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Tabubruch im Bundestag: Wie Friedrich Merz mit der AfD für den Migrationsstopp zusammenarbeitet

Asylpolitik

„Das ist ein unverzeihlicher Fehler“

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    Friedrich Merz stimmt im Bundestag namentlich über Anträge der Unionsfraktion zur Verschärfung der Migrationspolitik und zur inneren Sicherheit ab.
    Friedrich Merz stimmt im Bundestag namentlich über Anträge der Unionsfraktion zur Verschärfung der Migrationspolitik und zur inneren Sicherheit ab. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Gegen Ende seiner wichtigsten Rede im Deutschen Bundestag hat Friedrich Merz einen Luther-Moment. Ich stehe hier und kann nicht anders. „Ich kann es mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren“, sagt der CDU-Vorsitzende. Sekunden davor hat er noch einmal das Kreuz durchgedrückt und den Rücken gerade gemacht. Merz bereitet sich in diesem Augenblick darauf vor, die Grundkoordinaten der Bundesrepublik zu verschieben. Er begründet, warum er nach der Messertat von Aschaffenburg Flüchtlinge an der Grenze ohne Ansehen ihres Falles pauschal zurückweisen und dieses Vorhaben zur Not mit den Stimmen der AfD beschließen will. „Wir sind es den Menschen in unserem Land und nicht zuletzt den Opfern der Gewalttaten der letzten Monate einfach schuldig, jetzt wirklich jeden Versuch zu unternehmen, die illegale Migration zu begrenzen“.

    Nur anderthalb Stunden bevor Merz das Tabu bricht, spricht ein Greis aus der Ukraine zu den Abgeordneten. Sein Name ist Roman Schwarzman und er hat das Menschheitsverbrechen des Holocaust überlebt. Der Bundestag gedachte der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 80 Jahren. Auch deshalb ist an diesem Tag Schwarz die dominante Farbe der Anzüge und Kleider der Abgeordneten. „Die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus muss für uns ein Leitgedanke sein und uns dazu verpflichten, eine Zukunft aufzubauen, in der Menschlichkeit und Gerechtigkeit keine leeren Worte sind“, mahnt Schwarzman.

    Tabubruch im Bundestag? Konservative und Rechtspopulisten arbeiten zusammen

    Dennoch entscheidet er sich dafür, das Tabu zu brechen. Er fragt die Abgeordneten, wie viele Menschen noch von gefährlichen Flüchtlingen ermordet werden müssen, bevor etwas getan werde. Der rot-grünen Minderheitsregierung will der Kanzlerkandidat nicht mehr die Macht über die Asylpolitik überlassen. Doch dafür braucht Merz die Stimmen der AfD. Etwas mehr als zehn Jahre nach Gründung der Partei hat sie erreicht, wovon ihr Ehrenvorsitzender Alexander Gauland geträumt hat. Konservative und Rechtspopulisten arbeiten zusammen, wenn auch indirekt.

    Deren Chefin Alice Weidel ist sich ihres neuen Einflusses bewusst. Doch die Kanzlerkandidatin bedankt sich nicht etwa demütig bei Merz, dass die Migration nun gemeinsam begrenzt werden soll, sondern sie greift ihn an. „Ihren Fünf-Punkte-Plan, den Sie heute vorlegen, haben Sie von uns kopiert“, sagt Weidel. „Abschreiben statt abschieben. Das hat bei Ihnen Methode“. Die AfD sieht sich nicht als lärmender Juniorpartner der alten Staatspartei CDU, sondern ihr Ziel ist es, die Konservativen in die Bedeutungslosigkeit zu schicken, wie es den rechten Kräften in Italien und Frankreich gelungen ist.

    Die AfD-Vorsitzende, Alice Weidel, verneigt sich nicht etwa demütig vor der CDU, sondern attackierte Friedrich Merz.
    Die AfD-Vorsitzende, Alice Weidel, verneigt sich nicht etwa demütig vor der CDU, sondern attackierte Friedrich Merz. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Sie reibt Merz unter die Nase, dass sein Versprechen eines Neuanfangs nach der Wahl Ende Februar hohl sei. Am Ende werde er doch wieder mit SPD und Grünen koalieren. „Glauben Sie im Ernst, Herr Merz, Sie könnten den Bürgern vormachen, dass mit Ihnen irgendetwas besser würde, wenn Sie sich gleichzeitig immer noch bei den Grünen und der SPD anbiedern?“ Einen echten Wechsel, schließt Weidel ihre Rede, gebe es nur mit der AfD.

    Olaf Scholz zu Merz: „Das ist ein unverzeihlicher Fehler“

    Einen Machtwechsel verhindern, dieses Ziel hat Olaf Scholz. Der Bundeskanzler kämpft um sein Amt. Olaf Scholz liegt in den Umfragen weit abgeschlagen hinter Friedrich Merz. Aber Scholz erkennt natürlich auch die Tragweite dieses Tages. „Sie haben diesen Grundkonsens unserer Republik im Affekt aufgekündigt“, ruft der Amtsinhaber dem Herausforderer zu.

    Scholz spricht eine gute halbe Stunde, nach zehn Minuten geht er zum Angriff auf Merz über. Nichts mobilisiert seine SPD stärker als der Kampf gegen Rechtsaußen. In den Lagern der Nazis saßen auch Sozialdemokraten. Scholz zeichnet das Bild von Merz, das er am liebsten hat. Es ist das Bild eines Feuerkopfes, dem in entscheidenden Momenten der Kompass für das Richtige fehlt. „Das ist ein schwerer Fehler! Das ist ein unverzeihlicher Fehler“, geht der Kanzler seinen Gegner an.

    Als die Stimmen ausgezählt sind, jubelt nur die AfD. Der Antrag zur Begrenzung der Migration hat eine Mehrheit bekommen. SPD und Union beschimpfen sich. „Sie können folgen, Herr Merz, wenn Sie noch die Kraft dazu haben“, wendet sich der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Bernd Baumann, an den CDU-Chef. Etwas Neues habe begonnen.   

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    1 Kommentar
    Maria Reichenauer

    Wer die Abstimmung gestern verfolgt und das Statement von Bernd Baumann (AfD) zum Schluss gehört hat, dem kann das kalte Grauen kommen. Merz kann sich nun intensiv mit Goethes Zauberlehrling beschäftigen, mal sehen, wie er damit zurecht kommen wird. Und wohin es Deutschland bringen wird.

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