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Krieg in der Ukraine: Im Osten der Ukraine geht es wieder einmal um alles

Krieg in der Ukraine

Im Osten der Ukraine geht es wieder einmal um alles

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    Ein Soldat mit der Munition für das 120 Millimeter-Mörser-Geschütz. An diesem Tag ist es im Dauer-Einsatz.
    Ein Soldat mit der Munition für das 120 Millimeter-Mörser-Geschütz. An diesem Tag ist es im Dauer-Einsatz. Foto: Till Mayer

    Es muss schnell gehen. So wenig wie möglich Zeit außerhalb der Deckung aufhalten. Russische Kamikaze-Drohnen bringen schnell den Tod, bei Aufklärungsdrohnen kommt er mit Verzögerung. Alles läuft wie ein Uhrwerk. Per Funk werden die Zielkoordinaten von der Feuerleitstelle durchgegeben. Sie gehen an den Batterie-Kommandanten in einem zum Bunker umgebauten Gemüsekeller. Zwei Soldaten laufen mit schnellen Schritten zum Mörser-Geschütz. 120 Millimeter, ukrainische Produktion. Ein Soldat eilt zum Munitionsbunker, ein weiß gestrichener Geräteschuppen. Er macht die Granaten scharf. Derweil nehmen die beiden anderen Tarnnetze und Zweige ab, die das Geschütz für russische Drohnen aus der Luft unsichtbar machen sollen.

    Mit dem Zielgerät werden die Koordinaten eingestellt. Derweil wird die Granate geholt. Der Soldat lässt sie vorsichtig in das Geschützrohr gleiten, geht hinter einem Bretterverschlag in Deckung. Dann zündet der dritte von ihnen per Fernbedienung die Granate. Ein mächtiger Knall, das Rohr speit das Geschoss in einer Feuerwolke aus. Das Spiel wiederholt sich. Neue Koordinaten kommen per Funk, um nachzubessern. Die Zielkoordinaten liefern in der Regel Drohnen oder die Infanterie im Gefecht.

    Das dumpfe Dröhnen der Artillerie ist ständig zu hören

    Drei Schüsse gibt das Trio ab. Dann verschwinden die Soldaten schnell in einem aufgelassenen Haus. Die Bewohner des nahen Dorfs sind längst geflohen. Aber über den verlassenen Häusern herrscht keine Stille. Stattdessen lärmt der Krieg. Keine zwei Kilometer entfernt startet die russische Infanterie einen Angriff. Ihnen gelten die Granaten des Mörsers. Ziele sind meist russische Stoßtrupps.

    Rodion (links) kommandiert eine Mörser-Stellung an der Pokrowsk-Front. Von einem möglichen Einfrieren der Front hält er wenig. Er fordert, dass endlich ausreichend Waffen und Munition geliefert werden.
    Rodion (links) kommandiert eine Mörser-Stellung an der Pokrowsk-Front. Von einem möglichen Einfrieren der Front hält er wenig. Er fordert, dass endlich ausreichend Waffen und Munition geliefert werden. Foto: Till Mayer

    Fast ununterbrochen ist das dumpfe Hämmern der Artillerie zu hören. Scharf und krachend, wenn die Ukrainer in der Nähe abfeuern. Dumpf die Schüsse, die von russischer Seite kommen. Eine Granate zischt über die Stellung. Der Einschlag ist zu weit entfernt, als dass sie sich stören lassen. Wenige Minuten später kommt der nächste Einsatzbefehl und ein neues Ziel. Das gleiche Prozedere beginnt von vorne. Bis zu 40 Granaten schießt das Geschütz täglich in den Himmel. Im Dämmerlicht des Gemüsekellers sitzt der Commander dank Starlink mit Internet-Verbindung.

    Rodion ist 29 Jahre alt und befehligt drei Geschütze. Das 125 Millimeter Geschütz und zwei weitere aus italienischer Produktion mit 82 Millimeter Granaten. „Die 82-er nutzen wir gar nicht. Ihre Sprengkraft ist zu gering. Damit durchschlagen wir kein Dach, unter dem sich russische Soldaten verstecken. Sie sind wertlos für diesen Kampf“, sagt er. Es geht hier um viel an der Pokrowsk-Front. Fällt die Stadt, gerät ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt in russische Hände. Und eine Kohle-Mine, die für die Stahlproduktion wichtig ist. Stahl wiederum braucht der Krieg.

    Rodion hat früher als Bauarbeiter in Polen und Deutschland Häuser gebaut. Jetzt sieht er voller Wut zu, wie die russischen Angriffe Dörfer und Städte ausradieren. Pokrowsk ist gerade dabei, das zweite Bachmut zu werden, eine zerstörte Stadt.

