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Corona in China: Wie sich die Volksrepublik verändert hat

Corona

Fünf Jahre später: Wie Corona China verändert hat

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    Die Corona-Pandemie stellt auch für China eine Zäsur dar und hat Folgen, die weit in die Gegenwart hineinreichen. Dazu zählt die Angst vor neuen Infektionswellen.
    Die Corona-Pandemie stellt auch für China eine Zäsur dar und hat Folgen, die weit in die Gegenwart hineinreichen. Dazu zählt die Angst vor neuen Infektionswellen. Foto: dpa

    Überfüllte Krankenhäuser, Patienten mit Fieber-Symptomen, alarmierende Postings in sozialen Medien: Fünf Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie löst derzeit erneut ein Virus-Ausbruch in China Befürchtungen aus und sorgt weltweit für Schlagzeilen. Deutsche Zeitungen fragen: „Wie gefährlich wird hMPV?“. Sie weisen auf „Warnzeichen bei einer Infektion“ hin. Es mutet an wie ein Déjà-vu. Doch Experten haben bereits Entwarnung gegeben, vorerst – hMPV, das humane Metapneumovirus, stelle keinen Grund zur Panik dar. Ganz anders war das Anfang 2020, als Gerüchte über eine mysteriöse Lungenkrankheit aus der Acht-Millionen-Stadt Wuhan die Runde machten und der Erreger damals, am 10. Januar, erstmals von der Weltgesundheitsorganisation WHO als „neues Coronavirus“ bezeichnet wurde.

    SARS-CoV-2, so die wissenschaftliche Bezeichnung, wurde zunächst von den chinesischen Behörden verschleiert, dann mit einer rigiden „Null Covid“-Politik einzudämmen versucht, schließlich stürzten weite Teile der Volksrepublik in eine endlos erscheinende Lockdown-Schleife. Die Parteiführung nutzte die Pandemie unter anderem dafür, um die Überwachung der Gesellschaft auszubauen. Für die breite westliche Öffentlichkeit vollzog sich weniger offensichtlich eine wirtschaftspolitische Entwicklung in China, die noch massive Folgen haben wird. Auch hier: Corona war eine Zäsur.

    Die Frage des Corona-Ursprungs wurde zum Politikum

    Wo sich das Virus einst ausbreitete, soll heute nichts mehr an die historischen Ereignisse erinnern. Auf dem Huanan-Fischmarkt, direkt am Bahnhofsviertel von Wuhan gelegen, hatten sich im Dezember 2019 Dutzende Menschen mit dem neuartigen Erreger angesteckt. Ein paar Kilometer entfernt befindet sich das Institut für Virologie, ein Labor, in dem Forscherinnen und Forscher Proben von Fledermäusen aus Südchina sammelten und vor der Gefährlichkeit der entnommenen Viren warnten. Ein Zufall? Ob Corona nun aus dem Tierreich stammt, wie viele Experten vermuten, oder fahrlässig aus einem Labor entsprang: Dass diese Frage nicht abschließend geklärt werden konnte, hat vor allem mit der Intransparenz der chinesischen Behörden zu tun, die während der kritischen Anfangsphase der Pandemie Daten unter Verschluss hielten. Die Frage des Corona-Ursprungs wurde zum Politikum, zum Quell auch von Verschwörungserzählungen. Wie so vieles, das mit der Pandemie zu tun hat.

    Zur Ironie der Geschichte gehört, dass ausgerechnet in Wuhan die Propaganda der chinesischen Staatsmedien auf fruchtbaren Boden fiel. Bereits wenige Monate nachdem der erste Lockdown überstanden war, wurde „Corona“ dort als vornehmlich ausländisches Phänomen wahrgenommen. Jeden Abend berichtete das Staatsfernsehen über die Covid-Toten in den USA und Europa, im Reich der Mitte schien demnach alles unter Kontrolle zu sein. Den Ursprung des Virus? Vermuteten Bewohnerinnen und Bewohner Wuhans in einem US-Biowaffenlabor. Nur konsequent, dass ausländische Besucher in der Stadt argwöhnisch beäugt wurden, könnten sie ja das Virus einschleppen. Die Propaganda nahm auch im größten Museumsgebäude Wuhans Gestalt an, in dem 2021 eine patriotische Ausstellung über den gewonnenen Corona-Kampf der Chinesen ausgerichtet wurde. Inszeniert wurde eine Erfolgsgeschichte. Zhao Lijian, Sprecher des Außenministeriums in Peking, sagte damals gegenüber internationalen Korrespondenten, dass diese sich doch vor Glück ins Fäustchen lachen könnten, in Sicherheit vor dem Virus in China leben zu dürfen.

