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Chaos in Österreich: Kickl lässt Koalitionsgespräche zwischen FPÖ und ÖVP platzen

Koalitionsverhandlungen

Chaos in Österreich: Kickl lässt Koalitionsgespräche platzen

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    FPÖ-Chef Herbert Kickl wird vorerst nicht Kanzler von Österreich.
    FPÖ-Chef Herbert Kickl wird vorerst nicht Kanzler von Österreich. Foto: Helmut Fohringer, dpa

    Mittwochnachmittag im Wiener Regierungsviertel, zwischen Bundeskanzleramt und der Hofburg, dem Sitz des österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen: Der Chef der extrem rechten FPÖ, Herbert Kickl, steigt aus seinem schwarzen Mercedes, um dem Staatsoberhaupt Bericht zu leisten, über den Fortschritt der Regierungsverhandlungen mit der konservativen ÖVP.

    Als Kickl die Hofburg wortlos wieder verlässt, ist klar, was in den vergangenen Tagen von der Öffentlichkeit, politischen Beobachtern und Journalisten erwartet wurde: Kickls Verhandlungen mit der ÖVP sind gescheitert, in einer kurzen Mitteilung gibt der FPÖ-Chef bekannt, er habe den Regierungsbildungsauftrag, den er von Van der Bellen erhalten hatte, zurückgegeben.

    Das kleine, einst für seine politisch stabile Landschaft bekannte Land ist in diesen Tagen nicht mehr wiederzuerkennen: Zum zweiten Mal nach den Nationalratswahlen Ende September und dem Sieg der FPÖ scheitern Koalitionsgespräche. Zuerst war sich die Dreier-Konstellation aus Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen nicht einig geworden. Nun der nächste Knall: Nach rund sechs Wochen Verhandlungen gibt Kickl vorerst die Chance aus der Hand, Österreichs erster FPÖ-Kanzler zu werden. Wie es weitergeht, ist unklar. Für die Österreicher ist das bereits ein Dauerzustand: Die Republik steht Kopf. Wieder einmal. 

    Was ist passiert? Was zu Beginn der Gespräche zwischen FPÖ und ÖVP, die seit dem Abschied von Ex-Kanzler Karl Nehammer interimistisch von Christian Stocker geführt wird, noch nach einer zwar schwierigen, aber durchaus schaffbaren Aufgabe aussah, verkam in den vergangenen Wochen schrittweise zu einer Farce.

    Streit um den Zugriff auf das Innenministerium

    Zwar gelang es den beiden Parteien rasch, einen Plan zur Lösung des massiven Schuldenproblems vorzulegen und so ein EU-Defizit-Verfahren abzuwenden, dann aber machte Kickl klar, wie er sich seine Kanzlerschaft vorstellt: Das Innenministerium, inklusive Zugriff auf den Verfassungsschutz und die Asyl- und Migrationsbehörden, müsse von der FPÖ geführt werden. Zudem wollte Kickl das Finanzressort, ein de facto Ende des öffentlichen Rundfunks ORF, den er künftig nicht mehr über die geltende Haushaltsabgabe finanzieren wollte und einen Ausstieg aus dem europäischen Verteidigungsprogramm Sky Shield.

    Immerhin die für die selbsternannte „Europapartei“ ÖVP besonders heiklen EU-Aufgaben und das Außenministerium bot Kickl schließlich der ÖVP an – das war dieser allerdings zu wenig. Der Streit, wer Zugriff auf das Innenressort und damit die Exekutive haben sollte, entwickelte sich zum Sprengsatz für die Verhandlungen. Die ÖVP habe, noch bevor es um die konkreten Inhalte gegangen sei, schon um Posten und Ministerien feilschen wollen, monierten FPÖ-Politiker.

    FPÖ und ÖVP sprachen zuletzt kaum noch direkt miteinander

    Was schließlich in den vergangenen Tagen folgte, glich einer Schlammschlacht auf offener Bühne. Die beiden Parteien ließen sich immer neue Angebote zukommen, schließlich spielten Unbekannte das über 200 starke Verhandlungspapier mit den zahlreichen offenen Punkten an die Medien. Persönliche Verhandlungen fanden da schon kaum mehr statt, am Dienstag sollen ÖVP und FPÖ nur 20 Minuten miteinander gesprochen haben, den Verhandlungsort verließ man danach über eine Hintertüre, die Journalisten warteten stundenlang vor einem leeren Büro.

