Herr Professor Falter, wie bewerten Sie den Ausgang der Bundestagswahl?
Jürgen Falter: Das Wahlergebnis liegt relativ nahe an den letzten Umfragen, was für die Arbeit der Meinungsforscher spricht. Die Union ist zwar der klare Wahlsieger, allerdings nicht unter Bedingungen, die Friedrich Merz zufriedenstellen können. CDU und CSU sind unter der symbolisch wichtigen Schwelle von 30 Prozent geblieben, das ist ein Zeichen der Schwäche. Die Herausforderungen für Merz als Kanzler sind immens. Das galt schon für Olaf Scholz, dieser hat sie nicht so bewältigen können, wie es notwendig gewesen wäre. Nötig wäre jetzt eine starke Regierung, die auch zu schmerzhaften Einschnitten bereit ist.
Hat der Union der Streit um die gemeinsame Abstimmung mit der AfD im Bundestag geschadet?
Falter: Das Kalkül von Friedrich Merz ist nicht aufgegangen. Sein Versuch, mithilfe der AfD einen Gesetzesentwurf durchzubringen, hat sich als strategischer Fehler erwiesen – und zwar in mehrfacher Hinsicht. Die Union konnte seit der Abstimmung nicht entscheidend zulegen, sondern ist in den Umfragen sogar schwächer geworden. Gleichzeitig hat Merz damit das gegnerische Lager und dessen Wählerschaft mobilisiert. Merz hat mit seinem Vorgehen nicht die Union gestärkt, sondern am Ende der Linken beim Wiedereinzug in den Bundestag geholfen.
Wie sehr hing das Ergebnis auch mit Friedrich Merz als Spitzenkandidaten zusammen?
Falter: Merz werden von der Bevölkerung in Umfragen zwar hohe Kompetenzwerte, aber relativ geringe Sympathiewerte bescheinigt. Selbst Olaf Scholz wurde in Sachen Sympathie weitaus besser bewertet. Die begrenzte Strahlkraft von Merz war aber nicht das Hauptproblem der Union. Entscheidender ist, dass auf CDU und CSU noch immer die 16 Jahre Regierungszeit von Kanzlerin Angela Merkel lasten. Viele Wähler sehen die Probleme in der Migrationspolitik als eine Erbschaft Merkels an, die die Union nicht einfach SPD und Grünen zuschieben kann. In den Umfragen zeigt sich deutlich, dass dieses Thema den Wählern unter den Nägeln brennt und der Union negativ angelastet wird.
Wie sehr hat dieses Wahlergebnis das Parteiensystem in Deutschland verändert? Die AfD ist zweitstärkste Kraft vor der SPD ...
Falter: Es zeigt sich, dass die AfD keine Partei ist, die schnell wieder verschwindet, wie es in der Vergangenheit bei rechtspopulistischen Parteien wie der NPD, der DVU oder den Republikanern der Fall war. Die AfD hat sich stabilisiert, sie hat eine relativ fest gefügte Stammwählerschaft und ein Thema, das für viele Wähler von hoher Bedeutung ist: Migration. Solange diese Frage nicht in einer Weise gelöst wird, die große Teile der Bevölkerung als akzeptabel empfinden, wird die AfD stark bleiben. Ihre Wählerschaft ist außerdem sehr viel unzufriedener mit dem politischen System als die Wähler anderer Parteien. Wenn sich an diesen Rahmenbedingungen nichts ändert, könnte die AfD in vier Jahren noch stärker werden.

Viele Spitzenpolitiker sagen, die kommende Regierung sei die letzte Chance, dies zu verhindern. Könnte dies die nächste Koalition zusammenschweißen?
Falter: Wenn die großen möglichen Koalitionspartner CDU, CSU und SPD in der Lage sind, Kompromisse einzugehen, die auch für jeden von ihnen schmerzhaft sind, könnte es gelingen, die AfD wieder etwas einzudämmen. Das betrifft insbesondere das Migrationsthema, aber auch die Finanzpolitik und eine mögliche Modifikation der Schuldenbremse. Vor allem muss gelingen, eine glaubhafte Politik zu gestalten, die das tiefe Unbehagen im Großteil der Bevölkerung über die unkontrollierte Zuwanderung ernst nimmt. Falls diese Probleme nicht ernsthaft angegangen werden und es keine sichtbaren Fortschritte gibt, dann könnte die AfD beim nächsten Mal tatsächlich die 30-Prozent-Marke erreichen oder gar überschreiten.
Zersplittert das Parteiensystem immer weiter?
Falter: Unsere Gesellschaft ist sehr viel differenzierter als in den Fünfziger- oder Sechzigerjahren. Die alten Bindungen von Union zur Kirche oder SPD zu den Gewerkschaften sind weitgehend aufgezehrt. Durch diesen gesellschaftlichen Wandel lassen die Bindungskräfte der alten Parteien nach und es entstehen neue Parteien. Die Grünen waren die ersten, die AfD die zweiten. Das BSW möchte sich als dritte neue Kraft etablieren.