    Die Chinesen waren während der Pandemie zeitweise eingesperrt

    Es kam anders: Spätestens Ende 2022 ähnelte der Alltag der meisten Chinesen einem Spießrutenlauf aus täglichem Corona-Test, digitaler Überwachung und wochenlangen Lockdowns. Während in vielen Ländern Menschen Lockdowns zu Hause – im Homeoffice, mit Yoga oder langen Spaziergängen – verbrachten, waren die Chinesen eingesperrt. Bisweilen mit einem breiten Stahlschloss an der Tür, kontrolliert durch Bewegungsmelder. Shanghai, die wohlhabendste Metropole des Landes, wurde knapp drei Monate vollständig abgeriegelt. Vom Kurierdienstmitarbeiter bis zum deutschen Konsul: Alle saßen in ihren Wohnungen fest, abhängig von staatlichen Essenslieferungen. Reich war nicht, wer ein sechsstelliges Jahresgehalt erhielt, sondern über einen gefüllten Kühlschrank und eine gefüllte Speisekammer verfügte. Als Bewohner der Hochhaussiedlungen ihren Frust in den Shanghaier Nachthimmel brüllten, ließ die Lokalregierung ferngesteuerte Drohnen aufsteigen: „Beherrschen Sie den Drang ihrer Seele nach Freiheit. Öffnen Sie nicht das Fenster – und singen Sie nicht“, dröhnte es aus den Lautsprechern der Flugobjekte.

    Kam das Coronavirus hierher? Der Huanan Seafood Market in Wuhan am 27. Januar 2020.
    Kam das Coronavirus hierher? Der Huanan Seafood Market in Wuhan am 27. Januar 2020. Foto: CHINATOPIX/AP/dpa

    So hat die Pandemie tiefe Spuren hinterlassen. Ungezählte Chinesen etwa, die den Corona-Ausbruch aus direkter Nähe beobachtet haben, machen sich keine Illusionen mehr über die Glaubwürdigkeit der Staatsführung. Vor allem in Wuhan mussten sie erleben, wie Nachbarn reihenweise sterbenskrank wurden, während die Behörden behaupteten, das Virus könne nicht von Mensch zu Mensch übertragen werden. Und Doktor Li Wenliang, der als Whistleblower Alarm geschlagen hatte, von der Kommunistischen Partei einen Maulkorb bekam. Im Februar 2020 starb der 33-jährige selbst an den Folgen des Virus.

    Wanke war in Wuhan als Student. Er half als Freiwilliger bei der Telefonseelsorge aus. Mit hunderten Erkrankten, die ängstlich und allein in ihren Wohnungen ausharrten, sprach er damals über ihre Sorgen. Viele von ihnen haben nicht überlebt. Für den jungen Mann, Anfang 20, war das ein Wendepunkt in seinem Leben: Er gab seinen ursprünglichen Berufswunsch, Journalist zu werden, auf. Und entschied sich, seiner Leidenschaft für Rockmusik zu folgen. Denn in der Kunst, so sagte er es damals mit melancholischem Unterton, könne er sich noch wirklich und wahrhaftig ausdrücken. Wer China während der Pandemie-Jahre bereiste, traf auf viele, die ähnlich dachten und deren Lebenswege plötzlich vollkommen anders verliefen.

