Mit dem Vorschlag, die Schuldengrenze weiter zu lockern, hat sich Helge Braun auf vermintes Gelände begeben. Oder steckt da Angela Merkel dahinter?
Die Union hat ihren Wählern in den vergangenen 15 Jahren einiges zugemutet. Im Schweinsgalopp hat sie sich von der Atomkraft und der Wehrpflicht verabschiedet, sie hat eine Frauenquote, die Ehe für alle und den Mindestlohn eingeführt und die gute, alte Hauptschule zur Disposition gestellt. In politischen Stein gemeißelt war für CDU und CSU nur noch ein Ziel: Solide Staatsfinanzen – von Angela Merkel gerne mit dem Beispiel der schwäbischen Hausfrau beschrieben und durch die Schuldengrenze im Grundgesetz in den Verfassungsrang erhoben. Auf Dauer, soll das heißen, darf der Staat nicht über seine Verhältnisse leben.
Diese Initiative war kein Alleingang von Helge Braun
Mit seinem Vorstoß, das Grundgesetz zu ändern und die Schuldenbremse für zwei, drei weitere Jahre zu lockern, hat Kanzleramtsminister Helge Braun deshalb vermintes Gelände betreten. So jedenfalls sieht es auf den ersten, flüchtigen Blick aus. Tatsächlich hat Angela Merkel Braun vermutlich sehenden Auges in vermintes Gelände geschickt. Als Chef des Kanzleramtes ist er ja nicht nur einer ihrer engsten Vertrauten, er arbeitet auch in einer eher dienenden Funktion, eigene politische Initiativen verbieten sich da quasi von selbst.
Startet Braun sie dennoch, sind sie ohne jeden Zweifel mit der Kanzlerin abgestimmt, was im aktuellen Fall nur zweierlei bedeuten kann: Entweder rückt Angela Merkel auf den letzten Metern ihrer Amtszeit von der Schuldenbremse ab – oder sie will dem neuen CDU-Chef Armin Laschet noch einmal die aktuelle Hackordnung in der Union verdeutlichen, nach der noch immer sie zuerst kommt, als Kanzlerin, und dann erst die ehrgeizigen Vorsitzenden von CDU und CSU.
So oder so ist der Vorschlag politisches Harakiri. Beifall aus der falschen Ecke kann die Union in einem Wahljahr eigentlich nicht gebrauchen, genau den aber bekommt sie jetzt von den Sozialdemokraten und den Grünen, die Braun für seinen Vorschlag feiern als sei er einer der Ihren. Sein daraufhin eilig nachgeschobenes Bekenntnis, er stelle doch nicht die Schuldenregel insgesamt in Frage, sondern wolle nur für einige Jahre eine etwas höhere Neuverschuldung ermöglichen, ändert daran nichts. Die leise Saat des Zweifels ist bereits aufgegangen: Wie ernst ist es der Union noch mit den Prinzipien der schwäbischen Hausfrau? Führt das billige Geld jetzt auch die Konservativen in Versuchung? Brechen in einer schwarz-grünen Koalition nach der Wahl womöglich alle Dämme?
Die harsche Kritik an Braun aus den eigenen Reihen spricht jedenfalls Bände: Weite Teile der CDU fürchten genau dort zu landen, wo sie bisher nur die Grünen, die SPD und die Linke verortet haben – im Lager der Schuldenkünstler und Umverteiler, die mit lässiger Geste das Geld ausgeben, das sie entweder nicht haben oder sich über Steuererhöhungen erst noch beschaffen müssen. Laschet blieb deshalb gar nichts anderes übrig, als eine rote Linie zu ziehen und sich gegen die Kanzlerin und ihren Adjutanten Braun zu stellen.
Finanzminister Olaf Scholz hat noch Reserven
Natürlich würde eine gelockerte Schuldenregel die Möglichkeiten der nächsten Koalition spürbar erweitern, ihr vielleicht sogar unpopuläre Sparpakete ersparen – dem süßen Gift des geliehenen Geldes aber darf eine Partei nicht erliegen, deren Kompass auf finanzielle Solidität ausgerichtet ist. Außerdem sind die Löcher in der Finanzplanung nicht so groß, wie Braun es suggeriert. Im vergangenen Jahr hat der Bund nach einer Schätzung des Rechnungshofes etwa 50 Milliarden weniger an Schulden gemacht als zunächst geplant, und für das laufende Jahr hat Finanzminister Olaf Scholz ohnehin eine Art Corona-Puffer von 35 Milliarden Euro im Etat stehen - Spielraum genug, sollte man meinen, um halbwegs sicher durch die Krise zu kommen.
Das entscheidende Argument allerdings blendet Braun komplett aus. Es war auch die 2009 eingeführte Schuldenbremse, die die Politik erst in die Lage versetzt hat, in der Corona-Krise mit dreistelligen Milliardenbeträgen gegenzuhalten. Die ausgeglichenen Haushalte und die Überschüsse der vergangenen Jahren waren ja nicht nur das Ergebnis einer guten Konjunktur und entsprechend hoher Steuereinnahmen, sie sind auch der disziplinierende Kraft eines Gesetzes zu verdanken, das die Kreditaufnahme des Bundes von Wirtschaftskrisen und Naturkatastrophen abgesehen auf 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung begrenzt. Wer diese Regel schleift, verschwendet Munition für die berühmte „Bazooka“ von Olaf Scholz – und damit wertvolle Feuerkraft für die nächste Krise.
