Es mag ungerecht sein, aber es ist auch logisch. Je höher die formulierten Ziele, je größer die geweckten Hoffnungen sind, desto härter treffen schwere Rückschläge. So ist es jetzt auch bei Curevac. Das Vakzin CVnCoV der Biopharmafirma genügt – zumindest nach derzeitigem Stand – nicht den festgelegten Bedingungen für eine Zulassung. Dabei waren die Erwartungen an das Präparat exorbitant: Ende Januar verkündete Curevac-Chef Franz-Werner Haas, dass das Unternehmen noch im laufenden Jahr 2021 bis zu 300 Millionen Impfstoffdosen produzieren werde. Für 2022 wurden gar bis zu einer Milliarde Einheiten in Aussicht gestellt.
Davon ist nun nicht mehr die Rede. Im Gegenteil, dass CVnCoV überhaupt noch im Kampf gegen die Pandemie zum Zuge kommt, gilt als wenig wahrscheinlich. Nun wird sogar Kritik daran laut, dass der Bund das Tübinger Unternehmen finanziell unterstützt hat und ein Fünftel der Aktien übernahm. Die in einer Zwischenanalyse ermittelte vorläufige Wirksamkeit gegen eine Covid-19-Erkrankung „jeglichen Schweregrades“ fällt für den Impfstoffkandidaten CVnCoV mit 47 Prozent in der Tat frappierend geringer aus als bei anderen bereits zugelassenen Corona-Vakzinen.
Curevac will weiter am Corona-Impfstoff arbeiten
Vorstandschef Haas war in einer Donnerstagnachmittag anberaumten Telefonkonferenz bemüht, zu demonstrieren, dass er fest entschlossen ist, die Krise zu meistern und weiter mit voller Energie am Projekt „Impfstoff aus Tübingen“ zu arbeiten. Es geht längst nicht nur darum, ein Zeichen angesichts des abgestürzten Börsenkursen zu setzen, auch die wissenschaftliche Reputation des Unternehmens steht auf dem Spiel. Curevac gilt als Pionier der mRNA-Technik, der – da sind sich die Experten einig – nicht nur bei der Entwicklung von Impfstoffen, sondern auch im Kampf gegen Krebs und anderen Krankheiten die Zukunft gehört.
Seit mehr als 20 Jahren beschäftigen sich Wissenschaftler der Firma mit dieser Technologie. Sie basiert auf der Nutzung von chemisch nicht modifizierter mRNA als Datenträger, um den menschlichen Körper zur Produktion der entsprechend kodierten Proteine anzuleiten. Nicht zuletzt der SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp ist von diesem Ansatz überzeugt. Er hält nach wie vor einen Großteil der Anteile an dem Unternehmen und half darüber hinaus mehrfach mit großzügigen Finanzspritzen.
Noch am Donnerstag kursierten verschiedene Erklärungen für den Misserfolg. Haas selber verwies darauf, dass das Vakzin der ersten Generation an Probanden getestet wurde, die mit einer Vielzahl von Mutanten infiziert waren. Diese „beispiellose Bandbreite“ könnte den Curevac-Impfstoff überfordert haben. So sind die Hoffnungen, dass sich das Bild im weiteren Verlauf des Zulassungsverfahrens noch aufhellt, gering.
Eine andere Erklärung hat Peter Kremsner, der Leiter der Impfstoff-Studie des Biotech-Unternehmens. Der Virenexperte vermutet, dass ausgerechnet eine Eigenschaft, die Curevac stets als Vorteil seines Produkts herausgestellt hatte, der Wirksamkeit des Vakzins im Wege gestanden sein könnte: Weniger Wirkstoff pro Dose gleich höheres Produktionspotenzial. CVnCoV, so hieß es aus Tübingen, komme mit nur zwölf Mikrogramm Wirkstoff je Dose aus. Biontech liegt bei 30, Moderna gar bei 100 Mikrogramm. Kremsner glaubt, die Wirkstoffdosierung sei letztlich zu gering gewesen. „Wir konnten keine größeren Dosierungen verwenden, weil in den Versuchen mit den ersten Probanden zu starke Nebenwirkungen beobachtet wurden“, sagte Kremsner der Welt. Es gehe dabei um Kopfschmerzen, Fieber und Müdigkeit oder Schmerzen an der Einstichstelle – „Symptome, die zwar nicht gefährlich, aber sehr unangenehm sein können.“
Curevac-Aktie bricht ein - Bund will Beteiligungen aber halten
Was die Enttäuschung für Curevac finanziell bedeutet, ist nur schwer absehbar. Doch immerhin meldeten sich am Donnerstag wichtige Unterstützer zu Wort, die dem Unternehmen Rückendeckung gaben. Der Bund versicherte, seine Aktienbeteiligungen trotz der aufkommenden Kritik weiterhin zu halten. Auch der Pharma- und Agrarchemiekonzern Bayer will die Kooperation bei der Impfstoff-Forschung fortsetzen. Tatsächlich haben die Tübinger weiterhin große Pläne: Die Entwicklung an einem Vakzin der zweiten Generation zusammen mit dem britischen Pharmaunternehmen Glaxo Smith Kline sei in vollem Gange.
Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) überbrachte am Donnerstag eine Botschaft, die die rund 700 Mitarbeiter von Curevac gerne hören werden: Der Rückschlag habe keine negativen Auswirkungen auf den Standort Tübingen. Vorstandschef Haas habe ihm bei einem Telefonat versichert, dass das Unternehmen an geplanten Investitionen festhalte.