    Xi Jinping machte die Volksrepublik China noch repressiver

    Auch die Mittdreißigerin Lili aus Wuhan gehört zu ihnen. Mittlerweile lebt sie an der US-Westküste. Sie habe das gesellschaftliche Klima und die zunehmende Isolation während der Pandemie nicht mehr ausgehalten, sagt sie. Als Staatspräsident Xi Jinping dann auch noch private Englisch-Nachhilfestunden unter Verbot stellte – wohl, damit der Blick der Jugend Chinas nicht allzu sehr geweitet wird –, reichte es Lili endgültig. In einem solchen Land habe sie ihren Sohn nicht aufwachsen lassen wollen. Ihre Auswanderung war geprägt von großer Dringlichkeit, da immer mehr Chinesinnen und Chinesen mit Ausreisesperren belegt wurden. Millionen von ihnen, Lehrkräfte wie etwa Angestellte von Staatsunternehmen, mussten ihre Reisepässe abgeben. Xi Jinping machte die Volksrepublik China noch repressiver, die Industrie unterzog er einer atemberaubenden Transformation hin zu erneuerbaren Energien und Elektro-Mobilität. Als deutsche Automanager 2023, die Grenzen waren wieder offen, zu einer Branchenmesse nach Shanghai reisten, bemerkten sie, wie massiv Deutschland bei E-Autos und Batterien hinterherhinkte.

    Der chinesische Präsident Xi Jinping Ende des vergangenen Jahres: Unter ihm geht die Staatsgewalt noch repressiver vor.
    Der chinesische Präsident Xi Jinping Ende des vergangenen Jahres: Unter ihm geht die Staatsgewalt noch repressiver vor. Foto: Wang Ye, XinHua/dpa

    Und noch etwas kann beobachtet werden: Hatten zu Beginn der Corona-Pandemie europäische Firmen ihre Lieferketten diversifiziert, um einer Abhängigkeit von China entgegenzuwirken, folgte dem eine Phase der Lokalisierung, also einer Anpassung an China. Aufgrund der rasanten technologischen Fortschritte, der hohen Anforderungen der chinesischen Kunden und der schieren Größe des Marktes verlagerten sie aus eigenen Stücken Forschung und Produktion in die Volksrepublik. Nun jedoch sei diese Lokalisierung in eine unfreiwillige Isolation gekippt, stellt die EU-Handelskammer fest. „Das ist nicht etwas, was Unternehmen tun, weil sie ihren Betrieb optimieren, die Kosten senken oder neue Verbraucher erreichen möchten. Sie tun es, weil sie das Gefühl haben, es tun zu müssen“, sagt Jens Eskelund, der Präsident der europäischen Handelskammer in Peking.

    Europäische Firmen stehen immer mehr unter Druck in China

    In einer neuen Publikation ist die Handelskammer diesem besorgniserregenden Trend nachgegangen, der die Bezeichnung „Siloing“ trägt: einbunkern. Darin zeigt die Wirtschaftsvertretung auf, wie stark die Konzerne mittlerweile dem chinesischen Markt entgegenkommen müssen. Bei immer mehr von ihnen geschieht das wegen des politischen Drucks: Ein Drittel der befragten Firmen gab an, dass sie sich bedingt durch regulatorische Hürden weiter lokalisieren müssten, ein weiteres Viertel nannte als Grund die Angst vor geopolitischen Risiken. Eskelund zufolge fühlten sich Tochtergesellschaften europäischer Unternehmen in China zunehmend als völlig autonome Einheiten. Was unweigerlich zur Frage führt: Sind sie überhaupt noch europäische Firmen oder de facto chinesische?

    In dem Handelskammer-Bericht heißt es: „Einige europäische Kammermitglieder haben so sehr in diesen Prozess investiert, dass sie bis auf ihren Namen vollständig chinesischen Unternehmen ähneln.“ Fakt ist: Die Präsenz europäischer Firmen in der Volksrepublik wird für diese zur Bürde. „Vor Covid war China unter unseren Unternehmen ziemlich unangefochten das wichtigste Investitionsziel. Mittlerweile haben wir eine Erosion festgestellt“, sagt Eskelund. Denn auch das kann man beobachten: Europäische Firmen stehen verstärkt unter Druck, vor allem chinesische Produkte für ihre Lieferketten zu beschaffen, um erforderliche Auflagen zu erfüllen. Hintergrund ist, dass Staatschef Xi Jinping seine Volkswirtschaft autarker gestalten möchte. Auch, um möglichst wenig angreifbar für mögliche westliche Sanktionen zu sein.