Lesen Sie dazu auch:
- Wirtschaft fordert Fahrplan für Lockerungen
- Plötzlich mächtig! Der Aufstieg von Kanzleramtschef Helge Braun
- Diese Herausforderungen muss Armin Laschet jetzt meistern
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um die Karte von Google Maps anzuzeigen
Hier kann mit Ihrer Einwilligung ein externer Inhalt angezeigt werden, der den redaktionellen Text ergänzt. Indem Sie den Inhalt über „Akzeptieren und anzeigen“ aktivieren, kann die Google Ireland Limited Informationen auf Ihrem Gerät speichern oder abrufen und Ihre personenbezogenen Daten erheben und verarbeiten, auch in Staaten außerhalb der EU mit einem niedrigeren Datenschutz Niveau, worin Sie ausdrücklich einwilligen. Die Einwilligung gilt für Ihren aktuellen Seitenbesuch, kann aber bereits währenddessen von Ihnen über den Schieberegler wieder entzogen werden. Datenschutzerklärung
Die Diskussion ist geschlossen.
"Brechen in einer schwarz-grünen Koalition nach der Wahl womöglich alle Dämme?"
Davon ist auszugehen. Die Politik neigt mit fast hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit zur vermeintlich leichteren Lösung. Staatsfinanzierung mit der Notenpresse hat noch nie funktioniert und wird es diesmal auch nicht. Erscheint aber einfacher. Lässt sich doch kurzfristig alles mit Geld finanzieren. Aber Schuldenbremse als scharfes Schwert? "Parlamente machen Gesetze, Juristen wenden Gesetze an und Regierungen brechen Gesetze." Das wird diesmal nicht anders sein.
https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/forum-ueber-das-ziel-hinausgeschossen-1.5169940
Eine ungesicherte Forderung in der Größenordnung des Target2-Saldos in der Bundesbank-Bilanz ist und bleibt beunruhigend, auch wenn dieser Saldo sich nicht über Nacht eingestellt hat.
Sehr geehrter Herr Wais,
Sie sollten besser Parteisprecher der FDP werden, als Ihre parteilichen Kommentare in einer angeblich überparteilichen Zeitung
abzugeben.
Wir müssen ganz dringend unsere Infrastruktur erneuern und auf den heutigen Stand der Technik bringen, notfalls auch mit neuen Schulden oberhalb des bislang Zulässigen.
Als ich las, dass der „Target2-Saldo“ der Bundesbank, das ist eine nie fällig werdende Forderung der Bundesbank an die EZB, im Juli 2020 die Marke von 1 Billion Euro überschritt, erinnerte ich mich an die Zweifel von Helmut Schmidt, ob die deutschen Exportüberschüsse tatsächlich als Profit gesehen werden können. („Ja, es bedeutet, dass man Waren verkauft und dafür nur Papiergeld erhält. Das wird später abgewertet, und man muss es abschreiben. So hält man Güter von der eigenen Nation fern, die sonst hätten konsumiert werden können.“)
Ich wünsche mir, dass wir künftig verstärkt für das eigene Land und den eigenen Wohlstand produzieren. Sollten wir je die Vereinigten Staaten von Europa erreichen, ersetze ich an dieser Stelle von Herzen gerne das „eigene Land“ durch „Europa“.
Die Target2-Problematik ist schon lange bekannt und trat vorallem in der TEuro-Krise 2009-2012 unübersehbar hervor .
Auch die Problematik der völlig übersteigerten Exportüberschüße ist überhaupt nichts Neues und sorgt seit mehr als zwei Jahrzehnten immerwieder zu Zwist und Streit mit befreundeten Nationen !
Vor diesem Hintergrund wird auch das seltsame Wirtschaftsverhältnis mit der KP China wieder einmal erhellt .
Den Export dorthin -hochgejubelt als segensreich für unsere Wirtschaft- alimentieren wir in Wirklichkeit pekuniär quasi auch selbst durch eigenes Geld !
Für die KP Chinas dagegen ist dies ein bombiges Geschäft und läßt Maos Genossen glückselig schlafen :
Peking erhält den Wissens- und Technologietransfer auf dem güldenen Tablett gereicht,
durch die Versorgung mit Arbeitsplätzen im eigenen Land ( Deutschland exportiert nämlich hauptsächlich hochwertige Güter - daher der Exportüberschuß - und führt im Gegenzug Chinesische Billigware ein !)
kommen die Chinesen nicht "auf dumme Gedanken" - etwa darauf , die Alleinherrschaft der KP mißtraurisch zu beäugen
und
man macht in China mit der eigenen Billigware selbst noch Geld wie Heu .
Tja !