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Brenner-Baustelle: Was das drohende Stau-Chaos für Urlauber bedeutet

Verkehr

Das Tor zum Süden wird umgebaut: Am Brenner droht Stau-Chaos

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    Route in den Süden: Die Brennerautobahn trägt jährlich Millionen Menschen nach Italien.
    Route in den Süden: Die Brennerautobahn trägt jährlich Millionen Menschen nach Italien. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Stille in der Stube. An diesem schneekalten Wintermorgen, an dem die Schornsteine draußen dem Bergnebel entgegendampfen. Und an dem es wenige Kilometer entfernt brummt und braust und brettert. Wrumm – Wrumm – Wrumm. Tremor der Transitstrecke, Getöse in grauasphaltiger Endlosschleife. Aber hier, in der Stube des Penznhofs in Stafflach, Holzstühle, brauner Fliesenboden, weiß-grün-karierte Tischdecken, hier hört man sie nicht. Die Brennerautobahn. Die Autostrada nach Süden.

    Stafflach also, knapp 300 Einwohner, keine Straßennamen, wozu auch, man verläuft sich hier nicht, wahrlich nicht. Der Ort klebt wie ein struppiges Schwalbennest an der B 182, der Bundesstraße, die zum Brenner führt, parallel zur Autobahn, die sich weiter droben über Brücken zum Pass schraubt. Christine Ebner, die Wirtin des Penznhofs, ein gelbes Bauernhaus, wenige Meter weg vom Weg, bringt Kaffee, Körnersemmeln und Käse und nimmt am hellen Holztisch Platz. Dann beginnt sie zu erzählen. Davon, wie es denn so ist, das Leben hier im Schatten der Schnellstraße. Und wie es sich wohl ändern wird. Denn, das scheint unausweichlich, das wird es.

    Brennero – das klingt nach Limonen-Gelato und Sommersandalen

    Die Brennerautobahn, die A13 in Österreich, nach der italienischen Grenze die A22, ist der Deutschen Straße der Sehnsucht. Brennero, der Pass, allein das Ortsschild, das klingt, das fühlt sich an nach Limonen-Gelato auf salzwassertrockenen Lippen, nach Rimini, Riccione, Riva, nach Sommersandalen an den Füßen, Sonnencremegeruch in der Nase, Spaghetti im Bauch und nach noch vielem mehr und für jeden auch ein bisschen anders.

    Seit den 60er Jahren gibt es die Autobahn, die Autostrada, die Millionen Menschen, Autos, Lastwagen und Träume nach Süden trägt. Doch der viele Verkehr hat Spuren hinterlassen.

    Baustelle Brennerautobahn: Seit Januar wird die marode Luegbrücke saniert

    Seit Anfang Januar wird deshalb die fast zwei Kilometer lange, in die Jahre gekommene und durch die heillose Verkehrsüberlastung verschlissene Luegbrücke saniert. Beide Richtungen sind nur noch mit Tempo 60 und zudem einspurig befahrbar, zur Hauptreisezeit soll es an 170 Tagen zweispurigen Verkehr geben, immerhin. Mehrere Jahre wird das alles dauern, am Ende soll es zwei neue Brückentragwerke geben. Dieses Nadelöhr, das da beim Alpentransit entstanden ist, bedeutet an vielen Tagen vor allem eines: Stau. Man wird gute Nerven brauchen, wenn man rüber will, nach Italien, Südtirol, Skifahren in den Faschingsferien, Meran, Mailand, Mittelmeer, Sommerurlaub, dolce vita, hoffentlich.

    Die Brenner-Autobahn in Österreich wird zu einem Nadelöhr. Seit 1. Januar an rollt der Verkehr über die 1,8 Kilometer lange Luegbrücke aus Sicherheitsgründen oft nur noch einspurig.
    Die Brenner-Autobahn in Österreich wird zu einem Nadelöhr. Seit 1. Januar an rollt der Verkehr über die 1,8 Kilometer lange Luegbrücke aus Sicherheitsgründen oft nur noch einspurig. Foto: Foto Asfinag/dpa

    Stafflach, das Örtchen im Tale, wenige Minuten von der Luegbrücke entfernt, wird sich durch die Baustelle wandeln. „Die Anrainer haben schon Angst, dass viele Urlauber statt der Autobahn die Bundesstraße nehmen und dass es dann bei uns viel Stau gibt“, sagt Penznhof-Wirtin Christine Ebner, roter, wollener Pullover, dunkle Jeans, kurze schwarze Haare. Jetzt sei noch nicht so viel los, aber im Frühling, Sommer, wenn die Menschen raus wollen, runter in den Süden, an den Gardasee, ans Meer, spätestens dann also, befürchtet sie, könnte es eng werden. „Das haben wir der EU zu verdanken, den vielen Verkehr und die Staus. Es ist doch absurd, dass Kartoffeln aus Deutschland mit dem Lastwagen zum Waschen nach Italien gekarrt werden“, sagt sie. Im Hintergrund rauscht die Kaffeemaschine.

