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So hat unser US-Korrespondent die Amtszeit von Joe Biden erlebt

USA

Bye-Bye Biden!

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    US-Präsident Joe Biden im Oval Office des Weißen Hauses in Washington. Nach vier Jahren muss er die Machtzentrale verlassen.
    US-Präsident Joe Biden im Oval Office des Weißen Hauses in Washington. Nach vier Jahren muss er die Machtzentrale verlassen. Foto: Ben Curtis, dpa

    Der 3. November 2019 war ein sonniger Herbsttag, und ich war froh über die Ausrede für einen kleinen Trip ins Umland. Die Fahrt führte vorbei am National Golf Club des damaligen Präsidenten Donald Trump in den unscheinbaren Vorort Sterling (Virginia), wo auf einem Parkplatz ein Podest aufgebaut war. Dort begegnete ich Joe Biden zum ersten Mal persönlich.

    An die Rede vor den vielleicht hundert Zuhörerinnen und Zuhörern kann ich mich nicht mehr erinnern. Sie dauerte keine sieben Minuten. Danach aber kletterte der Mann im dunkelblauen Sakko und mit offenem Hemdkragen von der kleinen Bühne und begann seinen eigentlichen Auftritt: Er schüttelte lächelnd Hände, plauderte und umarmte wildfremde Menschen. Und er schoss Selfies mit ihnen: Geschickt umklammerte er die Handys mit seinen Fingern, fokussierte das Motiv mit der Frontkamera, setzte sein breitestes Zahnpastagrinsen auf und betätigte mit dem Daumen den Auslöser. 40 Minuten ging das so. Der Kontrast zwischen dem unprätentiösen Ex-Obama-Vize und dem narzisstischen Amtsinhaber, um dessen Job er sich damals bewarb, hätte nicht größer sein können.

    Seine offene Art machte Joe Biden sympathisch

    Seither habe ich Joe Biden beruflich begleitet – erst im parteiinternen Vorwahlkampf, dann bei einer durch die Corona-Pandemie seltsam gedämpften Kampagne und schließlich während seiner vier Jahre im Oval Office. Natürlich kommt man als ausländischer Reporter selten ganz nah an den amerikanischen Präsidenten heran. Aber bei den Abflügen mit dem Hubschrauber vom Südrasen des Weißen Hauses, bei Empfängen im Rose Garden, beim sonntäglichen Kirchgang, bei Terminen draußen im Land oder beim Herumlungern in Bidens Wochenend-Exil Rehoboth Beach gab es öfter Gelegenheiten, den mächtigsten Mann der Welt abseits der fürs Fernsehen inszenierten Auftritte zu erleben.

    Ich gebe zu: Biden war mir schnell sympathisch. Seine offene Art, sein trockener irischer Humor, seine Empathie und seine von tragischen Schicksalsschlägen gezeichnete Lebensgeschichte, die er ohne Bitterkeit bewältigt hat, machen es schwer, den Mann nicht zu mögen. Seine Betonung von liberalen Werten ist unserer europäischen Vorstellung sehr nahe. Sein Auftritt ist von Anstand, Respekt und Zivilität geprägt. Mit seinem stacksenden Schritt wirkt er fast zerbrechlich - ganz anders als der breitbeinige Rüpel Trump. Ein Jahr nach dem Auftritt in Sterling gelang es ihm tatsächlich, den Republikaner aus dem Amt zu vertreiben. Die ganze Welt schien aufzuatmen. „Die Demokratie hat sich durchgesetzt“, titelte die New York Times am Tag nach der Amtseinführung am 20. Januar 2021 groß auf der ersten Seite: „Biden verspricht, die Nation zu heilen.“

