Hans-Joachim Watzke hat nachgerechnet. Seit 48 Jahren, sagt der Geschäftsführer von Borussia Dortmund, kenne er Friedrich Merz jetzt. Er selbst war noch nicht einmal volljährig und ging in Marsberg im Sauerland aufs Gymnasium. Der CDU-Chef, schon 21 Jahre alt, lebte im wenige Kilometer entfernten, etwas größeren Brilon. Getroffen haben sie sich damals in der Jungen Union. Viel, viel später holte Watzke den Jugendfreund dann in den Aufsichtsrat seines Vereins. Seitdem weiß er: „Wenn Du zehn Jahre unfallfrei bei Borussia Dortmund gearbeitet hast, kannst Du auch Bundeskanzler. Dann kannst Du alles.“
An einem Nachmittag Anfang Februar sitzt Watzke auf der Bühne des CDU-Parteitages in der Berliner Messe und erzählt von seiner Freundschaft mit Merz. Natürlich dient die kleine Talk-Runde dazu, den Kanzlerkandidaten vor den Delegierten und den Gästen der Partei in ein sympathisches Licht zu stellen. Am Ende aber sagt Watzke etwas, das seinem Freund Merz sicher gefallen haben wird, das dessen Kritiker aber auch gerne gegen ihn verwenden: „Friedrich Merz und ich sind beide Sauerländer. Wenn wir etwas sagen, dann meinen wir das auch.“ Soll heißen: Auf der Diplomatenschule hätte man uns gar nicht erst genommen. Zu direkt. Zu wenig konziliant.
Friedrich Merz‘ Sympathiewerte sind noch ausbaufähig
Als Kanzler muss Merz auch Diplomat sein. Kanzlerkandidat aber wäre er nicht geworden, wenn er ständig nur Rücksichten genommen, sich angebiedert oder beim geringsten Widerstand aufgegeben hätte. Den CDU-Vorsitz erobert er erst im dritten Anlauf, als die Partei nach der verlorenen Wahl 2021 am Boden liegt und Olaf Scholz gerade zum Kanzler gewählt worden ist. Nun setzt er im fortgeschrittenen Alter von 69 Jahren selbst zum Sprung ins Kanzleramt an, begleitet von massiver Kritik, seit die AfD im Bundestag zweimal mit der Union gestimmt hat, aber offenbar unter zunehmender Akzeptanz draußen, im Land. Im letzten Deutschlandtrend der ARD haben die C-Parteien und ihr Kandidat etwas besser abgeschnitten als in den Vorwochen, der Vorsprung von Merz auf Scholz und den Grünen Robert Habeck ist gewachsen.
Am Abend zwischen den beiden vielleicht turbulentesten Tagen, die der Bundestag in seiner jüngeren Geschichte erlebt hat, fährt Friedrich Merz nach Dresden. Wahlkampf unter erschwerten Bedingungen, wenn man so will. „Wer hat uns verraten – Christdemokraten?“, skandieren ein paar Hundert Demonstranten vor der Halle nach dem Eklat mit der AfD. Drinnen steht Merz auf der Bühne, die Rechte lässig in der Hosentasche. „Das Richtige wird nicht falsch, nur weil die Falschen zustimmen“, hat der Generalsekretär der Landes-CDU kurz zuvor gesagt, um das Publikum für den Auftritt des Kandidaten schon einmal warmzureden. Es ist der Tag, an dem Angela Merkel Merz öffentlich in die Parade gefahren ist. Merz selbst lässt sich nicht anmerken, wie sehr ihn das ärgert, er nimmt den Namen der Altkanzlerin gar nicht erst nicht in den Mund, sondern sagt nur: „Ich suche keine Mehrheiten außerhalb des breiten Spektrums der politischen Mitte.“ Dass die AfD es 2017 überhaupt in den Bundestag geschafft hat, „hat auch etwas mit der Politik der vergangenen Jahre zu tun.“ Also mit der Politik von Angela Merkel.

Seit 1972 ist er Mitglied der CDU, eingetreten im historischen Streit um Willy Brandts Ostverträge, die er heute allerdings für richtig hält. Mochten andere aus der Partei sich später langsam den Grünen annähern, indem sie sich regelmäßig in einer Bonner Pizzeria mit ihnen trafen – Merz ist ein Konservativer geblieben. Immer ein wenig kühl im Auftritt, aber kantig und klar in seinen Positionen. Zu klar vielleicht? Anders als seine Rivalin Merkel sediert Merz das Land nicht - er polarisiert. „Es gibt kaum einen Politiker, der so unmittelbar Reaktionen und Emotionen auslösen kann“, schreibt sein Biograf Volker Resing. „Der so viel Zustimmung und Ablehnung gleichzeitig erfährt“ Am schwierigsten, gesteht Resing, sei es für ihn während seiner Recherchen gewesen, sich dem Vorwurf der Arroganz zu nähern. Schließlich spreche der CDU-Chef mit seinen 1,98 Metern Körpergröße buchstäblich von oben herab, zumal wenn der deutlich kleinere Kanzler wie im TV-Duell neben ihm steht. Freunde und Wegbegleiter, die Resing getroffen hat, kennen allerdings auch einen anderen Merz. Einen, der sich kümmert, wenn jemand aus seiner näheren Umgebung Sorgen oder Probleme hat. Der mit dem Postboten in Brilon genauso kann wie mit einem Konzernchef.