    Kickls Forderungen glichen mehr und mehr einer offenen Provokation der Konservativen: Vor den österreichischen Amtsgebäuden sollten keine Europaflaggen mehr aufgezogen werden, verlangte der FPÖ-Chef. Kirchenbeiträge sollten künftig nicht mehr steuerlich absetzbar sein, internationale Gerichtsurteile sollten in Österreich im Bedarfsfall nicht mehr befolgt werden. 

    „Es kommt für uns nicht infrage, dass wir die Sicherheit Österreichs aufs Spiel setzten“, sagte Christian Stocker nach dem Verhandlungs-Aus am Mittwochnachmittag vor Journalisten. Am Zug sieht der ÖVP-Chef nun den Bundespräsidenten – und die Sozialdemokraten. Zwar sprach Stocker das Thema von neuerlichen Dreierverhandlungen oder Zweiergesprächen mit der SPÖ, mit der die ÖVP im Parlament über eine hauchdünne Mehrheit verfügt, nicht an – Parteifreunde aber machten klar, dass sie vor neuerlichen Verhandlungen statt dem amtierenden SPÖ-Chef Andreas Babler gerne jemand Neuen an der Spitze der Sozialdemokraten sehen möchten.

    Die einzige Möglichkeit seien baldige Neuwahlen, verlangte hingegen FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker. Der, auf den nun alle blicken, ließ sich am Mittwochabend nicht in die Karten blicken. In einem Pressestatement las der Bundespräsident allen politischen Parteien die Leviten, forderte Kompromisse und den Fokus auf das „Staatsganze“: „Ein Verhandlungsprozess ist kein Wettkampf, bei dem es entweder Gewinner und Verlierer gibt“, sagte Van der Bellen – und zählte die nun möglichen Varianten auf: Neuwahlen, eine Minderheits- oder eine Expertenregierung oder doch noch eine Mehrheitsbildung im Parlament. Um auszuloten, was möglich sei, werde er in den kommenden Tagen „Gespräche mit Politikern führen“. Wie lange er sich dafür Zeit nehmen will, ließ das Staatsoberhaupt offen. 

    Herbert Kickl äußert sich selbst zum Verhandlungs-Aus

    Umso ausführlicher äußerte sich noch am Mittwochabend Herbert Kickl. Ausführlich und live im öffentlich-rechtlichen TV übertragen, rechnete der FPÖ-Chef mit der ÖVP und den Verhandlungen mit ihr in den vergangenen Wochen ab. In einer über 30-minütigen Rede zählte Kickl die Positionen der ÖVP, wie sie sich aus seiner Sicht dargestellt hätten, auf: Die Konservativen hätten de facto alle wesentlichen Ministerien für sich gefordert. „Ist das der adäquate Ausdruck eines Wahlergebnisses, wo die Ausgangslage sich geändert hat?“, fragte Kickl. Er wäre nicht bereit gewesen, zentrale Wahlversprechen seiner Partei aufzugeben, so der FPÖ-Chef – der, ganz augenscheinlich, sich längst schon wieder im Wahlkampf befindet. 

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    2 Kommentare
    Wolfgang Leonhard

    Eine gute Nachricht für die Demokratie in Österreich. Es wäre absurd, den Verfassungsfeinden nochmals das Innenministerium zu überlassen. Jetzt sind die demokratischen Parteien gefordert, über ihren Schatten zu springen.

    Wolfgang Schwank

    Das Beste an der Sache ist die Selbstentlarvung dieser sogenannten "Freiheitlichen" (welch ein Hohn) Nur vergessen wir nicht, die wurden gewählt!!! Aktuelle Umfragen sehen sie bei 34 Prozent. Wie kann es soweit kommen? Das jahrzehntelagen Gemauschel der beiden anderen, hier ein Pösterl, da ein Kammersitzerl, etc. schürt halt Unzufriedenheit und, zurück zur Aktualität. Eine offizielle Politik in Sachen Krieg/Frieden und Migration, die der Wahrnehmung der Menschen, die selbst von sozialen Pröblemen und Abstiegsängsten geprägt sind, nicht entspricht, stärkt das braundurchwirkte rechte Pack. Kickl und Konsorten glauben wohl, dass jetzt die Saat aufgeht die die Gründerväter legten. Vergessen wir nicht, diese Partei war als politisches Sammelbecken der Austrofaschisten und sonstigen alten Kameraden, gerade auch der SS, konzipiert.Und mehr braun als blau waren sie immer.

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