, Demokratiefeinde – nicht wenige von ihnen gewaltbereit. Und als der Demozug weitergeht, bleibt zwischen leeren Bierdosen und zertretenen Plastikbechern ein toter Demonstrant auf der Straße zurück. War es ein übermütiger Polizist, der im hektischen Gedränge mit dem Schlagstock ein wenig zu hart zuschlug?
Das ist die Ausgangsfrage im Wien-Tatort „Wir sind nicht zu fassen“ (ARD, Sonntag, 20.15 Uhr). Es ist bereits der 35. gemeinsame Fall der Ermittler Bibi Fellner und Moritz Eisner (Adele Neuhauser und Harald Krassnitzer), die im kommenden Jahr in die wohlverdiente Tatort-Rente gehen. Das Duo nimmt unverzüglich die Arbeit auf – und als Erstes die eigenen Kollegen ins Visier. Die sind wenig erfreut über das Störfeuer im gewalttätigen Demo-Trubel. Der Zugführer, dem Fellner auf den Zahn fühlt, verabschiedet sich mit typischem Wiener Grant: „Wir gehen a' weng die Demokratie b'schützen, wenn's recht ist.“

Apropos Grant: Schlechte Laune herrscht in „Wir sind nicht zu fassen“ an jeder Ecke. Aggressive Staatsfeinde auf der einen, zornige Polizisten auf der anderen Seite, und genervte Ermittler zwischen den Fronten. Unterstützt wird die Stimmung durch filmische Mittel: Der hektische Schnitt und die wacklige Handkamera sorgen den ganzen Film hindurch für Unruhe und Stress – was gut passt, auf Dauer aber auch ganz schön anstrengend wird.
Thematisch ist „Wir sind nicht zu fassen“ ein Volltreffer, keine Frage. Nicht erst seit gestern brodelt die Stimmung in Deutschland und Österreich gleichermaßen, fast hat man sich daran gewöhnt, dass dauer-erregte Schreihälse auf der Straße Sinn und Legitimation unserer Demokratie infrage stellen – und auch Berichte über gewalttätige Zusammenstöße mit der Polizei sind leider eher Alltag als Ausnahme. Diese Gemengelage greift der „Tatort“ messerscharf und klug auf. An einer Stelle analysiert ein Geheimdienst-Ermittler die Demonstranten: „Gegen die Eliten, gegen den Mainstream – nicht so wichtig. Hauptsache, man ist dagegen. Dann kriegt man Aufmerksamkeit, fühlt sich einzigartig. Das ist eine Art kollektiver Narzissmus, ich, ich, ich. Das Gegenteil von ‚Wir‘.“ Ein Statement zum Einrahmen.
„Tatort“ aus Wien: Kluges Thema, aber mangelhafte Umsetzung
So klug dieser Krimi an mancher Stelle ist, so überfordert wirkt er doch an vielen anderen. Der ziemlich dünne Mordfall kann den Film nicht über 90 Minuten tragen. Also wird noch eine rechtsextreme, international verknüpfte Verschwörung hineingemixt, die nicht weniger als die Machtergreifung in Österreich plant. Die realen Anlehnungen sind offensichtlich – Prinz Reuß lässt grüßen –, aber hier eröffnet der Film dann auch eilig Dimensionen, die weit über seiner Kragenweite liegen. Generell wirkt die Szene der Demokratiegegner an vielen Stellen eben doch arg überzeichnet, als ob man solche Leute noch weiter verzerren müsste. Wer diese Szene so primitiv herunterbricht, tut sich keinen Gefallen, sondern gießt nur Öl in eine ohnehin schon geladene Gemengelage. Die angehängte Verschwörungskiste derweil ist maßlos unterentwickelt, kommt viel zu plötzlich und wirkt eher lächerlich als bedrohlich: ein paar wichtigtuerische Spinner mit Allmachtsfantasien, Klappe, aus. Na ja.
Schlussendlich muss man resümieren: Hier kann man den Fernseher getrost auslassen und lieber selbst demonstrieren gehen – idealerweise für die Demokratie, nicht dagegen. Natürlich ganz ohne Gewalt und brav angemeldet, versteht sich!
„Die könnte man auch beim Schauen bekommen.“ Oder beim Lesen dieses Kommentars. Bibi Fellner und Moritz Eisner sind einfach unübertroffen klasse. Wer den Wiener Schmäh nicht mag, braucht den Tatort aus Wien auch nicht anzuschauen, ganz einfach.
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