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Was der Philosoph Peter Sloterdijk über Trump, Europa und Friedrich Merz denkt

Interview

Peter Sloterdijk: „Der irrationale Faktor wächst“

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    Der Philosoph Peter Sloterdijk hat die Lage Europas analysiert.
    Der Philosoph Peter Sloterdijk hat die Lage Europas analysiert. Foto: Rolf Vennenbernd, dpa

    Herr Sloterdijk, wenn der gemittelte Europäer pro Jahr elf Kilo reinen Alkohol konsumiert, 6,2 Kilo Brühwurst und 900 Gramm Honig pro Jahr verzehrt, wie weit sind Sie vom europäischen Mittelmaß entfernt?

    Peter Sloterdijk: Was die Konsumpflichten des guten Bürgers angeht, gehöre ich eher zu den oberen 10 Prozent. Ich bin unter finanzpolitischen Aspekten eher auf der Seite der Umsatzbeschleuniger. Beim Honigverbrauch bin ich unterdurchschnittlich, bei der Brühwurst ziehe ich andere Sorten vor, beim Alkohol allerdings liege ich vermutlich über dem Schnitt.

    Sehen Sie sich als Europäer? Oder eher als in der Provence ansässiger citoyen, oder als Berliner – oder vielleicht als global-bibliophilen Velomanen?

    Sloterdijk: Es gibt Menschen, die versuchen, sich auf eine Hauptidentität zu projizieren. In der Regel nehmen sie eine nationale oder religiöse Kategorie. In Italien gibt es auch andere Optionen: Da kann man als Hauptidentität angeben, dass man an Juventus Turin glaubt. Das Europäertum kommt bei den meisten aber doch als zweites oder drittes Etikett. Wir sind Angehörige unserer Familien, Angehörige unserer Nationen und Europa ist dann ein weiter Mantel - für viele eingefleischte Lokalisten sowieso nur ein Faschingskostüm. So ist es bei mir nicht: Die europäische Toga ist ein Teil meiner authentischen Identität geworden. Man wird Europäer auf dem zweiten Bildungsweg. Man lernt Latein und Griechisch. Dann hat man schon die halbe Strecke.

    Als wir zuletzt im September 2022 sprachen, waren Sie mit Blick auf die EU trotz des russischen Überfalls auf die Ukraine EU gelassen. Seither haben Sie ein auf Ihren Vorlesungen am Collège de France basierendes Buch geschrieben, in dem sie den Europäern bescheinigen, „Endverbraucher eines Komforts“ zu sein, von dessen Entstehungsbedingungen sie nicht den geringsten Begriff hätte. Sind sie inzwischen besorgter?

    Sloterdijk: Gelassenheit ist bei den ganz großen Themen wohl immer die richtige Grundhaltung. Was die europäische Vergesslichkeit betrifft, kann man gegen diese Unbelesenheit etwas unternehmen. Daher habe ich Europa als ein Buch betrachtet. Und so viele Lesezeichen wie möglich in diesen Schmöker eingelegt. Es ist eine Art Powerlektüre eines sehr umfangreichen Buches, so etwas wie politische Volkshochschule oder europäische Erwachsenenbildung. Es war übrigens eine großartige Erfahrung: Bei der Inauguralvorlesung in Paris war der große Saal bis auf den letzten Platz besetzt - und es wurde auch in die Nebensäle übertragen. Man hätte fast an die seligen Zeiten denken können, als Foucault dort seine Vorlesungen gegeben hat.

    Warum ist Europa in Anlehnung an Robert Musil für Sie ein „Kontinent ohne Eigenschaften“? Wobei man dazu sagen muss, Sie meinen das nicht negativ.

    Sloterdijk: Am besten erläuterte ich das mit einem Beispiel aus der Farbenlehre. Wenn man alle Farben mischt, dann bekommt man am Ende eine Unfarbe, einen zementartigen, dunklen Schmutzton. Und in diesem Sinn kann man bei Europa von Eigenschaftslosigkeit sprechen. Europa hat so viele Qualitäten, dass man sie nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen kann.

    Wenn Sie sich eine Eigenschaft von Europa wünschten, die Europa mehr oder vertieft haben sollte, welche wäre das dann?

