Experte: "Wir brauchen endlich eine Strategie gegen den Terror“
Nach dem Anschlag in Berlin erklärt Terrorexperte Peter Neumann die perfide Taktik der Täter - und kritisiert Versäumnisse der Politik.
Peter Neumann gilt als einer der renommiertesten Terrorismusexperten der Welt. Der 41-Jährige ist Professor am Londoner King’s College. Im Interview spricht über den Anschlag von Berlin:
Die Bilder aus Berlin erinnern an Nizza. Ist das ein Hinweis auf eine Beteiligung des Islamischen Staates?
Peter Neumann: Das ist sicher ein wichtiger Referenzpunkt. Ein zweiter sind die Anschläge Ende 2014 auf Weihnachtsmärkte in Frankreich. Damals sind Autos in Menschengruppen gefahren. Wenn man das alles zusammenzählt und die Strategie des Islamischen Staates berücksichtigt, wäre es nicht überraschend, wenn am Ende dieser Geschichte stehen würde, dass der IS oder eine andere dschihadistische Gruppe hinter dem Anschlag in Berlin steht.
War der Zeitpunkt der Tat symbolträchtig? Wenige Tage vor Weihnachten und mitten in einer Phase, in der der IS in Syrien an Boden verliert...
Neumann: Das kann schon sein, man muss aber sagen, dass die Terrorgefahr in Deutschland auch vor diesem Anschlag schon sehr hoch war – höher als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in den letzten 15 Jahren. Der IS hat schon das ganze Jahr über versucht, Deutschland zu treffen. Einige dieser Versuche schlugen fehl, im Sommer wurden aber auch zwei Anschläge durchgeführt: in Würzburg und Ansbach. Hier kamen allerdings letztendlich nur die Attentäter selbst um. Deutschland ist also schon länger im Fadenkreuz. und jetzt hat es für die Terroristen leider geklappt.
Rechnen Sie also mit weiteren Anschlägen?
Neumann: Wenn ein Anschlag gelingt, wollen Terroristen natürlich das Momentum nutzen und versuchen, Anhänger anzustiften, Ähnliches zu tun. Deswegen sagen Sicherheitsbehörden auch, dass die Zeit direkt nach einem Anschlag die labilste und gefährlichste ist. Eben weil es die Gefahr der Nachahmer gibt.
Barrieren hätten Weihnachtsmarkt in Berlin sichern können
Kann man Veranstaltungen wie einen Weihnachtsmarkt überhaupt sichern oder wurde in Berlin etwas versäumt?
Neumann: Mich hat es schon gewundert, dass bei dem Weihnachtsmarkt in Berlin nicht mehr Barrieren aufgebaut waren. Vor allem nach dem Anschlag in Nizza, wo ja klar war, wie eine Terrortaktik mit einem Lkw aussehen kann. Und erst im letzten Monat wurde im Online-Magazin des IS diese Taktik wieder beschrieben. Da müsste man sich eigentlich routinemäßig bei allen öffentlichen Ansammlungen aus polizeilicher Sicht die Frage stellen, wie man dafür sorgen kann, dass es ein Lastwagen nicht schafft, in eine Menschenmenge zu rasen.
Die CSU fordert, dass man über „die Risiken durch Flüchtlinge“ reden müsse. Wurde das Thema unterschätzt?
Neumann: Ob es uns gefällt oder nicht: Wir müssen anerkennen, dass es innerhalb der Gruppe derer, die über den Flüchtlingsstrom nach Deutschland gekommen sind, Leute gibt, die sich hier radikalisiert haben oder die bereits als Islamisten ins Land kamen. Deren Zahl ist nach wie vor sehr gering, und es ist wichtig, nicht alle Flüchtlinge als potenzielle Terroristen vorzuverurteilen – viele halfen ja auch schon, mögliche Täter zu identifizieren. Aber auf der anderen Seite sind Dschihadisten unter den Flüchtlingen die Gefährdergruppe, die die Behörden am schlechtesten kennt. Oft weiß niemand, was ein Flüchtling vor seiner Ankunft in Deutschland gemacht hat, und in vielen Fällen kennt man nicht mal den echten Namen. Ich bin – übrigens wie Verfassungsschützer – davon überzeugt, dass der IS versucht, gerade Flüchtlinge zu Anschlägen zu mobilisieren, weil er sich bewusst ist, welche politische Sprengkraft das in Deutschland hat.
Wie soll die Politik auf den Anschlag in Berlin reagieren?
Wie soll die Politik nun mit der Situation umgehen?
Neumann: Man darf weder überreagieren noch darf man sagen, das ist keine Gefahr. Was wir dringend brauchen, ist eine umfassende Anti-Terrorismus-Strategie. Nach jedem Anschlag oder Anschlagsversuch wird eine neue politische Sau durchs Dorf getrieben: Einmal reden wir über Gesichtserkennung, dann über das Burkaverbot. Aber keiner glaubt, dass irgendeine dieser Maßnahmen die Wunderwaffe gegen den Terror ist. Wir brauchen endlich eine Strategie, die alles zusammenbringt: die Zusammenarbeit von Behörden, das komplexe Thema der Prävention, eine bessere personelle Ausstattung, die Frage der Befugnisse der Sicherheitskräfte und so weiter. Wir müssen hier systematisch rangehen, Defizite erkennen und beseitigen. Und dabei brauchen wir eine Strategie, die die nächsten 10 bis 15 Jahre taugt – denn so lange wird uns das Thema Terrorismus leider bestimmt noch begleiten. Was wir nun in Berlin gesehen haben, war sicher nicht das Ende und womöglich nicht das Schlimmste, was passieren kann.
Was kann man gegen die Angst tun?
Neumann: Man kann Ängste nicht verbieten und man muss diese Ängste ernst nehmen. Und man muss dafür sorgen, dass die Leute sich auch ernst genommen fühlen. Es muss vor allem in der Politik nun darum gehen, besonnen zu handeln, das Richtige zu tun und so Schritt für Schritt das Gefühl der Sicherheit zurückzugewinnen. Es ist aber auch wichtig, dass auf der anderen Seite die Menschen verstehen, dass Sinn und Zweck von Terrorismus ist, ihnen Angst einzujagen. Terroristen wollen nämlich, dass wir aus Angst unsere Lebensgewohnheiten ändern und beispielsweise Fremden anders begegnen.
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