    Vier Jahre später sind die USA zerrissener denn je. In wenigen Tagen muss Biden das Oval Office räumen. Zurück kehrt ausgerechnet jener Demokratieverächter, den Biden zum einmaligen Betriebsunfall der amerikanischen Geschichte erklären wollte. „This is not who we are“, hat der 82-Jährige immer wieder erklärt: „We are better than this!“ (dt.: So sind wir nicht, wir sind besser). Nun zeigt sich: Das Land ist genau so. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit Biden hingegen ist auf ein Rekordniveau geklettert. Zum Ende von Obamas Amtszeit glaubten 52 Prozent der Amerikaner, ein „guter“ Präsident verlasse die Bühne. Bei Trump 2021 waren es immer noch 36 Prozent. Von Biden sagen das gerade einmal 25 Prozent.

    Der desaströse Abzug aus Afghanistan bleibt mit Biden verbunden

    Wie konnte es dazu kommen? Darüber werden Politologen und Historiker sicher noch unzählige Bücher schreiben. Ich habe keine abschließende Antwort. Aber ich muss derzeit öfter an den Januar 2020 denken. Da begann im verschneiten Bundesstaat Iowa der Vorwahlkampf der Demokraten, und Biden lag zunächst deutlich abgeschlagen hinter dem Linken-Idol Bernie Sanders und dem Shootingstar Pete Buttigieg zurück.

    Besonders sein Auftritt in einer Sporthalle in Des Moines blieb mir in Erinnerung. Da wiederholte Biden seine Floskel von der amerikanischen Seele, um die bei der Wahl gekämpft würde, aber es sprang kein Funke über. Er nuschelte und verhaspelte sich. Im Kollegenkreis schauten wir uns fragend an: Kann das gut gehen? Wochen später gewann Biden die Kandidatur – aber nur mithilfe des Partei-Establishments, das zunächst die wichtigen schwarzen Stimmen in South Carolina organisierte und dann allen Wettbewerbern den Rückzug nahelegte.

    Joe Biden war Vize des damaligen US-Präsidenten Barack Obama.
    Joe Biden war Vize des damaligen US-Präsidenten Barack Obama. Foto: Michael Reynolds, dpa

    Auch Bidens Sieg gegen Trump im darauffolgenden November war kein Selbstläufer. Er entsprang vielmehr dem in den chaotischen Trump-Jahren und der Corona-Pandemie gewachsenen Wunsch vieler Amerikaner und Amerikanerinnen nach einer Beruhigung der politischen Fieberkurve und der Rückkehr zu einer gewissen Normalität. Mit 40 Jahren Senatserfahrung auf dem Buckel hatte sich Biden als solider Polit-Handwerker und erfahrener Staatsmann verkauft. Doch das Image bekam bald schwere Kratzer: Der desaströse Abzug aus Afghanistan, bei dem 13 amerikanische Soldaten ihr Leben verloren, schockte das Selbstbewusstsein der Nation. Die Zahl der illegalen Übertritte über die Südgrenze der USA verdoppelte und verdreifachte sich, ohne dass die Regierung reagierte. Und dann explodierten die Preise, aber Biden nahm das Thema nicht ernst.

    Joe Biden polarisiert inzwischen ähnlich stark wie Donald Trump

    Vielleicht hätte man vieles erklären können. Aber Biden, der als Kind gestottert hatte, war nie ein großer Redner. Während seiner Präsidentschaft hat er kaum Pressekonferenzen gegeben. Seine Ansprachen las er stets vom Teleprompter ab, und wenn er sich vom Manuskript löste, gab es peinliche Versprecher, Patzer und Aussetzer. Aus Sorge vor weiteren Pannen schirmten ihn seine Berater immer mehr ab. Im Zeitalter der großen Social-Media-Plattformen und der Youtuber und Podcaster mit riesiger Hörergemeinden ist das fatal. Das Trump-Lager karikierte den Präsidenten mal als senilen Tattergreis, mal als korrupten Gangster und mal als Marionette der Linken. Das Image des „Middleclass-Joe“ verblasste. Bald polarisierte Biden die Menschen so stark wie Trump. Die Versöhnungs-Mission war gescheitert.