    2022 fuhren 2,8 Millionen Lastwagen über die Brennerautobahn

    Der Schwerlastverkehr über die Alpen ist in der Tat immens. 2022 etwa nutzten fast 2,8 Millionen Lastwagen die Brennerautobahn. Einnahmen aus der Sondermaut: 128 Millionen Euro. Die Handelskammer Bozen sorgt sich nun, dass das Transportvolumen sinken könnte, schließlich hätten die Bauarbeiten an der Luegbrücke und die damit verbundenen Einschränkungen bei der Verkehrsführung gravierende Auswirkungen auf den Warenverkehr von und nach Italien. Es sei deshalb nötig, fordert also die Handelskammer, die auf österreichischer Seite bestehenden Nachtfahrverbote vorübergehend auszusetzen.

    Nachts am Brennerpass. Am Rastplatzrand schmutziger Schnee, weggeworfene Bierbüchsen, Tristesse, Fernfahrerunromantik. Neben einem Häuschen, in dem geduscht werden kann, parkt der Truck von Venelin, junger Mann, dunkle Haare, Anfang 30, Lkw-Fahrer, osteuropäisch gefärbtes Englisch. Trotz der Kälte, Minusgrade, steht er in anthrazitfarbenem T-Shirt und Jogginghose draußen in der Nacht und wischt die Stufen zum Führerhaus des dunklen Mehrachsers mit einem feuchten Lumpen, den er dann über dem schwarzen Asphalt auswringt. Venelin kennt die Strecke, ihre Tücken und Baustellen. In dieser Woche, in der er fast 3000 Kilometer fahren wird, ist er schon zum zweiten Mal da. „Man kann wegen der Bauarbeiten nur sehr langsam fahren, manchmal nur 20 Stundenkilometer“, sagt er und wischt mit dem nasstriefenden Lappen über die Treppenstufen. „Und dann dauert das natürlich“, sagt der Lastwagen-Lenker, verschränkt die Arme vor der Brust, ein bisschen kalt ist ihm dann doch. Letztens sei einem anderen Lastwagen auf der einspurigen Strecke der Sprit ausgegangen, erzählt er. „Da ging dann natürlich gar nichts mehr. Aber was will man machen? Is’ halt so.“ Fernfahrergelassenheit. Jetzt noch schnell ein Bier, ein paar Stunden Schlaf, am Morgen geht es nach Mailand weiter, dann in die Schweiz. Aufstehen will Venelin um fünf, gute Nacht und gute Fahrt.

    Am Brenner entsteht die längste unterirdische Eisenbahnverbindung der Welt

    Die Sanierung der Luegbrücke ist nicht das einzige Verkehrsgroßprojekt an der Grenze zu Italien. Wenn man die Brennerautobahn verlässt und durch kleine, an den Hängen hockende Orte fährt, taucht wenige Kilometer vor Stafflach ein Plakat auf. „Hier entsteht der Brennerbasistunnel“ ist darauf zu lesen – ein Jahrhundertprojekt, nicht unumstritten gleichwohl. Unter dem Brennerpass entsteht die längste unterirdische Eisenbahnverbindung der Welt für den Güter- und Personenverkehr. In zwei acht Meter breiten Tunnelröhren werden die Züge eines Tages mit Tempo 250 von Nord nach Süd und zurück rauschen. 64 Kilometer, 25 Minuten.

    Europas wahrscheinlich zentralstes, wichtigstes Infrastrukturprojekt stagniert allerdings – ausgerechnet wegen Bayern. Während die Arbeiten in Österreich und Italien zügig vorangingen, hapert es im Freistaat mit dem Nordzulauf, immer wieder wurden mögliche Trassen vorgestellt, nur um dann wieder verworfen zu werden. Bis heute ist die Planung nicht abgeschlossen – obwohl die Eröffnung bereits für 2032 geplant ist.