In der Union galt Merz lange als einer, der nach dem Verlust des Fraktionsvorsitzes an die spätere Kanzlerin sein Merkel-Trauma nicht bewältigt hat und vor allem deshalb in die Politik zurückgekehrt ist. Heute allerdings räumen sogar seine Kritiker ein, dass die Union unter ihm zu neuer Geschlossenheit gefunden und ihr Profil wieder geschärft hat. Mit Angela Merkel war die CDU eine bessere SPD, leicht angegrünt und nur etwas moderater im Auftritt. Mit Merz ist sie wieder eine klare Alternative zu Genossen und Grünen geworden. Und die aktuelle Debatte um eine konsequente Begrenzung der Migration und den Umgang mit der AfD ist dabei vermutlich nur die Blaupause für eine Neubesinnung auf das Konservative. Und für den endgültigen Bruch mit Angela Merkel wohl auch.
„Ich würde sagen, „konservativ“ ist ein Synonym für Sicherheit im Wandel“, hat Merz in einem Interview mit unserer Redaktion betont, noch ehe er Kanzlerkandidat wurde und die Ampel vorzeitig auseinanderbrach. „Mein Eindruck ist, dass die Bevölkerung in einer unsicheren Zeit nach Halt sucht, und das ist doch im besten Sinne des Wortes konservativ - zu erhalten, was dieses Land stark und erfolgreich gemacht hat.“ Die Frage, wie er es nach der Wahl mit der AfD hält, hat er aus seiner Sicht eindeutig beantwortet: „Vorher nicht, nachher nicht, niemals!“. Gestellt aber wird sie ihm gleichwohl jeden Tag in diesem Wahlkampf.
Bundeskanzler Olaf Scholz klingt im TV-Duell wie ein Oppositionsführer
Auch beim TV-Duell am Sonntagabend dominiert das Thema zunächst die Sendung, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen. Scholz keilt aus, greift an, spricht von einem Tabubruch und klingt dabei, als wäre er nicht der Kanzler, sondern der Oppositionsführer – während Merz, der Herausforderer, seine Attacken mit dem überlegenen Lächeln eines Mannes abwehrt, der sich seiner Sache schon ziemlich sicher ist. Ausgerechnet er, dem nachgesagt wird, er agiere oft zu impulsiv und zu unbeherrscht, scheint plötzlich die Ruhe selbst zu sein. Um Kopf und Kragen redet er sich jedenfalls nicht.
Friedrich Merz, das älteste von vier Kindern eines aus Polen geflohenen Juristen und einer sauerländischen Bürgermeisterstocher, stand lange im Verdacht, ein kalter Neoliberaler zu sein, übertrieben ehrgeizig und einem breiten Publikum nur schwer vermittelbar. Nach dem tödlichen Messerangriff von Aschaffenburg, bei dem ein kleiner Junge und ein Mann ums Leben kommen, der einfach nur helfen wollte, begegnen die Abgeordneten der Union allerdings einem anderen, erkennbar betroffenen Merz. Einem, der Gefühle zeigt. Merz habe in der Fraktion mit den Tränen kämpfen müssen, erzählt einer, der dabei war. „So habe ich ihn noch nie erlebt.“
Ob es daran liegt, dass Merz selbst drei Kinder und sieben Enkelkinder hat? Dass er die Tat auf eine schwer zu erklärende Weise persönlich nimmt? Aschaffenburg hat alles verändert in diesem Wahlkampf, der sich bis dahin eher müde dahinschleppt und vor allem die desaströse Wirtschaftslage zum Thema hat. Merz geht nach Aschaffenburg „all in“, wie er es nennt, setzt wie beim Pokern alles auf eine Karte - auch um den Preis, für das, was er im Bundestag zur Abstimmung stellt, nur die Zustimmung der AfD zu bekommen. „Ich weigere mich anzuerkennen“, sagt er, noch sichtlich aufgewühlt, „dass die Taten von Mannheim, Solingen, Magdeburg und jetzt Aschaffenburg die neue Normalität in Deutschland sein sollen.“
Richtlinienkompetenz, Einreiseverbote, Abschiebehaft: Wo die politische Konkurrenz vor allem juristische Probleme sieht, sieht er die Chance, nun etwas grundlegend zu verändern. „Ich gucke nicht rechts und links“, betont er. „Ich gucke in diesen Fragen nur geradeaus.“ Die SPD jedoch, deren Anhänger mehrheitlich so denken wie er, stimmt nicht mit der Union, die sich nun des Vorwurfs erwehren muss, ohne Not die Brandmauer nach rechts zu schleifen. So gerät Merz, der mit seinem Fünf-Punkte-Plan und seinem Gesetz zur Begrenzung der Zuwanderung eigentlich in die Offensive kommen wollte, auch zu seinem eigenen Erstaunen plötzlich in die Defensive, obwohl die Sache für ihn doch klar ist. Eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der AfD? „Ich würde doch die Seele der CDU verkaufen“, sagt er unter dem Beifall seiner Anhänger in Dresden, „wenn ich auch nur daran denken würde.“