    Nur noch 7000 Menschen leben in der Bergarbeiterstadt

    In der ostukrainischen Bergarbeiterstadt ist nur noch ein Bruchteil der ursprünglich über 60.000 Einwohner verblieben. Nach Angaben der städtischen Militärverwaltung leben nur noch etwas mehr als 7.000 Menschen in Pokrowsk. Eine Versorgung mit Trink- und Brauchwasser und Dienste wie die Müllabfuhr können in Anbetracht der Sicherheitslage nur noch in wenigen Teilen der Gemeinde bereitgestellt werden, heißt es. Russische Truppen haben sich von Süden und Südwesten Pokrowsk selbst auf wenige Kilometer genähert. Militärbeobachter gehen vom Versuch einer Umgehung der um die Stadt ausgebauten ukrainischen Verteidigungspositionen aus.

    Soldaten feuern eine Haubitze an der Torezk-Front ab.
    Soldaten feuern eine Haubitze an der Torezk-Front ab. Foto: Till Mayer

    Würde eine eingefrorene Front nicht das Ende dieses Wahnsinns bedeuten? Rodion schüttelt den Kopf. „Die Russen könnten dann ungestört weiter aufrüsten. Sie stellen ihre ganze Wirtschaft in den Kriegsmodus um. Der große Angriff würde in einigen Jahren kommen. Er würde dann nicht nur der Ukraine gelten“, ist sich der 29-Jährige sicher. Vor diesem Szenario warnen auch zahlreiche Beobachter. Dass Russland seine Aufrüstung umfassend und mit großem Tempo vorantreibt, ist belegt. Der neue EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius warnt davor, dass Russland Panzer produziert, die bereits eingelagert werden. Europa sei nicht gegen einen russischen Angriff gerüstet, befürchtet er.

    Seit Monaten bahnt sich die russische Armee brachial und ohne Rücksicht auf eigene Verluste und Zerstörung ihren Weg Richtung Pokrowsk. Mittlerweile stehen die Invasoren wenige Kilometer vor der Stadt. Beobachter rechnen, dass Pokrowsk fallen wird. Rodion und seine Kameraden feuern aus allen Rohren, um das zu verhindern. In den vergangenen Wochen haben die russischen Truppen ihre Angriffe weiter intensiviert.

    „Das kann durchaus ein Zeichen sein, dass sie vor dem möglichen Einfrieren der Front um jeden Preis noch Gelände gut machen wollen. Pokrowsk wollen sie unbedingt einnehmen. Es ebnet ihnen den Weg für einen späteren Vormarsch Richtung Dnipro“, erklärt er. 165 Kilometer sind es dann noch bis zu der wichtigen Industrie- und Finanzmetropole.

    „Aber noch ist es nicht so weit, wir kämpfen“, erklärt Rodion. Er zeigt sich enttäuscht von der Unterstützung aus dem Westen. „Bis jetzt haben wir immer gerade so viel bekommen, dass wir uns gerade noch halten konnten. So hatten wir nie eine echte Chance“, sagt er. Die Daten des Ukrainischen Verteidigungsministeriums sind alarmierend für die Verteidiger. Allein im Monat November eroberten russische Truppen 702,1 Quadratkilometer ukrainischen Bodens. Das ist das Fünffache von der Fläche, die russische Truppen im ganzen Jahr 2023 besetzen konnten. Im Januar 2024 waren es beispielsweise noch ganze 31,1 Quadratkilometer Fläche.

    An der Pokrowsk-Front bedienen Soldaten ein 120 Millimeter-Mörser-Geschütz.
    An der Pokrowsk-Front bedienen Soldaten ein 120 Millimeter-Mörser-Geschütz. Foto: Till Mayer

    Für Oleg sind das nicht nur Zahlen. Er kämpft an der Toretzk-Front. Die zerstörte Stadt liegt nahe: ein verlassenes Trümmerfeld. Der 30-Jährige kämpft in einer Einheit, die sich aus Polizeibeamten zusammensetzt. Jeder von ihnen hat sich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet. „Sechs waren es in meiner Abteilung, einer ist gefallen“, erklärt der junge Mann. „Früher bin ich viel Streife gefahren. Als ich mich gemeldet habe, drohte mir meine Frau mit der Scheidung“, sagt der Vater einer vierjährigen Tochter mit einem leichten Lachen. Dann wird er ernst. „Ich habe in Bachmut als Infanterist gekämpft. Es war hart. Stück für Stück haben die Russen die Stadt mit der Artillerie zerstört“, berichtet der Kämpfer.

