Zwar wird so viel Geld wie nie in die Sanierung investiert. Aber es reicht nicht, um das Zugfahren als Beitrag zum Klimaschutz attraktiv genug zu machen.
Bahn-Vorstand Ronald Pofalla sieht man in diesen Tagen bisweilen mit stolzgeschwellter Brust. Er positioniert sich als Baumeister, der endlich die marode Bahninfrastruktur modernisiert. Ronald Pofalla ist gerne der Verkäufer guter Nachrichten. Das war er schon während seiner politischen Karriere an der Seite von Angela Merkel, der er erst als CDU-Generalsekretär und dann als Chef des Kanzleramts lange Zeit unauffällig den Rücken freihielt.
Als er 2013 kurz vor der Bundestagswahl die NSA-Abhöraffäre selbstherrlich für beendet erklärte, schwand sein Rückhalt im politischen Machtzentrum und für ihn war kein Platz mehr in der neuen Regierung. Kaum aus der Politik ausgestiegen mit dem fadenscheinigen Argument, mehr Zeit für die Familie und vielleicht auch ein Kind haben zu wollen, wurde klar, wohin es ihn ziehen würde: in den Vorstand des großen Staatsunternehmens Deutsche Bahn. Der Konzern ist ein problembeladener Riese, der zudem lange Zeit nahezu tot gespart worden ist, um ihn sexy für die Börse zu machen. Der damalige Bahnchef Rüdiger Grube wollte Pofalla mit all seinen Kontakten als überlebenswichtigen Türöffner in die Berliner Politik an seiner Seite haben.
Teilweise gibt es bei der Bahn noch Technik wie vor 100 Jahren
Nun sind die Bundesverkehrsminister der vergangenen Jahre eher mit besonderem Engagement für Autofahrer und Autoverkehr aufgefallen als mit Fürsorge für die Bahn. Das drückt sich auch in deutlich unterschiedlichen Investitionssummen aus. Nach wie vor rangiert im Autoland Deutschland der Straßenbau weit vor der Bahn, auch in Zeiten des Klimawandels. Eine totale politische Kehrtwende weg vom lieb gewonnenen Individualverkehr wäre unrealistisch, aber eine spürbare Verschiebung der Gewichte hin zur stärkeren umweltverträglicheren Nutzung von Zügen ist unverzichtbar.
Hier kommt Ronald Pofalla wieder ins Spiel. Seit 2017 ist er für die Infrastruktur der Deutschen Bahn verantwortlich. Und gerade eben bekam er aus Berlin vertraglich zugesichert, bis 2030 insgesamt 86 Milliarden Euro allein für die Instandhaltung und Sanierung von Schienen, Weichen, Bahnhöfen, Brücken usw. ausgeben zu können. Es klingt nach viel, ist aber angesichts teilweise desaströsen Zustands der Bahneinrichtungen und des langen Zeitraums nicht genug. Man erinnere sich nur als einem kleinen Beispiel an den tödlichen Unfall im Bahnhof Aichach im Mai 2018. Damals wurde offenbar, dass dort – und bei weitem nicht nur dort – die Weichen wie vor 100 Jahren per langem Hebel vom Fahrdienstleiter von Hand gestellt werden und eine elektronische Absicherung fehlt. Das soll sich jetzt ändern.
Von einem Bahnland nach Schweizer Vorbild ist Deutschland noch weit entfernt
Das große Ziel ist die Verdoppelung von Passagierzahlen und Güterverkehr. Wer heute schon in überfüllten Zügen unterwegs ist, kann sich vielleicht vorstellen, was da noch alles passieren muss. Gebraucht werden: deutlich mehr Züge und Personal, mehr Gleise, leistungsfähigere Bahnhöfe, viel enger getaktete Fahrpläne, kürzere Fahrzeiten, mehr Komfort. Die laufenden Elektrifizierungen der Verbindungen von München und Ulm nach Lindau sind nur kleine Puzzlesteine auf dem langen Weg zum Deutschland-Takt.
Deshalb wäre Ronald Pofalla etwas mehr Realitätssinn zu wünschen. Was er, sein jetziger Bahnchef Richard Lutz und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) mit ihrer jüngsten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung auf den Weg gebracht haben, ist vielleicht ein Anfang. Gut, es kann verlässlich gebaut werden, wohl auch kundenfreundlicher und weniger verspätungsanfällig. Aber der große Durchbruch hin zu einem möglichen neuen Bahnland Deutschland nach Schweizer Vorbild ist das keinesfalls.