Wolfgang Schäuble förderte Merz nach Kräften
1994 wird Merz erstmals in den Bundestag gewählt – wie Peter Altmaier, Wolfgang Bosbach, Norbert Röttgen oder Armin Laschet damals auch. Ein junger Abgeordneter, der schon eine Legislatur im Europäischen Parlament hinter sich hat und schnell durch seine rasche Auffassungsgabe und seine pointierte Rhetorik auffällt. Wolfgang Schäuble fördert den Neuen nach Kräften, der in den Nachbeben des CDU-Spendenskandals Fraktionsvorsitzender im Bundestag wird, den Aufstieg Angela Merkels an ihm vorbei aber nicht verhindern kann. 2009 wechselt Merz in die Wirtschaft, arbeitet unter anderem als Anwalt und als Aufsichtsratsvorsitzender von Blackrock Deutschland, einem milliardenschweren Vermögensverwalter. In die Politik zurück findet er nur mühsam, er unterliegt nach dem Rückzug von Angela Merkel im Kampf um den Parteivorsitz erst Annegret Kramp-Karrenbauer und dann Armin Laschet. Aber: Er gibt nicht auf, obwohl er, wohlhabend, wie er ist, es auch bequemer hätte haben können. Mögen Markus Söder und Hendrik Wüst ihre eigenen Ambitionen haben: Merz sitzt als CDU-Chef jetzt am längeren Hebel, auch wenn er bis heute kein klassischer Parteiarbeiter ist. Vor allem seine Erfahrungen in der Wirtschaft, aber auch seine zeitweise Distanz zum politischen Betrieb, findet sein Biograf Resing, „haben ihn zu einem Unikum in der Politik gemacht.“
Zehn Tage vor der Wahl spricht vieles dafür, dass das kantige Unikum aus dem Sauerland der nächste Bundeskanzler wird. Auf dem Parteitag vor gut einer Woche feiert ihn die CDU bereits mit stehenden Ovationen, ehe er überhaupt ein Wort gesagt hat. Undenkbar noch vor einigen Jahren. Sein Ziel sei es, sagt der Kandidat dann, Deutschland wieder in Ordnung zu bringen. Angela Merkel sitzt nicht im Publikum. Und es vermisst sie auch niemand mehr.
Hoffentlich erleben Sie keine böse Überraschung am Wahlabend, Herr Wais. Merz ist noch lange nicht Kanzler, dazu braucht er Mehrheiten. Und die haben ihren Preis.
Aber Merz ist dreimal besser als die Problem aussitzende Merkel und Scholz. Hoffe es reicht für eine Koalition CDU/CSU mit der SPD als Juniorpartner, aber ohne die Grünen. Auf deren Aussen- und Wirtschaftspolitik kann man getrost verzichten.
Jepp, das beginn schon damit, dass die Rücknahme einer Canabis-Legalisierung außer mit der AFD nur schwer möglich sein wird, denn es bleiben sonst nur Parteien die diese eingeführt oder zugestimmt hatten.
Wenn Sie sich da mal nicht täuschen Herr Hoeflein!! Ich denke nicht so wie Sie, denn für das ganze Desaster trägt nicht alleine die Grünen die Verantwortung und die SPD war auch Jahrelang in der Regierungsverantwortung unter Merkel. Stillstand war bei dieser Regierung schon an der Tagesordnung und aussitzen!!!! Jahrelang CSU Wähler gewesen, lebe in Bayern, aber Heuer CSU wählen, wird mir nicht passieren, immer sind die anderen Schuld nur nicht die CSU so war es bestimmt nicht!!!Bei den Grünen hat sich für die Zukunft schon etwas getan. Der Anfang für die Ampel hatte man sich schon anders vorgestellt, den der Angriffskrieg von Herrn Putin konnte man nicht voraus sehen und Lösungen für die vielen Flüchtlinge gab es auch unter der Vorgänger Regierung nicht! Ich finde es schon langsam dämlich immer nur die Grünen sind an allem Schuld und ja nicht mit den Grünen Regierungen, kann man nicht mehr hören Slogan von Herrn Söder, sind für mich besser als die SPD!!!!!
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