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Präsident der Bayerischen Landesärztekammer: „Wir haben nicht ausreichend verstanden, wie gefährlich Hitze sein kann.“

Interview

„Wir haben gesellschaftlich nicht ausreichend verstanden, wie gefährlich Hitze sein kann“

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    Wassersprüher, die es vielerorts schon gibt, bringen Abkühlung an Hitzetagen. Doch bleibt noch viel zu tun, sagt der Präsident der Bayerischen Landesärztekammer.
    Wassersprüher, die es vielerorts schon gibt, bringen Abkühlung an Hitzetagen. Doch bleibt noch viel zu tun, sagt der Präsident der Bayerischen Landesärztekammer. Foto: Andy Brownbill, dpa (Symbolbild)

    Extreme Hitze- und Dürreperioden häufen sich in Deutschland und werden für viele Menschen zur Herausforderung. Welche Auswirkungen hat Hitze auf die menschliche Gesundheit?
    GERALD QUITTERER: Hitze ist möglicherweise das größte klimabedingte Gesundheitsrisiko in Deutschland. Die Folgen reichen von akuten Hitzeschäden bis zur Verschlechterung chronischer Erkrankungen. Studien zeigen zudem, dass Hitzewellen die Psyche belasten und das Risiko für Depressionen, Angststörungen oder posttraumatische Belastungsstörungen erhöhen. Von den körperlichen Risiken sind besonders chronisch Erkrankte, Schwangere, Arbeiterinnen und Arbeiter im Freien sowie Kinder und Jugendliche betroffen. Laut aktuellem DAK-Report 2025 haben Kinder ein bis zu neunfaches höheres Risiko für Hitzeerkrankungen. Problematisch sind hier Schulsportfeste mit Teilnahmepflicht - Ärztinnen und Ärzte sehen abends vermehrt Kinder mit Kopfschmerzen, Schwindel oder Erbrechen nach Sport bei Hitze. Ich möchte niemandem die Freude am Sommer nehmen, doch wir haben gesellschaftlich nicht ausreichend verstanden, wie gefährlich Hitze sein kann.

    Wenn jetzt nicht mehr Hitzeschutz-Maßnahmen umgesetzt werden – wie sehen die Folgen in etwa zehn Jahren aus?
    QUITTERER: Ich möchte mich nicht an dystopischen Zukunftsszenarien beteiligen. Was wir jedoch wissen: Im vergangenen Jahr hatten wir erneut eine Zunahme extremer Hitzetage wie im Vorjahr und eine Erwärmung von bereits 1,62 Grad Celsius – das Pariser Klimaziel von 2015 ist überschritten. Geht diese Entwicklung weiter, bedeutet das 0,4 Grad Temperaturzunahme pro Jahrzehnt. Wir müssen vom Reden ins Handeln kommen. Mehr Grün und Wasser in den Städten könnte beispielsweise hitzebedingte Todesfälle reduzieren. Ich denke auch an Veränderungen der Lebens- und Arbeitswelten sowie den Schutz unserer Gewässer, um nur einiges zu nennen.

    Welche kurzfristigen Maßnahmen des Hitzeschutzes haben sich dabei besonders bewährt?
    QUITTERER: Wir brauchen dringend Musterhitzeschutzpläne auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Hier geht darum, Schattenplätze einzurichten, kühle Orte auszuweisen und mehr Grün zu pflanzen. Was sich bewährt hat: Man muss sich dem Thema stellen, Hitzeschutzpläne etablieren, Verantwortliche benennen und sich auf kommunaler Ebene vernetzen, damit man die Aktivitäten bündeln kann.

    Was sind die wichtigsten langfristigen Schritte, die für die Hitzevorsorge getan werden müssen?
    QUITTERER: Grundlegend sollte das Thema Hitzeschutz noch sichtbarer werden. Zusätzlich müssen wir unsere Kampagnen verstärkt an die Lebenswelten von Kindern richten, an soziale Hilfseinrichtungen oder Betriebe - ganz nach dem Motto „Gib Hitze keine Chance“. Wir benötigen mehr Informationen für die Allgemeinbevölkerung, denn durch den demografischen Wandel wird die Risikogruppe der älteren und chronisch kranken Menschen größer. Genauso müssen wir die Kommunen sensibilisieren und diesen Handlungsleitfäden an die Hand geben. Auch die Gesundheitseinrichtungen müssen ihren Beitrag leisten – einerseits um selbst hitzeresilient zu werden, andererseits, um ihre Patientinnen und Patienten bestmöglich zu versorgen und vor hitzebedingten Erkrankungen oder Todesfällen zu schützen.

    Im Sommer 2023 hat der Bundesgesundheitsminister einen nationalen Hitzeschutzplan ins Leben gerufen – was hat sich bewährt, was wurde umgesetzt und wo muss nachgebessert werden?
    QUITTERER: Der nationale Hitzeschutzplan war ein erster Schritt zur besseren Vorbereitung auf gesundheitliche Hitze-Risiken. Mit den bundesweit abgestimmten Empfehlungen für Pflegeeinrichtungen sowie Musterplänen für Krankenhäuser und Praxen liegt erstmals eine gemeinsame fachliche Grundlage für Schutzmaßnahmen im Gesundheitswesen vor. Unabhängig vom Plan werden derzeit weitere Vorhaben umgesetzt. Dazu zählt etwa die Weiterentwicklung des Hitzemonitorings am Robert Koch-Institut. Zudem wird gemeinsam mit anderen Bundesressorts und den Ländern eine Krisenübung vorbereitet. Dennoch bleiben zentrale Probleme ungelöst: Zahlreiche Maßnahmen beruhen auf freiwilliger Umsetzung, eine gesicherte Finanzierung auf Ebene der Kommunen ist vielerorts nicht gewährleistet, und die Rollenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen ist bislang nicht eindeutig geregelt. Für einen wirksamen Hitzeschutz im gesamten Bundesgebiet braucht es verbindliche Vorgaben, eine verlässliche finanzielle und organisatorische Grundlage sowie eine systematische Einbindung des öffentlichen Gesundheitsdienstes.

    Gerald Quitterer, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, warnt eindringlich: „Hitze ist möglicherweise das größte klimabedingte Gesundheitsrisiko in Deutschland.“
    Gerald Quitterer, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer, warnt eindringlich: „Hitze ist möglicherweise das größte klimabedingte Gesundheitsrisiko in Deutschland.“ Foto: Bayerische Landesärtzekammer (Archivbild)

    Zur Person

    Gerald Quitterer, Facharzt für Allgemeinmedizin, ist seit 2018 Präsident der Bayerischen Landesärztekammer. Die Landesärztekammer ist Teil des „Bündnis Hitzeschutz Bayern“.

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    1 Kommentar
    Lothar Bock

    Mit ganz viel gesundem Menschenverstand kann man der Hitze entgehen oder zumindest erträglicher machen, ob es dazu Bürokratismus in Form von Hitzeschutzplänen etc braucht, wage ich zu bezweifeln (wäre aber typisch deutsch). Deutschland liegt auf der Rangliste der wärmsten Länder etwas auf Platz 163 (bzw. gehört zu den 30 kältesten Länder der Erde) - da darf man sich schon fragen, ob ein derartiger Hitzefokus nötig bzw gerechtfertigt ist.

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