Es ist ein bedeutender Kurswechsel in der deutschen Israel-Politik: Bundeskanzler Friedrich Merz hat erstmals offene Kritik am Vorgehen Israels im Gazastreifen geübt. „Die Zivilbevölkerung derart in Mitleidenschaft zu nehmen, wie das in den letzten Tagen immer mehr der Fall gewesen ist, lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terrorismus der Hamas begründen“, sagte er auf der Digitalkonferenz re:publica in Berlin. Deutschland müsse sich mit öffentlichen Ratschlägen an Israel so weit zurückhalten, wie kein zweites Land auf der Welt, fügte er hinzu. „Aber wenn Grenzen überschritten werden, wo einfach das humanitäre Völkerrecht jetzt wirklich verletzt wird, dann muss auch Deutschland, dann muss auch der deutsche Bundeskanzler dazu etwas sagen.“
„Ich bin sehr froh darüber, dass Friedrich Merz zum richtigen Zeitpunkt das Richtige gesagt hat“, sagt Norbert Röttgen, Unionsfraktionsvize, unserer Redaktion. „Gerade aus unserer unverbrüchlichen Solidarität mit Israel heraus ist es unsere Pflicht, Israel gegenüber auch offen anzusprechen, wenn die Grenzen von Verteidigung, Terrorismusbekämpfung und damit Völkerrecht überschritten werden.“ Röttgen selbst fordert die israelische Regierung zu militärischer Zurückhaltung bei ihrer Großoffensive auf. „Das hierdurch bewirkte Sterben und Leiden so vieler unschuldiger Palästinenserinnen und Palästinenser muss sofort beendet werden.“ Israels Militär plant übereinstimmenden Medienberichten zufolge innerhalb weniger Wochen die Einnahme von drei Vierteln des abgeriegelten Gazastreifens. Die palästinensische Zivilbevölkerung solle auf ein Viertel des abgeriegelten Küstengebiets zusammengedrängt werden, um Gaza von der islamistischen Hamas zu befreien.
Der Umgang mit Israel schwelte zuletzt auch innerhalb der schwarz-roten Koalition. Vize-Kanzler und SPD-Chef Lars Klingbeil hatte gefordert, die israelische Regierung stärker unter Druck zu setzen, um die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen doch noch abzuwenden. Der außenpolitische Sprecher der SPD, Adis Ahmetovic, verlangte, deutsche Waffenexporte nach Israel auszusetzen. „Deutsche Waffen dürfen nicht zur Verbreitung humanitärer Katastrophen und zum Bruch des Völkerrechts genutzt werden“, sagte er dem Magazin Stern. Im Koalitionsausschuss, der an diesem Mittwoch zum ersten Mal tagt, soll das Thema behandelt werden. Auch international wird die Kritik an Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und dessen rechter Koalition immer lauter. Die EU stellt ein wichtiges Partnerschaftsabkommen mit Israel infrage.

Israels Sicherheit gilt als Teil der deutschen Staatsräson
In dieser Debatte hatte sich Deutschland noch zurückgehalten, entsprechend der außenpolitischen Tradition. Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sicherte Israel seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 wiederholt seine Solidarität zu. Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete im Jahr 2008 in einer Rede vor der Knesset, dem israelischen Parlament, die Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson. Doch seit Israels neuer Militäroffensive im Gazastreifen sowie der mehrwöchigen Blockade von Hilfslieferungen für das Gebiet waren vermehrt mahnende Stimmen zu hören.
Zugleich bemüht sich die Bundesregierung, die Partnerschaft zwischen Deutschland und Israel zu betonen. „Aber die israelische Regierung darf nichts tun, was nun irgendwann ihre besten Freunde nicht mehr bereit sind, zu akzeptieren“, unterstrich Merz. Außenminister Johann Wadephul sagte: „Einerseits, wir stehen zum Staat Israel, wir sind für ihn verantwortlich und andererseits stehen wir natürlich zum Grundwert der Humanität und sehen natürlich das Leiden dieser Menschen.“
Der erfahrene Außenpolitiker Röttgen wurde von Kanzler Merz ausgebremst gegen den unerfahrenen Wadepul, der sich mit seinem 5 % - Wehretat gleich bei Trump anbiedern wollte. Ob Seilschaften wie Merz/Wadepul oder Merz/Unternehmer Weimer erfolgreich sein werden, wird sich zeigen.
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