Was die Spitzenpolitiker der AfD in Deutschland nun gerichtlich bekämpfen, ist für den Chef ihrer Schwesterpartei in Österreich kein Problem – im Gegenteil. Wenn er als rechtsextrem bezeichnet würde, dann trage er „diese Beschimpfung wie einen Orden“, sagte Herbert Kickl im Januar 2024 vor seinen Anhängern beim Neujahrstreffen der FPÖ. Die extrem rechte Partei zögerte nicht, sich solidarisch zu erklären mit den deutschen Gesinnungsfreunden in der AfD, die vorläufig vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ bezeichnet wird. Die FPÖ-Europaabgeordnete Petra Steger etwa beklagte die „Durchgriffs- und Eskalationsbereitschaft der herrschenden Klasse“, die nun mit „geheimdienstlichen Mitteln die Opposition überwachen“ wolle. Die FPÖ sieht die Entscheidung des Verfassungsschutzes als ersten Schritt in Richtung eines AfD-Verbotsverfahren.
Tatsächlich aber sorgen die Vorgänge in Deutschland in Österreich kaum für Diskussionen über den Umgang mit der extrem rechten Partei im eigenen Land. Ein Grund ist die unterschiedliche Rechtslage: Anders als in Deutschland sieht die Verfassung bei den Nachbarn keine Möglichkeit eines Parteiverbotsvverfahrens vor.
Anders als in Deutschland gibt es kein Verfahren, um Parteien zu verbieten
Zwar habe es nach dem Zweiten Weltkrieg Überlegungen gegeben, ebenso wie in Deutschland eine solche Option einzuführen, davon habe man aber wieder Abstand genommen, erklärt der Wiener Verfassungsjurist Heinz Mayer. Die österreichischen Höchstgerichte hätten allerdings eine Art Umwegskonstruktion ermöglicht: „Parteien, die gegen das NS-Verbotsgesetz verstoßen, sind nach dem Verfassungsgerichtshof nicht existent und können nicht agieren.“ Das bedeutet in der Praxis: Betätigen sich Parteien im nationalsozialistischen Sinne, dürfen sie nicht bei Wahlen antreten. Genau das ist in den letzten Jahrzehnten zumindest zweimal der Fall gewesen. Zuletzt durfte die neonazistische „Nationale Volkspartei“ 2009 nicht bei Landtags- und Bezirksvertretungswahlen antreten. Nach der Verhaftung eines führenden Kaders verliefen sich die Aktivitäten der Gruppierung.
Im Vergleich zu Deutschland sind in Österreich auch die Mittel des Verfassungsschutzes begrenzt. Laut Staatsschutzgesetz dürfen die Behörden keine Parteien beobachten. Allerdings: „Das bedeutet nicht, dass es nicht einzelne Personen gibt, die Überschneidungen darstellen zwischen rechtsextremen Netzwerken und Parteien“, betonte im Februar der oberste Verfassungsschützer Omar Haijawi-Pirchner. Und diese Personen seien für den Nachrichtendienst sehr wohl relevant. Überschneidungen zwischen der FPÖ und dem organisierten Rechtsextremismus gibt es tatsächlich seit jeher – nicht erst seit der Übernahme des Parteivorsitzes durch Kickl.
Verfassungsschützer haben in Österreich weniger Optionen einzugreifen
Der jüngste Rechtsextremismusbericht des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands belegt eine enge Verflechtung der Freiheitlichen mit rechtsextremen Gruppierungen wie beispielsweise der „Identitären Bewegung“. Das spiegelt sich auch in der Arbeit des Verfassungsschutzes. Die Rechtslage führt dazu, dass die Staatsschützer zwar ganz offensichtlich über die FPÖ schreiben, sie aber nicht namentlich nennen. „Während Parteistrukturen in erster Linie parteiliche Interessen verfolgen, stellen sie zugleich für die neurechten Gruppierungen die einzige Möglichkeit dar, ihre politischen Bestrebungen – den Umsturz von innen – zu verwirklichen“, steht etwa im neuesten Bericht.