    Auf Putins Wort, das Wissen die Menschen hier, ist kein Verlass

    Seine Familie fehlt ihm. Auf dem Smartphone hat er einen kleinen Clip vom September. Er kommt mit einem riesigen Blumenbouquet zum Fronturlaub nach Hause. Seine kleine Tochter stürmt ihm entgegen, der Vater kniet sich, damit sein Kind ihm um den Hals fallen kann. „Das hat meine Frau gefilmt“, sagt der Familienvater stolz.

    Soldat Oleg im Bunker mit Kater Maron.
    Soldat Oleg im Bunker mit Kater Maron. Foto: Till Mayer

    Beim „Einfrieren“ der Front könnte er vielleicht zu seiner Familie zurückkehren, zumindest mehr als nur zwei Wochen pro Halbjahr Fronturlaub bekommen. „Zu 30 Prozent klingt das gut für mich, zu 70 Prozent weiß ich, dass es wenig bringen wird. Es gibt den Russen nur Zeit. Putin will ein großes Imperium“, auch er ist sich da sicher.

    Russland garantierte einst zusammen mit den USA und Großbritannien die Unverletzbarkeit der ukrainischen Grenzen. Im Gegenzug übergab die Ukraine 1994 ihr gesamtes nukleares Waffenarsenal im Rahmen des Budapester Memorandums an Russland. Die Ukraine war zu diesem Zeitpunkt die drittgrößte Atommacht der Welt. 2014 besetzten russische Truppen die Krim und trugen den Krieg in den Donbas.

    Auf Putins Wort, da ist sich das Gros der Menschen in der Ukraine sicher, ist kein Verlass. Was in den von Russland besetzten Gebieten passiert, ist den Menschen bewusst. Augenzeugen und Menschenrechtsorganisationen berichten von systematischer Folter, tausenden Vermissten, Tötungen und Willkür. Wer sich in den besetzten Gebieten weigert, einen russischen Pass anzunehmen, dem droht im nächsten Jahr der Verlust von Hab und Gut. Der Zugang zu Einrichtungen für Gesundheit und Bildung ist schon jetzt erschwert.

    Putins Russland steht in der Ukraine für Rechtlosigkeit und Diktatur. Verträge seien für den russischen Diktator nichtig, sobald sie ihm nicht mehr nutzen. Da sind sich die Kommentatoren der ukrainischen Medien weitgehend einig. „Das Einfrieren der Front klappte schon zwischen 2014 und 2022 nicht“, erinnert Oleg.

    Aber Trumps Forderungen sind klar. Er will als US-Präsident die Frontlinie einfrieren. Ein einiges Europa könnte das Ausfallen der amerikanischen Unterstützung mit einem mächtigen Kraftakt kompensieren. Die gesamte Wirtschaftsleistung Russlands ist geringer als die von Kalifornien. Doch der Rückhalt in Europa und auch in Deutschland bröckelt. Dessen sind sich die Menschen in der Ukraine allzu sehr bewusst. Die Wahlerfolge von AfD und Wagenknecht und rechtsextremer Putin-naher Parteien in ganz Europa sind Schocknachrichten für das kriegsgebeutelte Land.

    Oleg streichelt im Erdbunker Kater Maron über das Fell. „Er hat uns von einer Mäuseplage im Bunker erlöst“, sagt der Kämpfer. „Wir können jetzt nur eines tun. Kämpfen und halten. Es wäre gut, wenn wir dafür endlich wenigstens immer ausreichend Munition hätten.“ Dann rauscht der Einsatzbefehl mit den Koordinaten durch das Funkgerät. Wenige Minuten später feuert die Haubitze. Die russischen Verbände starten wieder einen Angriff.

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    4 Kommentare
    Raimund Kamm

    Danke Herr Mayer, für diesen eindrucksvollen wie wehtuenden Bericht! Schlimm, dass wir der Ukraine nicht die Waffen liefern, die sie brauchen, um sich gegen die Invasoren zu verteidigen! Schuld hieran sind AFD, BSW, BK Scholz und Teile der SPD.

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    Klemens Hain

    Das habe ich auch sehr oft gedacht und freue mich, dass auch andere meiner Meinung sind.

    Stefan Ruga

    Dem ersten Teil Ihres Kommentars stimme ich vollumfänglich zu. Der zweite irritiert mich etwas: Inwieweit haben denn zur Zeit AfD und BSW mitzuentscheiden, welche und wieviel Rüstungsgüter an die Ukraine geliefert werden?

    Rainer Kraus

    Hoffentlich beendet Trump dieses verbrecherische Drama wie er versprochen hat, umgehend, wenn er inthronisiert ist.

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