    Wie dramatisch die Kommunikation des Präsidenten versagt hat, lässt sich am Wahlergebnis vom November ablesen: Ausschlaggebend für Trumps Sieg waren vor allem die angeblich schlechte wirtschaftliche Lage und die ungebremste Zuwanderung. Tatsächlich hinterlässt Biden eine enorm robuste Wirtschaft mit Rekordbeschäftigung, für die sich sein Nachfolger bald rühmen dürfte – erst recht, wenn mittelfristig die Milliardeninvestitionen in die Infrastruktur und die Modernisierung der Industrie ihre vollen Früchte tragen. Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt hat Biden überdies im Sommer das Asylrecht extrem eingeschränkt. Seither ist die Zahl der illegalen Grenzübertritte von über 200.000 auf unter 50.000 im Monat gefallen. Dessen ungeachtet wettert der künftige Vizepräsident J.D. Vance: „Biden hinterlässt der neuen Regierung ein Desaster.“ Die meisten Amerikaner glauben das.

    Wenn man Biden in seinen letzten Amtstagen zunehmend verzweifelt um sein politisches Erbe kämpfen sieht, könnte man sein Schicksal als tragisch empfinden. Aber dazu ist der Anteil des 82-Jährigen an der Katastrophe zu groß. Zweimal – bei seiner erneuten Kandidatur und der Begnadigung seines Sohnes Hunter – hat er die Amerikaner regelrecht betrogen. Damit hat er sein Bild in den Geschichtsbüchern eingetrübt und dem Vertrauen in demokratische Regeln und Normen echten Schaden zugefügt.

    Einen Nachfolger hat Biden nie gesucht

    „Ich betrachte mich selbst als eine Brücke, nicht als irgendetwas anderes“, hatte er im Wahlkampf 2020 erklärt: „Es gibt eine ganze Generation von politischen Anführern hinter mir. Sie sind die Zukunft des Landes.“ Das war ein Versprechen, den Stab nach einer einzigen Amtszeit rechtzeitig an eine jüngere Kandidatin oder einen jüngeren Kandidaten weiterzugeben. Doch trotz seiner zunehmenden altersbedingten Aussetzer dachte der Präsident nicht daran. Es bedurfte eines desaströsen Absturzes im TV-Duell mit Trump und einer Intrige der Demokraten-Strippenzieherin Nancy Pelosi, um den Präsidenten im Juli endlich zum widerwilligen Rückzug zu bewegen – viel zu spät für eine geordnete Kampagne seiner Nachfolgerin Kamala Harris.

    Joe Biden (rechts) als junger Senator neben US-Präsident Jimmy Carter.
    Joe Biden (rechts) als junger Senator neben US-Präsident Jimmy Carter. Foto: dpa

    Offenbar verbirgt sich hinter der freundlichen Fassade des Menschenfreundes eine problematische Portion Geltungsdrang, Sturheit und Hybris. Bis heute betont Biden in Interviews, er hätte die Wahl gewinnen können. Diese trotzige Realitätsverweigerung könnte biografische Ursachen haben. Ich erinnere mich an einen Besuch in Scranton, der wenig glanzvollen Geburtsstadt von Biden. Dort bekommt man nicht nur einen Eindruck, aus welch kleinen Verhältnissen sich der Politiker – anders als viele wohlhabende Senatoren – hocharbeiten musste. Im Sandwich-Shop Hank‘s Hoagies zeugen der Pappkamerad eines jugendlichen Joe Biden und ein vergilbtes Wahlplakat auch von früheren, gescheiterten Kampagnen: Schon 1988 hatte sich Biden parteiintern um die Präsidentschaftskandidatur beworben. Einen zweiten Anlauf 2015 brach er nach dem Krebstod seines Sohnes Beau ab. Vor vier Jahren dann hat er es endlich geschafft – und kann nicht mehr loslassen.