    An diesem Tag rauscht der Verkehr am Brenner so ruhig wie die Adria vor Bibione

    In der Stafflacher Stube beim Kaffee mit Christine Ebner ist der Tunnel – die Baustelle ist gerade einmal zwei Kilometer entfernt – auch Thema. „Wir haben da schon große Hoffnungen“, sagt die Gastgeberin des Penznhofs, wo viele Arbeiter und Ingenieure, die an dem Projekt mitarbeiten, Quartier beziehen. „Dass durch den Tunnel und den Eisenbahnverkehr auf den Straßen ein bisschen weniger los ist.“ Klar, die meisten Anwohner hier hätten ohnehin dreifach verglaste Fenster. Aber trotzdem müsse man dem drohenden Verkehrskollaps irgendwie zuvor kommen.

    An diesem nassgraukalten Tag ist von Kollaps indes nichts zu spüren. Der Verkehr auf der Autobahn rauscht so ruhig wie die Adria vor Bibione. Vorbei an der Raststätte Rosenberg nach Süden, auf die schneegipfligen Berge zu, von denen sich Nebelwellen wälzen, den Schildern nach Bozen, Modena, dem Italiengefühl hinterher. Zwanzig Autominuten später dann Sterzing, Vipiteno also, Wintersportort. Auf dem Parkplatz der Gondelbahn auf den Monte Cavallo, den Rosskopf, ist viel los. Eine Familie aus Stuttgart ist gerade angekommen. Stau, nein, nichts, gar nichts, sagt Brigitta, die ihren Kindern gerade die Skiausrüstung, Helm, Handschuhe, Mütze, anzieht. „Aber wir überlegen uns schon, ob wir in den Sommerferien über den Brenner fahren wollen. Da ist sicher die Hölle los.“ Vielleicht, sagt die junge Frau, dann lieber woanders hin. Italien könne ja auch mal warten.

    Der ADAC empfiehlt Reisenden 2025 eine großräumige Umfahrung des Brenners

    Dieses Warten könnte indes durchaus dauern. Denn die Bauarbeiten an der Luegbrücke sollen erst im Jahr 2030 beendet sein. Frühestens. Bis dahin empfiehlt der ADAC Reisenden eine großräumige Umfahrung über Gotthard, San Bernardino oder die Tauernautobahn – die allerdings auch alle sehr staugefährdet sind. Gleiches gilt für den Reschenpass, der wegen Bauarbeiten immer wieder gesperrt ist. Angesichts derlei Unwägbarkeiten verwundert es kaum, dass sich Südtirol mitunter um seine Touristen sorgt. Dass die Urlauber ausbleiben könnten, weil ihnen der Weg über die Berge, über den Brenner dann doch zu anstrengend ist.

    Zurück in Stafflach, im Penznhof, wo der Transitwahnsinn an diesem schneekalten Wintertag weit weg ist. „Ich bin froh, dass ich hier nicht so viel mitbekomme“, sagt Christine Ebner. „Also bis jetzt. Ich weiß ja nicht, wie sich der Verkehr entwickelt.“ Sie selbst fahre immer nur auf der Bundesstraße, nie Autobahn, nie Autostrada, erzählt sie und räumt den Tisch ab, schaltet die Kaffeemaschine aus. Hier, an den Holztischen mit den weiß-grün-karierten Tischdecken, ist die A13, Sehnsuchtsstraße, pochende Verkehrsschlagader irgendwie sehr weit weg, obwohl sie doch so nah ist. Kein Wrumm – Wrumm – Wrumm, kein Brausen und Brummen und Brettern. Kein Getöse. Stille in der Stube.

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    1 Kommentar
    Jochen Hoeflein

    Das Horrorszenario was hier beschrieben wird, gilt eigentlich nur für die Urlaubszeit und besonders belastentende Wochenenden. Ansonsten rollt der Verkehr weitgehend reibungslos wenn die Urlauber nicht in Massen einfallen. Bin selbst in den letzten Wochen wochentags die A13 mehrfach gefahren ohne Probleme. So wie am Fernpass- Maut sparen (Sparfüchse) wollen und in Innsbruck Süd in Autobahn A12 verlassen und sich Brennerstr. hochquälen ohne Rücksicht auf die Anwohner. Die Brückenbauwerke wurden 1970 gebaut und sind jetzt über 50 Jahre alt und sanierungsbedürftig. Natürlich konnte man mit Stand 1970 nicht den rasanten Anstieg des Verkehrs voraussehen und ohne permanente Salzstreuung im Winter ist der Pass kaum ohne Gefahr benutzbar.. Mit dem Stand der Bautechnik heute stehen auch andere Wider Lagerlösungen für Brücken zur Verfügung .

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