Das könnte Sie auch interessieren:
- Die Bahn bleibt eine Großbaustelle: Hier wird in Süddeutschland gebaut
- Bayern liegt bei Elektrifizierung der Bahnstrecken weit unter Bundesdurchschnitt
- Das sind die großen Bahn-Baustellen im Landkreis Augsburg
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.
Die Diskussion ist geschlossen.
Vom ganz großen Aufkleber "Welt retten" (= Klima, Ernährung usw. usf.) einmal abgesehen - einige kleinere Dinge würden "die Bahn" auch schon deutlich besser machen:
1) Infrastruktur - während der Neubau aus Staatsgeldern bezahlt wird, geht die Instandhaltung auf die Eigenmittel. D. h. im April ist das
Budget alle, aber die bekannten Großproduzenten freuen sich, ihre Stellwerke usw. en gros vertickern zu können. So lange DB Netz
der Subventionsdurchschleuser für die Industrie ist, bleibt die Verkehrsleistung reines Nebenprodukt.
2) Verkehrsunternehmen - die hemmungslose Ausschreiberitis ("in Bayern gewinnt immer der Billigste" - aber nicht nur dort) schafft
unnötige Instabilität für den Kunden, bringt Versuche am lebenden Objekt mit neuen Fahrzeugen und bestellt durch die Ein-
sparungen Verkehre, für die de facto keine Trassenkapazität da ist.
3) Behörde und EU - durch die ungebremste, sich aufschaukelnde Reglementierungswut einer entfesselten Bürokratie
wird im Namen des Barriereabbaus Scheinsicherheit produziert. Hauptsache, alles ist für teuer Steuergeld dokumentiert und
nachgewiesen und durch vielerlei Akteure bewertet. Ob es am Ende funktioniert, interessiert dabei nicht mehr.
Als verwandtes Beispiel sei darauf hingewiesen, dass im Sektor Eisenbahn ein mittelgroßes Projekt vom Start bis zur Realisierung
im Schnitt 17 Jahre braucht. Wer ist hier noch motiviert, das durchzuziehen, wenn er es in seinem Berufsleben eh nicht erlebt?
Ungünstiger Zeitpunkt für diese grundsätzlich richtigen Aussagen.
Während die Bahn den Betrieb bundesweit vollständig einstellt, zeigte der Individualverkehr eine bundesweit sehr ordentliche Funktion.
Totale Betriebseinstellung als vorauseilender Gehorsam für einen Sturm wie wir in schon x-fach hatten, in Zeiten wo kein Wetterereignis ohne Superlativ des Klimawandels stattfinden darf.
Auf ein paar Dieselstrecken noch etwas Betrieb auf Sicht bei Tempo 50 wäre schon möglich - und wenn vorher die Motorsägen heulen dürfen, schneidet man Bahnstrecken für sicheren Betrieb beim nächsten Sturm einfach mal mit Sicherheitsabstand frei.
Aber dazu ist dieses Deutschland nicht mehr in der Lage - und auch ein Politikwechsel wird die Bahn nicht besser machen. Aus der Bahn wird linksgrüne Politik nicht genug Geld für ihre Wenden bei Energie, Sozialem und Migration herausleiern können, da wird man weiter den Autofahrer im Umweltsinne schröpfen. Für eine Bahn auf schweizer Niveau ist Deutschland einfach zu arm und setzt bei vielen Politikfeldern andere kostenintensive Schwerpunkte; es bleibt daher bei den angesprochenen punktuellen Verbesserungen.
Was der deutschen Bahn fehlt, ist die Alltagstauglichkeit, ein scheinbar abgehobenes Management meint zu wissen, was der Reisende will.
Vor allem die Schweiz kann unterirdische Bahnhöfe bauen, ohne dafür wie in Stuttgart eine halbe Stadt zerstören zu müssen. In Zürich hat man ganz knapp unter dem Fluss Limat einen Tunnel gelegt und den Kopfbahnhof einfach durch eine Durchgangsstrecke ergänzt.
Wie Sie schon sagten wäre eine Wiese mit Buschwerk als Sicherheitsschneise links und rechts vom Gleis ökologisch genau so wertvoll wie ein Wald. Und jeder Bahnreisende würde es verstehen, wenn er wegen einem Unwetter nur sehr langsam ans Ziel kommt, weil auf Sicht gefahren wird.