    Politisch ähnlich fatal ist die Begnadigung seines wegen Steuerhinterziehung und illegalen Waffenerwerbs angeklagten Sohnes Hunter. So menschlich verständlich die Sorge des Vaters vor einem Rachefeldzug Trumps gegen den ehemals drogensüchtigen 54-Jährigen ist, so eindeutig war das „Nein“, mit dem der Präsident noch vor wenigen Monaten eine derartige Sonderbehandlung kategorisch ausgeschlossen hatte. Die pauschale Begnadigung für sämtliche denkbare Straftaten in den vergangenen zehn Jahren geht weit über alle Präzedenzfälle hinaus. Sie lässt Bidens Plädoyers für die Achtung demokratischer Prozesse und die Herrschaft des Rechts wie zynische Sonntagsreden erscheinen.

    Wenn man eine Weile über Biden berichtet hat, kann man manche Passagen seiner Reden schon mitsprechen. So zitiert der 82-Jährige gerne seinen katholischen Vater, der bei entsprechender Gelegenheit gesagt habe: „Joey, vergleiche mich nicht mit dem Allmächtigen, sondern vergleiche mich mit der Alternative!“ Die Latte liegt tief: Wer diesen Maßstab anlegt, wird sich wahrscheinlich schon sehr bald nach Biden zurücksehnen.

    Aber es hilft nichts: Vom kommenden Montag an sitzt für vier Jahre die finstere Alternative im Oval Office. In seinem Golfclub in Sterling vor den Toren Washingtons, an dem ich vor fünf Jahren achtlos vorbeifuhr, lässt Donald Trump am Wochenende ein Feuerwerk abschießen. Amerika hat seine Seele dem Teufel verkauft. Und an dieser Entwicklung ist der nette Herr Biden leider nicht unschuldig.

    Karl Doemens berichtet als Korrespondent für unsere Redaktion aus den USA.
    Karl Doemens berichtet als Korrespondent für unsere Redaktion aus den USA. Foto: Karl Doemens
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    7 Kommentare
    Rainer Kraus

    Biden, wer vermisst ihn, was hat er geleistet und für wem und warum?

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    Martin Goller

    Wirtschaftswachstum, Erlass von Studienkrediten, faireres Steuersystem, niedrige Arbeitslosigkeit, mehr Wohnraum.

    Richard Merk

    Wenn Menschenwürde und Humanität einem fremd sind kann logsicherweise auch einen Donald Trump vorziehen. Hauptsache die Dollar blitzen in den Augen.

    Klemens Hain

    Eine sehr gute Antwort Herr Merk dem ist nichts hin zu zu fügen, denn darum geht es aus heutiger Sicht nur noch.!!!!! Herr Biden hatte auch Menschliche Züge die ich noch sehr gut fand.

    Michael Bauer

    Staatsverschuldung USA während der Amtszeit Biden: Anfang 01/2021: ca.27,8 Billionen USD Ende 01/2025: ca. 36,2 Billionen USD ein Plus von ca. 8,4 Billionen USD

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    Martin Goller

    So kletterten die Außenstände zwischen 2017 und 2021 von 19,84 Billionen US-Dollar auf 28,13 Billionen US-Dollar. Dies entspricht einem Anstieg von 41,62 Prozent. Unter Biden wuchsen die Schulden von 28,13 Billionen US-Dollar auf 34 Billionen US-Dollar im Dezember 2023. Dies entspricht einem Wachstum von 20,86 Prozent.

    Michael Bauer

    wie wir wissen, sind die Zinsen während der Amtszeit von Biden in die Höhe geklettert. Wunderbarer Nebenefekt: die Zinszahlungen der USA für seine Staatsschulden sind entweder kurz davor, den Wehretat (ca 1 Billion USD (am:trillion) zu übertreffen ... oder hat das bereits getan.

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