Die Wahlbeteiligung ist gestiegen, insbesondere in Ostdeutschland. Hat das der AfD genutzt?
Falter: Ja. Die AfD ist eine Protestpartei, die es schafft, aus einem gestiegenen politischen Unmut Kapital zu schlagen. Generell gilt, dass radikale Parteien ihre Wähler oft leichter mobilisieren können als die Parteien der Mitte.
Die AfD ist sehr radikal aufgetreten, zugleich konnte Parteichefin Alice Weidel eine Bühne in Wahlsendungen nutzen. Beginnt ein Gewöhnungseffekt an die Partei?
Falter: Ja, es findet ein Normalisierungsprozess statt. Die AfD wurde in viele TV-Sendungen eingeladen und man hat sich dort ernsthaft mit der Partei auseinandergesetzt. Das Totschweigen oder Isolieren der vergangenen Jahre hat die Partei nicht geschwächt. Im Gegenteil, in dem Maße, wie man die AfD versucht, auszuschließen, läuft man Gefahr, sie erst recht zu stärken.
Die SPD hat historisch schlecht abgeschnitten. Ist sie noch eine Volkspartei?
Falter: Sie ist keine große Volkspartei mehr, sondern eine kleinere. Ihre Wählerschaft ist breiter aufgestellt als die einer klassischen Weltanschauungspartei, aber sie hat es nicht geschafft, neue Wählerschichten dauerhaft an sich zu binden. Entscheidend wird sein, mit welchem Personal sie in eine mögliche Koalition geht und wie erfolgreich sie dort ihre Themen umsetzt.
Wird die FDP dieses Ergebnis überleben?
Falter: Das Problem der FDP ist ihr fehlender Unterbau. Die Liberalen sind nur noch in zwei Landesregierungen, der Ampel in Rheinland-Pfalz und der „Deutschlandkoalition“ in Sachsen-Anhalt vertreten. Sollte Christian Lindner zurücktreten, zeichnet sich niemand in der Partei ab, der mit einem vergleichbaren Charisma die FDP-Führung übernehmen könnte. Die Lage für die FDP ist sehr bedrohlich.
Zur Person
Jürgen Falter zählt zu Deutschlands bekanntesten Wahlforschern. Der 81-jährige Professor forscht an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Ich sage es mal unverblümt: Der beste unfreiwillige Wahlkampfhelfer der AFD war in meinen Augen Robert Habeck.
Herr Gerold Rainer ich habe nur eine einzige Frage an Sie:Warum haben die verärgerten Wähler nicht CDU/CSU gewählt? Die haben doch in Ihrem Wahlprogramm versprochen, dass Sie alles was die Grünen beschlossen haben, wieder rückgängig zu machen.
Persönliche Befindlichkeiten decken sich nicht immer mit logischen Schlussfolgerungen. Die FDP wurde dafür abgestraft, dass sie Habecks unsoziales Heizungsgesetz demontiert und den Alptraum der Ampel vorzeitig beendet hat. Es wird sich herausstellen, ob sich Merz zum Bettvorleger von rotgrün macht oder auch bei Abstimmungen Mehrheiten zusammen mit der AFD riskiert.
Sehr guter und genau treffender Kommentar. Sollte als Pflichtlektüre allen Politikern zugewiesen werden, denn die Ursprünge und möglichen zukünftigen Fakten sind real, wurden und werden von den etablierten Parteien jedoch ignoriert (ausgesessen?). Die deutsche Bevölkerung erwartet jetzt Änderungen in ihrem Sinne, die Wahlergebnisse zeigten es und es wird sich kaum vertrösten lassen.
Jetzt kommen wieder die mahnenden und besserwissenden Stimmen von Meinungsforschern usw.. Ich finde es muss jede Partei im Bundestag vertreten sein.. weil alle von Bürgern gewählt wurden... Diese Wahlrechtsreform ist sehr ungerecht und überhaupt nicht zeitgemäß.. Ich verlange auch Volksentscheide zur Mitbestimmung was die deutschen Bürger und das Land angeht..
Es ist völlig egal, was Sie "verlangen". Und finden können Sie auch viel, es gab halt mal klügere Köpfe als Sie, die befanden, dass es wenig Sinn ergibt, wenn sich ein Parlament in zig Parteien aufsplittert und im Zweifelsfall jede Kleinpartei - wie auch zuletzt geschehen - die Mehrheiten erpressen kann.
Was ist mit ihnen passiert .. habe ich sie persönlich angegriffen.. kennen wir uns oder sind sie immer so frech..?
Bravo Merz! Deine Ankündigung und Strategie , die AfD zu halbieren, indem die Schwarzen die Themen der AfD übernommen haben, ist total gut aufgegangen!
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