Präsident Jair Bolsonaro im Visier von Korruptionsermittlern
Der Oberste Gerichtshof eröffnet Ermittlungen wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch gegen Bolsonaro. Es geht um den Kauf von indischen Impfstoffen.
Die Wut auf den Straßen ist greifbar: „Das größte Problem ist, dass wir eine Regierung haben, die das alles verharmlost und negiert hat“, sagt Laura Beatriz Ayres. Die Augenärztin ist wütend auf den rechtsgerichteten brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, dem sie eine Mitverantwortung für die inzwischen fast 520.000 Toten, die in Zusammenhang mit Covid gestorben sind, in dem riesigen südamerikanischen Land anlastet. Auf einer Anti-Bolsonaro-Demonstration redet sie sich ihren Ärger über die Regierung von der Seele: „Sie hat auf Medikamente gesetzt, die keine Wirksamkeit haben, auf eine Herdenimmunität, die es immer noch nicht gibt und hat gegen Impfstoffe gewettert. Sie hat sich sogar gegen die WHO und Hygienemaßnahmen gestellt. Das ist absurd“, sagt Ayres und ist damit bei weitem nicht alleine.
Auch in Europa gehen Bolsonaro-Gegner auf die Straße
Am Wochenende gingen in mehr als 110 brasilianischen und dutzenden europäischen Städten tausende Demonstranten am Samstag auf die Straße. Gut ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen in Brasilien steht Bolsonaro mit dem Rücken zur Wand. Jener Präsident, der eher mehr ein evangelikaler Sektenführer denn ein Politiker ist, ist allerdings mit rationalen Maßstäben ohnehin nicht einzuordnen. Seine Anhängerschaft steht treu zu ihm, sie glaubt ihrem Anführer und nicht den regierungskritischen Medien.
Doch die Gegner des Präsidenten dominieren die derzeit die Straße. Dabei wird zwar deutlich disziplinierter auf Abstand und Maske geachtet, als im Bolsonaro-Lager, aber die Massendemos liefern Bolsonaro Argumente, dass es die anderen ja auch nicht besser machen. „Es ist wichtig, dass wir die Straße besetzen“, sagt Anderson Alves, Pädagoge und Kritikerin des Präsidenten. Die Chancen auf ein Impeachment, also ein Amtsenthebungsverfahren, schätzt er gering ein. „Ich denke, das ist kompliziert. Ich erwarte davon nicht viel“, sagt er mit Blick auf die Machtverhältnisse.
Dennoch hat das Oberste Gerichtshof Brasiliens am Freitag eine Untersuchung gegen den brasilianischen Präsidenten wegen Korruptionsvorwürfen eröffnet. Hintergrund ist die Bestellung von 20 Millionen Dosen des indischen Corona-Impfstoffs Covaxin. Eine Gruppe von Senatoren stellte diese Woche Strafanzeige gegen Bolsonaro wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch, weil er Hinweise auf mögliche Korruption bei der Abwicklung des Impfstoffdeals im Gesamtwert von umgerechnet mehr als 250 Millionen Euro ignoriert haben soll.
Ein Untersuchungsausschuss beleuchtet bereits die Versäumnisse des Präsidenten in der Krise
Bolsonaro sagte, er habe keine Kenntnis von Unregelmäßigkeiten gehabt. Die indische Firma Bharat Biotech teilte mit, der Preis für eine Dose Covaxin für ausländische Regierungen liege zwischen 15 und 20 Dollar. Der Preis für Brasilien habe in diesem Rahmen gelegen. Der Covaxin-Deal stand zuletzt auch im Mittelpunkt eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der die Handlungen und Unterlassungen von Präsident Bolsonaro in der Corona-Pandemie beleuchtet.
Der Fall ist für das Bolsonaro-Lager so gefährlich, weil sie sich eine konsequente Anti-Korruptions-Bekämpfung selber auf die Fahnen geschrieben hatten. Inzwischen hat sich das Szenario allerdings umgedreht. Bolsonaros möglicher Herausforderer bei den Wahlen 2022, der ehemalige Präsident Lula da Silva, fährt inzwischen einen juristischen Erfolg nach dem anderen ein – die Justiz entlastet ihn in immer mehr Punkten von den Korruptionsvorwürfen. Das hat Auswirkungen auf die Umfragen, die Lula, der das Land von 2003 bis 2011 schon einmal regierte, nun anführt. Hinzu kommt die schwere Wirtschaftskrise, die das Land als Folge der Pandemie erfasst hat. Rund 14,6 Millionen Menschen sind offiziell als arbeitssuchend gemeldet, die Lebensmittelpreise sind deutlich gestiegen, in den Armenvierteln leiden die Menschen Hunger.
Und das ist noch nicht alles. International belastet der Skandal um den inzwischen zurückgetretenen Umweltminister Ricardo Salles die Reputation Brasiliens. „Lieber Ricardo Salles, Sie sind Teil der Geschichte. Die Verbindung von Landwirtschaft und Umwelt ist eine nahezu perfekte Ehe“, sagte der Staatschef nach dessen Demission vor einigen Tagen. „Es ist aber nicht einfach, dieses Ministerium zu führen. Was übrig bleibt, sind manchmal nur ein Haufen Prozesse.“
Salles steht für das hässliche, das skrupellose Gesicht einer verantwortungslosen Politik. Um seine eigentliche Aufgabe kümmerte er sich nicht: Umweltschutz. Weltweit berühmt-berüchtigt wurde Salles, als eine Videoaufzeichnung einer Kabinettssitzung publik wurde. Damals forderte Salles, die mediale Aufmerksamkeit für die Corona-Pandemie zu nutzen, um in deren Schatten Umweltvorschriften zu lockern oder ganz auszuhebeln. Zu Gunsten des Bergbaus und der Landwirtschaft. Als wäre das nicht schon schlimm genug, ist Salles ganz offenbar auch noch tief in illegale Geschäfte der Holzmafia verwickelt. Es ist also kein Zufall, dass die Abholzung des Amazonas unter dem Duo Bolsonaro/Salles wieder Ausmaße annimmt, wie zu schlimmsten Zeiten im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts unter Lula da Silva. Die Quittung für all das gibt es derzeit in den Umfragen – sie sagen für 2022 ein Ende der Bolsonaro-Regierung voraus.
Bolsonaro zieht die Gefahr durch den Virus in Zweifel
Der Staatschef hat die Gefährlichkeit des Virus und den Sinn von Impfungen schon mehrfach in Zweifel gezogen. Die Eröffnung eines Amtsenthebungsverfahrens, wie es die Demonstranten fordern, hängt jedoch vom Präsidenten der Abgeordnetenkammer ab – dieser gilt als Verbündeter der Regierung Bolsonaros.
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