Deutschlands Wende in der Russland-Politik ist halbherzig
Nach dem mutmaßlichen Mordanschlag auf Alexej Nawalny stellt Deutschland Nord Stream 2 in Frage. Nawalny ist nicht mehr im Koma, doch Deutschland muss den Druck aufrecht erhalten.
Es gibt kluge und weniger kluge Sätze in der Politik, wahre und weniger wahre. Der Satz, bei der Ostseepipeline Nord Stream 2 handele es sich um ein rein privatwirtschaftliches Vorhaben, erfüllt gleich beide negativen Kategorien: Er ist unklug und unwahr. Der Gedanke, ein so gewaltiges Geschäft mit einem Unternehmen, das auf einen einzigen Mann im Kreml hört, habe keine politische Auswirkung, ist ebenso unvorstellbar wie naiv.
Dennoch ist dieser Satz lange gesagt worden, auch von Kanzlerin Angela Merkel. Sie revidiert diesen nun etwas, wohl aus Frust, wie unantastbar sich Wladimir Putin fühlt. Einen Stopp der Pipeline oder Ähnliches mag Merkel nicht mehr ausschließen.
Merkel lässt Russland Zeit für Ablenkungsmanöver
Dennoch wirkt selbst dies halbherzig. Denn indem die Bundesregierung Erklärungen aus Moskau fordert, lässt sie dem Kreml wieder Raum für Ablenkungsmanöver.
Ohnehin wissen die Russen: Ihr Gas bleibt sehr gefragt, etwa jeder zweite deutsche Haushalt heizt damit. Auch diese Abhängigkeit zu mindern, wurde bei uns verschlafen. Kremlkritiker Nawalny ist zum Glück endlich aufgewacht. Gilt das ebenso für Gestalter deutscher Russlandpolitik?
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Noch vor wenigen Wochen haben amerikanische Senatoren dem Rügener Hafen Sassnitz mit "wirtschaftlicher Zerstörung" gedroht, wenn auch nur ein einziges Rohr der kurz vor der Fertigstellung stehenden Gaspipeline Nord Stream 2 in das Wasser der Ostsee eintaucht. Damals war die Empörung über die völkerrechtswidrigen Drohungen der US-Poltiker groß und die Bundesregierung wollte das Projekt dennoch unbedingt beenden.
Heute ist davon in deutschen Medien keine Rede mehr. Im Gegenteil überschlagen sich plötzlich auf allen Kanälen die Forderungen nach einem sofortigen Ende des Projekts, auch wenn das den deutschen Steuerzahler weit über 10 Milliarden Euro Schadenersatz kosten könnte. Liegt das wirklich nur an einem ungeklärten Anschlag auf einen russischen Oppositionspolitiker? Man mag es kaum glauben.
Genau so ist es. Warum sind Russland und Putin immer nur das/der Böse?
An der deutschen Russlandpolitik hat sich doch seit dem Kalten Krieg nicht wirklich was verändert .
Das ist traurig und frustrierend zugleich. Unter den Regierungen Merkel ist das Verhältnis zu Russland
zudem immer schlechter geworden. Wo bzw. was sind die wahren Gründe dafür? Putins Hund kanns ja wohl nicht sein.
Ich würde gerne wissen, wie die Neugestaltung der Russlandpolitik Ihrer Meinung nach denn aussehen sollte? Deutschland und auch Europa können versuchen, eine vernünftige Basis mit Russland zu finden, dazu ist die wirtschaftliche Verflechtung ein probates Mittel. Oder Deutschland und auch Europa müssen ab sofort aufhören, mit vielen Diktatoren dieser Welt gute Geschäfte zu machen. Warum droht man nicht Erdogan? Weil er eine Antwort hätte. Warum verbündet man sich mit den Machthabern in Libyen, obwohl die Missstände bekannt sind? Warum bezieht man Öl von den Saudis, obwohl sie die Menschenrechte mit Füssen treten? Man könnte viele Beispiele aufführen … Also warum schießt man sich nur auf Russland ein? Mir ist sehr wohl bewusst, dass Putin kein Unschuldslamm ist, aber das sind viele andere Geschäftspartner dieser Welt ebensowenig.
Glaubt denn Herr Schmitz wirklich, dass ein Stopp von Nordstream 2 gleichzeitig eine verbesserte deutsche Russlandpolitik bedeutet?
Das Gegenteil wird der Fall sein. Denn: Deutschland, Europa und Russland werden sich auch weiterhin für eine zukunftsgerichtete,
sachliche und friedliche Politik brauchen. Alles andere ist für mich gefährliche geistige Brandstiftung und kann uns alle ins Verderben führen. Auch wenn es gewisse Kreise nicht so sehen (wollen).