Ganz konkret sprechen die Staatsschützer die Unterstützung der Partei für rechtsextremen Strukturen an: „Ohne parlamentarische Mittel, politische Meinungsbildung beziehungsweise Einflussnahme, würde die ‚Neue Rechte‘ bei der Verfolgung ihrer Ziele in absehbarer Zeit an ihre Grenzen stoßen.“ Und: „Parteien, in deren politischer Agenda die ‚Neue Rechte‘ ideologische Anknüpfungspunkte für sich erkennen, werden gezielt mittels politischem Aktivismus unterstützt, um diese auf Regierungs- und damit Entscheidungsebene zu heben“. Außerdem heißt es da: „Fakt ist, dass die ‚Neue Rechten‘ immer stärker eine Vermengung mit der Parteipolitik anstreben und sich dadurch 2024 ein erhöhtes Gefahrenpotenzial für den demokratischen Rechtsstaat ergibt.“
Die Zusammenarbeit in umgekehrter Richtung – also die FPÖ-Unterstützung beispielsweise der „Identitären“ – erfolgte in früheren Jahren eher verdeckt, lange bestand, ähnlich wie bei der AfD, ein Unvereinbarkeitsbeschluss, rechtsextreme Aktivisten durften offiziell keine Parteimitglieder sein. Medien aus dem rechtsextremen Spektrum erhielten aber Unterstützung in Form von Inseraten, offen zeigen wollte man die Sympathie für die rechtsextremen Aktivisten aber nicht. Während sich frühere FPÖ-Chefs pro Forma vom organisierten Rechtsextremismus abzugrenzen versuchten, stellt sich die FPÖ unter Kickl offen an die Seite von solchen Gruppierungen. Würden aber die Beamten des Verfassungsschutzes die FPÖ offiziell als rechtsextrem bezeichnen, „ohne sich gegen die Partei wehren zu können, dann würden sie in die politische Willensbildung eingreifen“, sagt dazu Verfassungsjurist Mayer. Der Experte sieht aber durchaus Diskussionsbedarf über mögliche Nachschärfungen, was die rechtliche Handhabe betrifft: „Man könnte die Parteienförderung einschränken oder streichen – aber auch hier bräuchte es ein Verfahren, das Rechtsschutz gewährt.“
Die FPÖ ist seit Jahrzehnten Teil der Parteienlandschaft und regierte auch schon
Die Tatsache, dass die FPÖ früh Teil der österreichischen Parteienlandschaft wurde, seit ihrem Bestehen mehrfach in Bundes- und Landesregierungen saß und der medial vielfach unkritische Umgang mit ihren extrem rechten Positionen – das sind laut Gabriela Greilinger die Gründe für die fehlende Diskussion in Österreich. Greilinger forscht an der University of Georgia in den USA zur extremen Rechten, Demokratie und politischem Verhalten. „Demokratische Parteien in Deutschland haben sich, zumindest bis vor kurzem, stets stark von rechtsradikalen und rechtsextremen Parteien abgegrenzt“, sagt die Politologin. „Im Gegensatz dazu ist die Brandmauer in Österreich praktisch inexistent.“
Greilinger hält eine Debatte über eine juristische Nachschärfung für durchaus legitim, spricht aber von einer „Gratwanderung“ und einem „demokratischen Dilemma“: „Einerseits gilt es, Demokratien vor anti-demokratischen Kräften zu schützen. Andererseits besteht die Gefahr, dass ein Eingreifen selbst als undemokratisch wahrgenommen wird.“ Natürlich sei es wahrscheinlich, „dass rechtsradikale und rechtsextreme Parteien Beobachtung durch die Behörden und damit verbundene Konsequenzen instrumentalisieren, um ihre Wählerschaft zu mobilisieren“, sagt Greilinger. Mit der zunehmenden Virulenz, mit der extrem rechte Parteien auftreten, müssten aber auch die rechtlichen Rahmenbedingungen weiterentwickelt werden – „um im Falle eindeutiger antidemokratischer Hinweise auch den entsprechenden rechtlichen Rahmen zur Verfügung zu haben.“ Allerdings müsse jede juristische Änderung mit rechtsstaatlichen Kontrollmechanismen einhergehen, um einen möglichen Machtmissbrauch auszuschließen.
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