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Kommentar: Erinnerung ohne Überlebende: Das schwierige Gedenken an den Holocaust

Kommentar

Erinnerung ohne Überlebende: Das schwierige Gedenken an den Holocaust

Simon Kaminski
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    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) begrüßt die 103-jährige Holocaust-Überlebende Margot Friedländer bei der Feierstunde zum 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz.
    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) begrüßt die 103-jährige Holocaust-Überlebende Margot Friedländer bei der Feierstunde zum 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Wie steht es um unsere Erinnerungskultur? Wie setzen wir uns mit den Verbrechen der Nationalsozialisten auseinander? Fragen, die immer dann vielstimmig gestellt werden, wenn ein Gedenktag ansteht. So wie an diesem 27. Januar: Vor exakt 80 Jahren befreiten sowjetische Soldaten die Überlebenden des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz. Ein KZ, in dem rund 1,3 Millionen Menschen ermordet wurden, darunter 1,1 Millionen Juden.

    Umfrage: Mehr als jeder zehnte junge Deutsche weiß nicht über den Holocaust Bescheid

    Seit Jahren wachsen die Zweifel, ob sich die Form des Erinnerns ändern muss, um mehr Menschen zu erreichen. Eine Umfrage der Jewish Claims Conference unterfütterte diese mit alarmierenden Zahlen: Mehr als jeder zehnte junge Erwachsene in Deutschland weiß nicht, worum es geht, wenn er nach dem Holocaust gefragt wird. Während viele Gedenkstätten für den beispiellosen Massenmord seit Jahren auf Finanzmittel für eine dringend notwendige Sanierung warten, wird die Zahl derjenigen, die Auschwitz oder andere KZ überlebt haben, immer geringer.

    Damit geht ein entscheidendes Element der Aufarbeitung und Mahnung verloren: persönliche Berichte. Gedenkveranstaltungen geraten nicht selten zu einem schwierigen, oft lähmenden Balanceakt zwischen der Darstellung des furchtbaren Geschehens und der pflichtschuldigen Mahnung „Nie wieder“. Zeitzeugen wie Margot Friedländer schildern ihre Erlebnisse so authentisch, dass sie auf Mahnungen verzichten können – sie schwingen unausgesprochen mit im Bundestag, Tagungssaal oder Klassenzimmer. Gerade für Kinder und Jugendliche macht es das Unfassbare fassbar, wenn es auch um Alltägliches geht, wenn sie erkennen, dass der Zeitzeuge oder die Zeitzeugin ein Junge oder Mädchen war, wie sie heute selbst. Das macht solche Begegnungen zu einem Erlebnis, das verstört, aber auch berührt.

    Im Jahr 2023 lebten knapp 15.000 Männer und Frauen in Deutschland, die den Holocaust überlebt haben, die Zahl sinkt schnell. Es gibt Projekte, bei denen die letzten Zeitzeugen ihre Lebensgeschichte vor der Kamera erzählen, um sie in die Zukunft zu retten, und Kinder der Zeitzeugen, die anstelle von Mutter oder Vater Zeugnis ablegen.

    Der Kampf für ein Ende des „Deutschen Schuldkults“ ist fatal

    Ideen sind gefragt, in einer Zeit, in der antisemitische Stereotype und Geschichtsrevisionismus wieder salonfähig werden. Die AfD ist nicht die NSDAP, Hitler-Vergleiche führen in die Irre. Dennoch ist der Kampf der in Teilen rechtsextremen Partei gegen den „deutschen Schuldkult“ fatal. Wer den „Schlussstrich“ fordert, argumentiert kalt und unverantwortlich. Die Hoffnung, dass Antisemitismus irgendwann nur noch in einer verschroben-ignoranten Randgruppe Anklang findet, hat sich längst zerschlagen. Dass der jüdische Publizist Michel Friedman sich heute angesichts der fast täglichen Ausbrüche des Judenhasses fragt, ob es ein Fehler seiner Eltern gewesen sei, nach Deutschland zurückzukehren, ist beschämend.

    Ein Judenhass, der von „klassischen“ Rechtsextremen und Nazis gelebt wird, aber nicht zuletzt auch von Zuwanderern aus muslimischen Ländern – gespeist aus Unwissenheit über die deutsche Geschichte und Hass auf Israel. Politik, Schulen und Bildungseinrichtungen müssen alles daransetzen, gegen die Verfestigung dieses israelfeindlichen Milieus anzugehen. Bildung, Bildung, Bildung – das ist so wenig originell, wie es beschwerlich ist, Konzepte gegen Antisemitismus und Rassismus aufzulegen. Harte Arbeit also. Wir sind es den Opfern des Nazi-Terrors schuldig.

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    4 Kommentare
    Maria Reichenauer

    Also wenn mehr als jeder zehnte junge Deutsche nicht über den Holocaust Bescheid weiß, dann ist das für die Schulen ein wirklich trauriges Zeugnis. Wir brauchen nicht über Erinnerungskultur nachzudenken (die wichtig ist!!!), wenn die Schulen ihrem Bildungsauftrag nicht nachkommen. Und ja, die AfD ist nicht die AfD, wenn man sich aber die Präambel des sog. Blutschutzgesetzes von 1935 anschaut und sich dann die Reden von Höcke zur Reinheit deutschen Blutes anschaut – so sehr weit sind der Chefideologe der AfD und die NSDAP nicht auseinander. Wenn mehr als 20 % Deutsche einer Partei wie der AfD dennoch ihre Stimme geben – dann scheint mir der Ruf nach mehr Erinnerungskultur schon ein wenig scheinheilig. Mich würde sehr interessierten, ob Höcke Margot Fredländer ruhigen Gewissens in die Augen sehen könnte.

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    Maria Reichenauer

    ICh meinte, die AfD ist nicht die NSDAP...aber

    Johann Storr

    Die AfD ist ja für das Vergessen der Schreckensherrschaft der Faschisten. Herr Faschist Höcke träumt ja schon wieder vom "Auschwitzen". Und 20% der Deutschen wollen so eine Partei an der Macht haben. Das ist doch widerlich, auch wenn ein Milliardär das toll findet.

    Thomas Grüner

    Wie immer in Deutschland gilt und galt das Prinzip "viel hilft viel". Das stimmt aber nicht. Die permanente Konfrontation mit der Nazi-Vergangenheit in der Schule und in den Medien kommt so vielen mittlerweile aus den Ohren gequollen. Sigmund Freund spricht dann von "Reaktionsbildung", was umgangssprachlich soviel heißt wie Trotzreaktion. Das sollten alle mal nachlesen, welche über die Erfolge der AFD jammern.

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