    Sloterdijk: Dann würde ich mir wünschen, dass das Gefühl eines gemeinsamen Privilegs, hier leben zu dürfen, stärker ausgeprägt wäre. Die Europäer dürften durchaus dankbarer dafür sein. Erstens, dass sie aus ihrer eigenen schrecklichen Geschichte relativ gut herausgekommen sind. Sie dürften dankbar dafür sein, dass sie die imperialistische Pest ihrer Geschichte überstanden haben, dass sie das Zeitalter der sogenannten Totalitarismen überwunden, dass sie selber kein imperiales Projekt mehr haben, sondern nach einer neuen politischen Lebensform suchen, für die es in den Textbüchern der bisherigen Weltgeschichte eigentlich kein Muster gibt. Die Europäer dürfen deswegen mehr von ihrer eigenen Originalität halten als sie es üblicherweise tun. Nur mit Brühwurstessen allein ist es nicht getan.

    Das wäre auch nicht im Sinne der guten alten Römer. Am Anfang ihrer Überlegungen steht Latein-Europa, das Imperium. Was hat sich daraus entwickelt?

    Sloterdijk: Ich versuche zu zeigen, dass Europa, so wie wir es historisch gekannt haben wollen, ein Konglomerat aus Versuchen darstellt, das römische Imperium zu re-inszenieren. Das haben fast alle Nationen und Dynastien versucht, von Portugal bis hin zu den Russen. Europa war ein Gemenge politischer Projekte, bei denen jedes Mal das Muster des Imperium Romanum durchschien. Man muss jeden Europäer fragen: Wie viel Rom ist noch in dir? Allerdings besteht die Pointe der ganzen Überlegung darin, dass das letzte europäische imperiale Unternehmen über den Atlantik ausgewandert ist. Das ist die große geopolitische Ironie von heute.

    Wer durch Washington und zum Capitol Hill spaziert, sieht dazu viele architektonische Belege...

    Sloterdijk: Die Europäer haben wirklich guten Grund, sich Alte Welt zu nennen. Denn mit der Entdeckung der beiden Amerikas haben wir das Privileg, Abendland zu sein, bei den Bewohnern der Neuen Welt abgegeben. Wir sind von Amerika aus gesehen ein halb-orientalischer Anhang der asiatischen Landmasse.

    Einer Ihrer Befunde lautet ja, bei „tief stehender Sonne“ gesehen sei Europa nichts anderes als ein „Club gedemütigter Imperien“. Ist es deshalb immer noch so schwer für Europa, mit einer Stimme zu sprechen?

    Sloterdijk: Ja gewiß, doch vielleicht sollte man besser von geläuterten Nationen sprechen. Jede lebt mit der eigenen Beschämung über ihre historische Bilanz. Jede schleicht sich so zu sagen für sich beiseite. Man ist, was das betrifft, lieber allein als mit anderen. Man sagt seine Sünden lieber einem einzelnen Beichtvater oder lässt es sich von seinen nationalen Historikern erklären, was man verbockt hat. Aber ein gemeinsames Fehlerbewusstsein, ein gemeinsames Versagensbewusstsein hat sich nicht wirklich ausbilden können. Obwohl das eigentlich seit 1918 die Hauptdenkaufgabe gewesen wäre für alle Menschen, die in Europa leben. Wenn sie nach fast 2000 Jahren Christentum nichts Besseres zu tun haben als sich millionenfach gegenseitig umzubringen, dann muss man sagen, dass mit dieser Zivilisation irgendwas nicht ganz so gut gelaufen ist, nicht wahr?

    Die Erinnerungskulturen sind jedenfalls sehr unterschiedlich ausgeprägt – mit den entsprechenden Folgen. Siehe Kickl in Österreich, siehe Meloni in Italien.

    Sloterdijk: Einige Nationen, die aus dem ehemaligen habsburgischen Komplex hervorgegangen sind, haben spezielle Traumata. Und jeder verdrängt für sich. Sagen wir mal so: Es gibt noch keine echte europäische Gruppentherapie. Mit der Schande ist man lieber allein. Und die Schwierigkeit ein kohärentes Europagefühl zu erzeugen, hat natürlich damit zu tun, dass es jeweils ein nationales Unbewußtes gibt, ein nationales Geheimfach, einen Tresor, in dem man die lokalen Traumata abgelagert hat, bearbeitet oder unbearbeitet, je nachdem.

    Wenn Europa also der der Club der gedemütigten oder geläuterten Imperien ist, das Imperium aber inzwischen über den Atlantik gewandert ist, was sind dann die USA unter Trump in seiner zweiten Amtszeit?

    Sloterdijk: In Bezug auf Trump kann man nur biblisch reden: Denn sie wissen nicht, was sie tun. Er glaubt wirklich, Amerika „wieder groß machen“ zu müssen. In dieser Formel ist vor allem dieses again so anstößig, denn: Eine Nation, die 800 Militärstützpunkte in aller Welt unterhält, sollte nicht so tun, als hätte man ihr schon den Teppich unter den Füßen weggezogen. Die Welt ist nach wie vor sehr stark durch amerikanische Präsenzen geprägt. Sie ist zwar eine andere, seit China groß geworden ist. Daran aber kann auch Trump in seiner zweiten Amtszeit nichts ändern. Protektionismus und Isolationismus sind für eine Nation dieser Größenordnung schlechterdings keine sinnvollen Optionen.

