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Krebserkrankung von Joe Biden: schon in der Vergangenheit über Gesundheit gelogen?

USA

Der amerikanische Patient: Wie die Debatte über Bidens Gesundheit das Vertrauen in die Politik beschädigt

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    Biden war im Januar aus dem Amt geschieden – als bis dahin ältester Präsident in der Geschichte der USA. Ursprünglich hatte er bei der Wahl 2024 erneut für die Demokraten antreten wollen.
    Biden war im Januar aus dem Amt geschieden – als bis dahin ältester Präsident in der Geschichte der USA. Ursprünglich hatte er bei der Wahl 2024 erneut für die Demokraten antreten wollen. Foto: Brendan Smialowski, AFP

    Das Leben von Joe Biden ist eines, das an Schicksalsschlägen nicht arm ist. Tod und Krankheit haben immer wieder seinen Weg gekreuzt. Zwei seiner Kinder musste er beerdigen, seine erste Frau starb bei einem Autounfall. Auch die Politik hat es nicht nur gut mit ihm gemeint. Nun hat ihn der Krebs erwischt. Die Prostata ist befallen, die Krankheit hat bereits in die Knochen gestreut. Der Tumor lässt sich wohl medizinisch kontrollieren – die Debatte darüber nicht mehr. In das Mitgefühl und in die Genesungswünsche, die dem früheren US-Präsidenten entgegengebracht werden, mischt sich längst ein anderer Ton. Hat er, der doch ständig von den besten Ärzten untersucht wird, wirklich erst jetzt von seiner schweren Krankheit erfahren? Ein Raunen liegt in der Luft, befeuert wird es – natürlich – von seinem Nachfolger Donald Trump. „Ich bin überrascht, dass die Öffentlichkeit nicht schon vor langer Zeit informiert wurde“, sagt der Präsident und fordert Aufklärung, ob es sich bei Bidens behandelndem Arzt um den gleichen Mediziner handele, der dem Demokraten zuvor volle kognitive Leistungsfähigkeit bescheinigt habe. „In beiden Fällen war ein Arzt beteiligt. Vielleicht war es derselbe Arzt, und jemand verschweigt die Fakten.“

    Belege gibt es nicht, doch die Saat des Misstrauens fällt auf einen fruchtbaren Boden. Bereitet haben ihn Biden und sein Team offenbar selbst. Just in den Tagen, als der Demokrat seine Krebserkrankung öffentlich macht, erschien ein Buch, das im Detail nachzeichnet, wie schwach, wie vergesslich, wie angeschlagen Biden seit Jahren ist – und wie sehr die Mannschaft um ihn herum mit aller Kraft versucht hat, dies zu verschleiern. „Gegen Ende von Bidens Amtszeit gab es außerhalb seines innersten Kreises von Familie und engen Mitarbeitern nicht mehr viele hochrangige Demokraten, die der Ansicht gewesen wären, er könnte eine zweite vierjährige Amtszeit bewältigen“, schreiben die beiden Autoren Jake Tapper und Alex ­Thompson („Hybris: Verfall, Vertuschung und Joe Bidens verhängnisvolle Entscheidung“). Doch öffentlich gemacht hat das niemand. Erst Bidens miserable TV-Debatte mit Trump führte dazu, dass Dinge ins Rutschen kamen, die über Jahre vertuscht worden sind. Tapper arbeitet für CNN, Thompson für das Nachrichtenportal Axios, unter MAGA-Verdacht stehen beide nicht.

    Vertrauen der Amerikaner ist schwer beschädigt

    Die Gesundheit des amerikanischen Präsidenten ist seit jeher ein Politikum. Der Bericht des Leibarztes gilt als alljährliches Medienereignis, ein Ritual, das der öffentlichen Inszenierung dient. „Der amerikanische Präsident ist das Symbol für Macht, wie sie keine andere Person hat“, sagt Julian Müller-Kaler, Leiter des Programms für Strategische Vorausschau beim Stimson Center, einem unabhängigen Thinktank in Washington. „Eine fragile Führungsfigur ist politisch inakzeptabel, vor allem auch, wenn es um die Macht der Bilder geht.“ Franklin D. Roosevelt, der 32. Präsident der Vereinigten Staaten, bestand darauf, trotz seiner Behinderung in der Öffentlichkeit ohne Rollstuhl aufzutreten. Woodrow Wilson, der 28. Präsident, erlitt im Amt einen Schlaganfall, doch seine Frau und seine Sekretärin schafften es, das mehr als ein Jahr lang geheim zu halten.

    Bei Biden hat der gesundheitliche Niedergang offenbar schon weit vor dem Wahlkampf 2024 begonnen. Der Tod seines Sohnes Beau im Jahr 2015 habe ihn aus der Bahn geworfen, heißt es. „Durch Beaus Tod ist er stark gealtert“, schildert ein langjähriger Vertrauter in dem Buch. „Seine Schultern wirkten schmaler, sein Gesicht hager. Man sah es in seinen Augen.“ Doch der Einsatz von Telepromptern und die Unterstützung seines Teams halfen durch den politischen Alltag. Aussetzer wurden heruntergespielt. Hat diese Selbstüberschätzung Trump den Weg zurück ins Weiße Haus geebnet?

