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Warum die Linke bei den Jungen so erfolgreich ist

Bundestagswahl

Woher kommt die neue Begeisterung für die Linke?

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    Die Spitzenkandidaten der Linken, Heidi Reichinnek und Jan van Aken, feiern ihren Erfolg.
    Die Spitzenkandidaten der Linken, Heidi Reichinnek und Jan van Aken, feiern ihren Erfolg. Foto: Carsten Koall, dpa

    Die Linken haben in der „Realwirtschaft Stragula“ dann „Rambo Zambo“ gemacht. Bis vier Uhr in der Früh. Das ganze Bier war danach alle, auch das Alkoholfreie, sagt der Wirt. Und der muss es wissen. Die vielen Kippen am Straßenrand vor dem Lokal im Münchner Westend bezeugen die lange Nacht.

    Mit Friedrich Merz und seiner Vorstellung von Rambo Zambo haben die, die hier gefeiert haben, zwar wenig bis nichts im Sinn. Grund zur Party hatten sie allerdings auch seinetwegen. Am nächsten Morgen trifft man im „Stragula“ die 34-jährige Chati Yusufi. Der Merz-Move, dass es dem künftigen Kanzler egal war, ob die AfD mit seiner Union für das Zustrombegrenzungsgesetz stimmt, war für sie „auf jeden Fall“ ein Grund, der Linken ihre Stimme zu geben. Sie hat zum ersten Mal gewählt. Die anderen Parteien hätten sie nicht überzeugt. Der Wahl-O-Mat spuckte bei ihr 70 Prozent Übereinstimmung mit der Linken aus. Und dann kam das Merz-Manöver. Das habe mobilisiert, sagt die Münchnerin.

    Davon profitierte die Linke, die bei der Bundestagswahl überraschend 8,8 Prozent der Stimmen und sechs Direktmandate holte.

    Die Linke begann mit der „Mission Silberlocke“

    Was als Mission „Silberlocke“ begonnen hatte, endete mit der Rückkehr in den Bundestag in Fraktionsstärke und der höchsten Zustimmung bei den jungen Wählerinnen und Wählern. Eigentlich war der Plan, dass die so bekannt wie die populären Altvorderen Gregor Gysi, Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow drei Direktmandate gewinnen und der Linken so den Verbleib im Bundestag sichern. Der war nach der Abspaltung von Sahra Wagenknecht und mit der Gründung ihres Bündnisses ziemlich ungewiss. Aber das Spitzentrio aus Parteichef und Spitzenkandidat, Jan van Aken, seiner Co-Chefin Ines Schwerdtner und überaus TikTok-bekannten Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek organisierte einen vergleichsweise sehr erfolgreichen Wahlkampf. Mit dem Ergebnis, dass laut einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen die Linke in der Gruppe der unter 30-Jährigen „nach einem spektakulären Plus“ mit 24 Prozent sogar stärkste Kraft ist. Auch bei Frauen und Erstwählern punktete die Linke verschiedenen Erhebungen zufolge erheblich.

    Laut Politikberater Johannes Hillje war die Linke mit einer „Mischung aus Protest und Angebot“ erfolgreich. Auch er sagt: „Merz war ein wertvoller Wahlkämpfer für die Linken. In den Bundestag hätte sie es womöglich auch ohne seine Unterstützung geschafft, aber sicher nicht mit einem so starken Ergebnis.“ Außerdem meint er: „Es gibt unter jungen Menschen einen Vertrauensverlust der politischen Mitte, den die Linke genutzt hat. Reichinnek ist ein Popstar auf Social Media.“ Social Media sei aber nur ein Mittel zum Erfolg bei jungen Wählern, nicht aber der einzige Grund. „Die Linke hat soziale Themen gesetzt, die viele junge Menschen bewegen. Ihr Wahlkampf war nahezu fehlerfrei, auch der massive Haustürwahlkampf hat sich ausgezahlt.“

