Niemand kann sagen, man habe es nicht kommen sehen. Mit der Rede des amerikanischen Vizepräsidenten ist es nun offiziell – der Westen, wie man ihn über Jahrzehnte kannte, diese große Gemeinschaft der Demokratien in Europa und Nordamerika, droht zu zerbrechen. JD Vance nutzte seinen Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz nicht nur, um die Forderung Donald Trumps zu wiederholen, Europa müsse mehr Geld für seine Verteidigung ausgeben. Er beließ es auch nicht dabei, auf raschen Frieden zwischen Ukrainern und Russen zu drängen, befördert durch direkte Verhandlungen mit Wladimir Putin. Nein, er stellte offen in Frage, ob es in Europa überhaupt noch Demokratien zu verteidigen gebe.
Was sind Demokratien wert, in denen die freie Rede, etwa in sozialen Medien beschränkt wird? Wie stabil sind Demokratien, wenn russische Desinformationskampagnen mit dem Aufwand von ein paar hunderttausend Dollar sie zum Einsturz zu bringen drohen (Vance denkt hier an die Wahlen in Rumänien, die von einem Gericht annulliert worden waren). Was, so fährt Vance an die Adresse der Europäer fort, sind Demokratien wert, in denen größere Teile der Wählerschaft ausgeschlossen werden, weil es „Brandmauern“ („Firewalls“) gebe – eine gezielte Anspielung auf die Abgrenzung der Union von der AfD in Deutschland.
Brandmauer sinnvoll? JD Vance greift bei der Münchner Sicherheitskonferenz in den deutschen Wahlkampf ein
Mit diesem Hinweis greift Vance genauso in den deutschen Wahlkampf ein, wie mit seinen Kommentaren zum Attentat eines afghanischen Asylbewerbers am Donnerstag in München. Eine Folge von ungeregelter Migration, für die nie eine Mehrheit der Wähler in Europa ihre Stimme gegeben hätten, sagt Vance. Wahlbeeinflussung sieht der Amerikaner darin sicher nicht, oder – es ist ihm einfach egal. Die USA hätten zehn Jahre Greta Thunberg ertragen, sagt er, da würden die Europäer ja wohl ein paar Monate Elon Musk aushalten, sagt er. Tesla-Gründer und X-Miteigentümer Elon Musk hatte zuletzt in Beiträgen und Videoschalten die AfD offen unterstützt.
Womöglich ist das die wahre Zeitenwende in diesen Tagen: Bislang suchten amerikanische Präsidenten und ihre Stellvertreter den Schulterschluss zu den Parteien, die den Westen und die Bindung an die USA stärken. Ohne die AfD zu nennen, stärkt Vance nun hingegen – eine Woche vor der Bundestagswahl – einer Partei den Rücken, die sich an Russlands Präsidenten Putin ranschmeißt und die Nato ablehnt. Am Donnerstag hat der Vize-Präsident das ehemalige Konzentrationslager Dachau besucht. Dass er nun für in Teilen rechtsextreme Partei das Wort redet, die diesen Teil der deutschen Geschichte am liebsten ausblendet, ist ihm offenbar egal.
Wo der strategische Sinn liegt, bleibt offen, sieht man mal von der Unterstützung der Geschäfte der Internet- und Social-Media-Barone im Silicon Valley ab. Maximale Disruption, maximales Chaos anzustiften, geht es wirklich darum?