100% einverstanden. In diesem Zusammenhang glaube ich, daß kein Land in der EU eine fleckenreine weiße Weste hat. Nur mal zum Nachdenken folgendes ERFUNDENES Szenario: ein Deutscher erschiesst auf offnener Straße eine deutschen Regierungsgegner (da gibts ja wohl einige radikale von der Sorte). Käme Rußland dann auf die Idee daß die Bundeskanzlerin dahinter steckt? Glaube ich weniger...
@Wolfgang B. Komisch das in Russland nie ein Schuldiger gefunden wird ... zudem über einen Nervenkampfstoff oder radioaktives Material verfügen ein Ottonormalbürger ebenfalls nicht. Oder ist das in Russland anders?
@ HARALD V.
"Komisch das in Russland nie ein Schuldiger gefunden wird"
"Wie man das Finden eines Schuldigen verhindert, wissen sogar unsere deutschen Schlapphüte - siehe NSA-Akten-Vernichtung"
"... zudem über einen Nervenkampfstoff oder radioaktives Material verfügen ein Ottonormalbürger ebenfalls nicht. Oder ist das in Russland anders?"
Das stimmt ja - hoffentlich.
Mit großer Sicherheit ist jedoch davon auszugehen, dass russische Geheimdienste - und wenn neuere Informationen zutreffen leider nicht nur die - über den Nervenkampfstoff Nowitschok verfügen.
@Georg Kr.
Das Aktenschreddern bei der NSU-Sache mit Morden und untypischen Todesumstände bei Oppositionellen und regierungskritischen Journalisten zu vergleichen halte ich persönlich für etwas abwegig. Das Teile des Verfassungsschutz der NSU bekannt war und gedeckt wurde, ist quasi Realität. U.a. durch den Mord in Anwesenheit eines "tauben und blinden" V-Manns. Aber es ist für mich keine Beteiligung von Regierungen zu erkennen. Im Gegenteil. Herr Beckstein hat als bayerischer Innenminister sogar den Anstoss gegeben im rechten Milieu zu ermitteln.
Ganz ehrlich. Wenn der russiche Geheimdienst es nicht schafft, solche doch zahlreichen Anschläge mit Nervenkampfstoffen oder radioaktiven Material im EIGENEN Land aufzuklären oder gar zu verhindern, dann ist seine Kompetenz nicht vorhanden. Und das bezweifle ich doch, dass dieser so inkompetent ist. Zudem betrifft das Versagen "zufällig" immer die Regierungskritiker. Oder gibt es eine Supergeheime Organisation wie Spectre bei James Bond die alle Geheimddienste blas aussehen lässt? Wäre doch was für eine neue Verschwörungstheorie.
Das Geheimddienste auf Nervenkampfstoffe zugreifen können, wenn die Regierung es erlaubt bzw. befiehlt dürfte außer Frage stehen. Und nicht nur in Russland oder den USA.
@ HARALD V.
"Aber es ist für mich keine Beteiligung von Regierungen zu erkennen. Im Gegenteil."
Ganz so klar ist das nicht. Die Blindheit auf dem "rechten Auge", die große Nachsicht der deutschen Exekutive (Polizei und Geheimdienste), die Verharmlosung rechter Gewalt und Umtriebe hat und hatte sehr wohl etwas mit der herrschenden politischen Grundausrichtung bis in höchste Stellen zu tun. Denken Sie nur mal an den Herrn Maaßen und die Tatsache, dass die Führung der bayerischen CSU lange Zeit die AfD-Parolen nachplapperte. Keine unmittelbare Beteiligung an rechter Gewalt zwar, aber nach entschiedener Ablehnung sah das auch nicht aus.
Ähnlich kann ich mir durchaus den Umgang russischer Regierungsstellen inkl. Putin mit den Giftanschlägen vorstellen. Den Fall Skripal in England sehe ich etwas anders. Doppelagenten leben sehr gefährlich und sollten das auch wissen.
Der Umgang mit Oppositionellen wäre, legte man gleiche Maßstäbe an, bei vielen unserer Handelspartner zu kritisieren und mit Sanktionen zu beantworten. Sie wissen sicher welche Staaten da vorrangig zu nennen wären.
Haben Sie eine Erklärung, warum die deutsche Regierung aber nur im Falle Russland in Schnappatmung und Hysterie verfällt und meint, in vorauseilendem Gehorsam dem Verbündeten über dem großen Teich in den Allerwertesten kriechen zu müssen. Einem rassistischen Land, dessen Präsident Gewalt befürwortet und einen von Hass geprägten Umgang mit der Opposition pflegt, der mit demokratischem Wettbewerb rein gar nichts mehr zu tun hat. Hier spricht niemand von Sanktionen . . .