    Joe Bidens Umfeld wollte eine zweite Amtszeit erzwingen

    Biden selbst hatte noch im Jahr 2020 beteuert, nur eine einzige Amtszeit anstreben zu wollen. Doch einmal an der Macht, wollte er offenbar nicht mehr von ihr lassen. Immer stärker habe er selbst an das geglaubt, was sich am Ende als Legende herausstellen sollte: dass nur er in der Lage wäre, Trump ein zweites Mal zu schlagen. Er habe sich als jemanden gesehen, dem vieles gelungen sei, was ihm seine Kritiker nicht zugetraut hätten. „Für Angehörige und enge Mitarbeiter wurde die Mythologie zu einem nahezu religiösen Glauben an die Fähigkeit Bidens, sich wieder aufzurappeln. Und wie in jeder Glaubenslehre war Skepsis nicht erlaubt“, schreiben Tapper und Thompson. So sei ein enger Kreis an Vertrauten entstanden, der mit aller Kraft versuchte, Kratzer von diesem Bild fernzuhalten. Selbst wenn dies auf Kosten der Wahrheit ging. Mit schwerwiegenden Folgen.

    „Das Vertrauen vieler Menschen in Politik und auch Medien ist inzwischen so niedrig, dass Geschichten wie diese nur noch als weiterer Beleg dafür angesehen wird, wie korrupt und verlogen die politische Elite in den USA ist“, sagt US-Experte Müller-Kaler. Jeder habe sehen können, wie fragil Biden gewesen sei – doch öffentlich behauptet wurde etwas anderes. „Es ist ein bisschen wie der Kaiser, der nackt vor seinem Volk steht, aber niemand spricht es aus.“ Dies sei zumindest ein Baustein, warum der Populismus und Trumps Schimpfen auf das politische Establishment so viel Erfolg haben.

    Jill Biden galt als eine treibende Kraft

    Biden, heute 82 Jahre alt, war der älteste Präsident, den die USA je hatten. „Das eigentliche Problem war aber nicht sein Alter als solches“, schreiben Tapper und Thomson. „Es waren die klar erkennbare Verminderung seiner Fähigkeiten, die im Verlauf seiner Amtszeit immer deutlicher wurde. Schon was die Öffentlichkeit von seiner Fähigkeit, das Amt auszuüben, zu sehen bekam, gab Anlass zur Sorge. Aber was sich hinter den Kulissen abspielte, war noch viel schlimmer.“ Biden, so heißt es und so wussten es wohl viele, konnte nur noch eine begrenzte Zahl an Stunden täglich arbeiten – um 16.30 Uhr gab es Abendessen, danach sei nicht mehr viel passiert. Er habe die Namen von Mitarbeitern vergessen, seine Frau Jill habe Reden für ihn ausformulieren müssen. Er nannte den chinesischen Präsidenten einen Diktator und forderte in Russland einen Regimewechsel. Der Kreis derer, die überhaupt noch Kontakt zu ihm hatten, wurde immer kleiner. „Biden, seine Familie und sein Team haben sich von ihrem Eigeninteresse und der Angst vor einer weiteren Amtszeit Trumps leiten lassen, und damit den Versuch gerechtfertigt, einen zuweilen verwirrten alten Mann für vier weitere Jahre ins Oval Office zu bringen“, schreiben die Autoren.

    Angela Merkel spielte ihren Zitteranfall herunter

    Nur an den Kampf „Gut“ gegen „Böse“ mag auch Müller-Kaler nicht glauben. „Man muss sicher bedenken, dass es dem Umfeld von Biden auch um die eigenen Jobs gegangen ist“, sagt er. „Es gab also ein großes Interesse daran, dass Biden im Amt bleibt.“ Deshalb würden die Messer auch meist erst dann gewetzt, wenn die Amtszeit ein Ende gefunden hat. „Die Debatte über Bidens Gesundheitszustand ist deshalb auch ein wenig ein Armutszeugnis für die Linken in den USA“, sagt Müller-Kaler. „Sie hat noch immer keinen Weg gefunden, mit Trump umzugehen – deshalb muss nun Biden herhalten als Grund, warum die Wahl verlorengegangen ist.“ Doch die strukturellen Probleme, die den Republikaner ins Amt verholfen hätten, gingen in Wahrheit viel tiefer.

    Der Fall Biden mag ein besonders eindrücklicher sein - einmalig hingegen ist er nicht. Auch in Deutschland versuchten Politikerinnen und Politiker, ihren fragilen Gesundheitszustand zu verschleiern. Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel durchstand einen schweren Zitteranfall vor laufenden Kameras nur mit enormer Disziplin – sie habe zu wenig getrunken, hieß es hinterher beschwichtigend. Helmut Kohl verschwieg auf einem Parteitag 1989 eine Prostata-Erkrankung, sprach unter Schmerzen und traute sich nicht einmal auf die Toilette, weil er einen Putsch gegen sich fürchtete. Heide Simonis, frühere Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, unterzog sich heimlich einer Krebsoperation und verbarg anschließend bei einem öffentlichen Termin ihre Tropfflasche unter einer weißen Stola. Helmut Schmidt litt unter wiederkehrenden Ohnmachtsanfällen. Später sagte er in einem Interview: „Wir haben darüber nicht geredet, sondern es war klar, dass wir nichts sagen würden. Das Entscheidende ist, dass die Umgebung des Politikers, dass die die Schnauze halten.“

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    1 Kommentar
    Jochen Hoeflein

    Im normalen Berufsleben gelten in Führungspositionen gelten unabhängig vom Alter bestimmte Kriterien als unabdingbar ob man seinen Job noch erledigen kann. Anscheinend ist das aber in der Politik nicht so. Kognitive Mängel, fortgeschrittene Vergesslichkeit , Verwechslung von Personen und Sachverhalten, Anzeichen von Orientierungslosigkeit werden tot geschwiegen oder unterdrückt. Bei Hr Biden war es doch so, dass er freie Diskussionen ohne Teleunterstützung nicht mehr führen konnte und freie Rede kaum mehr zustande brachte. So ein Mann ist einfach für eine hervorgehobene Führungsposition wie Präsident der USA nicht geeignet.

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