    Linken-Abgeordnete Nicole Gohlke: Haltung gegen Faschismus

    Das sieht auch die Münchner Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke so. Am Sonntagabend war sie noch im „Stragula“, hat ihren Wiedereinzug in den Bundestag gefeiert. Nun sitzt sie im Zug nach Berlin. Zum Erfolg haben für sie mehrere Faktoren beigetragen: Zunächst die neue Geschlossenheit nach dem Abgang von Wagenknecht und der Merz-Move, denn: „Die Wählerinnen und Wähler haben honoriert, dass wir Haltung gegen Faschismus gezeigt und die rechten Narrative und Argumentationsstränge der AfD nicht – wie alle anderen – übernommen haben.“ Außerdem wichtig für den Erfolg: „Wir haben vielmehr die sozialen Fragen nach vorn gestellt. Wir haben über gestiegene Preise, Mietwucher oder Kitas geredet und die Themen in den Mittelpunkt gestellt, die Menschen bewegen. Ein Häuserwahlkampf in prekären Vierteln.“ Die Forschungsgruppe Wahlen liefert dazu die Zahlen: Während die SPD demnach in ihrer Domäne soziale Gerechtigkeit viel Vertrauen verloren hat, legt die Linke klar zu: „Für 42 Prozent ist sie die einzige Partei, die wirklich Politik für Menschen mit geringem Einkommen macht.“

    Der Social-Media-Erfolg der Linken ist nicht alles

    Weiter in München, Richtung Univiertel. Beim Hauptgebäude der Ludwig-Maximilians-Universität liegt am Boden ein Plakat mit dem Abbild von Alice Weidel. Da drüber steht „Höckes Mädel“ und darunter: „Die Hasserfüllte“. In der Nähe sitzen Studierende und haben Mittagspause. Eine, Marlene, Jurastudentin und 25 Jahre alt, sagt: „Die Linke ist die einzige Partei, die nicht rechts ist.“ Das geht auch gegen die Grünen, deren Jugendorganisation nicht weit von hier plakatiert hat: „Zeit, dass sich was dreht. Nach links!“

    Laura, eine Kommilitonin, meint auch: „Wir haben einen extremen Rechtsruck, die Mitte ist recht geworden.“ Die 22-Jährige will frischen Wind im Bundestag. Und wählte auch: links. Marlene lobt die klare, einfache Ansprache, die Reichinnek und von Aken gepflegt hätten. Auf TikTok ist sie nicht, aber dass Reichinnek – und auch die AfD – da den Dreh viel besser raus hat als die Konkurrenz, hat sie auch schon gehört.

    Linke nun als Fraktion im Bundestag

    Politikberater Hillje analysiert deren Social-Media-Erfolg so: „Reichinnek bedient auf TikTok sprachlich, stilistisch und inhaltlich perfekt die Bedürfnisse ihrer Zielgruppe. Es gelingt ihr, linke Politik zu emotionalisieren.“ Reichinnek sei dort schon lange vertreten, ein „early adopter von TikTok“ in der deutschen Politik.“ Hillje sagt: „Es braucht Zeit, um eine Community und Reichweite auf TikTok aufzubauen, und dafür hat Reichinnek die letzte Legislaturperiode effektiv genutzt. Man muss Social Media langfristig, nicht erst kurz vor einer Wahl nutzen.“ Das tat sie: Kurze Videos, schnelle Schnitte, klare Ansagen. Reichinnek erreicht so allein auf TikTok weit über 500.000 Follower. Aber auch Silberlocke Gysi erzielt auf Social Media inzwischen hohe Reichweiten.

    All das führt zu einer neuen Rolle im Bundestag. Nicht mehr nur als Gruppe, sondern als Fraktion – und ohne das BSW, das es nicht ins Parlament schaffte. Am ersten Tag nach der Wahl kümmert sich die Linke wieder um den Alltag der Leute. Sie kündigt einen Mieten- und einen Kitagipfel an. Van Aken sagt: „Wir werden diese Regierung kontrollieren und jeden Angriff auf den Sozialstaat bekämpfen, sowohl im Parlament als auch auf der Straße“. Und sie stellt Bedingungen. Denn für eine Reform der Schuldenbremse. Linke und AfD haben im künftigen Bundestag zusammen mehr als ein Drittel der Stimmen, also denkbar zumindest eine Sperrminorität gegen Verfassungsänderungen. Nicht, dass man jemals mit der AfD stimmen würde. Aber es zeigt die neue Macht. Und Merz spürt sie.

    Forsa-Chef Manfred Güllner sagt es unserer Redaktion so: „Die Linke hat eine Lücke gefunden. Und der Merz ist schuld dran.“

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