    Fünf Jahre Corona-Pandemie, fünf Jahre umwälzender Veränderungen – und eine umfassende, unabhängige wissenschaftliche Aufarbeitung ist ferner denn je. „Wir fordern China weiterhin auf, Daten und Zugang zu teilen, damit wir die Ursprünge von Covid-19 verstehen können“, sagte ein Sprecher der Weltgesundheitsorganisation: „Dies ist ein moralisches und wissenschaftliches Gebot.“ Es gehe darum, Lehren für die Zukunft zu ziehen.

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    8 Kommentare
    Heidi Kaellner

    Was für ein Wahnsinn - danke für diese dramatische Info. Man / ich hab mir Ähnliches gedacht - aber, dass es so schlimm war mit der "Entmündigung" der Bevölkerung in China . . . der reine Wahnsinn . . . Was leben wir doch so gut und frei in unserem Land. "Gedanken sind frei" . . . in Deutschland sind auch die Worte frei. Nicht mehr alle - aber das ist auch gut so.

    Thomas Grüner

    Können Sie mir bitte Ihre Logik erklären, ich verstehe es nicht : "Xi Jinping machte die Volksrepublik China noch repressiver, die Industrie unterzog er einer atemberaubenden Transformation hin zu erneuerbaren Energien und Elektro-Mobilität." Was lernen wir daraus? Muss Deutschland repressiv werden, um den technischen Anschluss wieder zu finden?

    Wolfgang Boeldt

    Vor einigen Wochen sagte Heribert Prantl, wohl allgemein bekannt, im TV ziemlich genau wortwörtlich: ... während der Pandemie wurden in Deutschglan alle Grundrechte außer Kraft gesetzt, bzw. eingeschränkt ... . Nicht nur China wurde vcerändert.

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    Lothar Bock

    Richtig, deshalb berichtet man auch lieber über China und nur ungern über "Wie Corona Deutschland verändert hat."

    Robert Miehle-Huang

    Welche "alle" denn? Vielleicht wollte Prantl einfach nur sein Buch promoten, verkauft sich wohl nicht so gut. Schon mal daran gedacht?

    Wolfgang Boeldt

    Prantl ist studierter Jurist. Damit ist klar, welche er mit "alle" meinte ... die bekannten 19. Zu dieser Aussage brauchte ich übrigens nicht Prantl - das ist auch ohne ihn klar.

    Maria Reichenauer

    Man muss aber auch sagen, dass die Einschränkung bestimmter Grundrechte vom vor 2020 geltenden Infektionsschutzgesetz gedeckt waren. Und sehr wesentlich unterscheidet sich die Neufassung von 2020 auch nicht, wenn es um eine "epidemische Notlage nationaler Tragweite" geht. Auch da ist die Einschränkung von Grundrechten vorgesehen. Das Grundgesetz hat leider keine Regelung für eine Situation vorgesehen, wie sie Corona mit sich brachte. Ich schätze Herrn Prantl sehr, aber wenn heute die, die gut aus der Sache rausgekommen sind, über die Einschränkung der Grundrechte schwadronieren, dann sollten sie an die denken, die elendiglich erstickt sind an dieser Krankheit. Da die vielbeschworene Eigenverantwortung in Deutschland nicht sehr verbreitet scheint – siehe "Ansteckparty" oder die freiwillige Vermeidung enger Kontakte auf eine bestimmte Zeit etc., – waren die Einschränkungen wohl nötig.

    Robert Miehle-Huang

    Prantl ist zuallererst Publizist und auch studierte Juristen liegen nicht immer richtig. Wo zum Beispiel sehen Sie die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses (Art 4 GG) durch die Coronamaßnahmen verletzt? Oder den Schutz von Ehe und Familie (Art 5 GG)? Oder das Brief- Post- und Fernmeldegehmeinis? Oder, oder oder… Sie sollten nicht alles unreflektiert nachplappern, was Sie den lieben langen Tag so aufschnappen…

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