    Was haben Sie gedacht, als Trump während der Inauguration seine Wiederkehr ins Amt als göttliche Fügung inszeniert hat?

    Sloterdijk: Auch er hat jetzt eine Sache mit Gott. Seit er angeschossen wurde, meint er, die Flugbahnen von Kugeln werden im Jenseits programmiert. Wenn zur Infantilität auch noch der Aberglaube hinzukommt, macht das die Sache nicht weniger bedrohlich. Was man aus einer europäischen Perspektive sagen kann: Weltweit wird große Politik fast überall aus dem Geist des Ressentiments betrieben – außer in Europa, wo eher eine Kultur der Furchtsamkeit vorherrscht. Trump ist ein Politiker, der diesmal als Rächer antritt. China ist ohnehin ein Großreich des Ressentiments, wenn auch ein Land mit Hoffnungen. Die ganze islamische Welt ist eine Welt der Kränkungen, und Russland ist diesbezüglich eine der Führungsmächte. Die großen neoimperialen Strukturen unserer Tage sind weitgehend ressentiment-getrieben. Gewiß,  es gibt in jedem Land Gegenkräfte, aber das Gesamtfeld der Weltpolitik ist in sehr gefährlichem Ausmaß von Ressentiments bestimmt. Das heißt: Der irrationale Faktor wächst – trotz aller Versuche, die explosiven Tendenzen sicherheitspolitisch einzuhegen.

    Wenn Trump und sein Billionaire-Boys-Club mit den USA fertig sind, was wird davon übrig sein?

    Sloterdijk: Das ganze politische System der USA ist sehr beschädigt, allein das Wahlsystem ein unfassbarer Anachronismus. Man sieht, dass die Verschiebung des politischen Momentums von der Staatenebene auf die Bundesebene dem amerikanischen Traum einfach nicht gutgetan hat. Es ist der imperialistische Faktor, der ja auch in der urbanistischen Programmatik von Washington mehr als deutlich zu sehen ist, der gegenüber dem eigentlichen amerikanischen Impuls destruktiv wirkt: Nämlich das Leben aus dem aus eigenen Bürgersinn heraus und aus der zivilgesellschaftlichen Energie zu führen. Die eigentliche amerikanische Stärke hat in diesen Graswurzelbewegungen gelegen, in denen Lokaldemokratien, die bis auf die Staatenebene hinauf funktionierten. Amerika erliegt nun seiner eigenen entropischen Dynamik, es stolpert über seine eigene Größe und laboriert an der falschen Idee, sich noch größer machen zu wollen. Wenn es aber etwas gibt, was man aus der Geschichte lernen kann, dann doch dies, dass das richtige Maß von Größe letzten Endes darüber entscheidet, ob ein Land Bestand hat oder nicht. Imperien gehen regelmäßig durch Überdehnung zugrunde. Wenn sich jetzt – rund 250 Jahre nach der Gründung der USA – solche Zerfallserscheinungen auflisten lassen, wie sie sich jetzt zeigen, ist das mit Sicherheit auch ein Formatproblem, also eine Folge von Überdehnungen.

    Das Imperium, ursprünglich ja eine sehr begrenzte Befehlsgewalt, wird ad absurdum geführt, je weiter das Imperium ausgedehnt wird. An dieser Stelle sind die USA jetzt?

    Sloterdijk: Das Dasein im imperialen Raum hat natürlich auch enorme psychologische Implikationen. Überall, wo imperiale Strukturen auftauchen, kommt der Überdehnungsfaktor mit ins Spiel. Und der gilt nicht nur für die politischen Strukturen, sondern auch für die Personen. Mit der Überdehnung kommen die cäsaristischen Verrücktheiten zum Zuge. Es gelangt nicht nur das Ressentiment an die Macht, sondern auch der Größenwahn. Was es nicht besser macht: Um Trump herum ist eine massenmedialer Kaiserkult entstanden. Auch in Russland gibt es nur noch einen Eigennamen.

    Die beiden faszinieren sich nicht umsonst gegenseitig.

    Sloterdijk: Früher hätte man das große Politik oder the Great Game genannt. Heute sollte man eher von inter-paranoiden Beziehungen sprechen. Die Gemengelage ist außerordentlich beunruhigend. Und innere Emigration funktioniert nicht mehr, weil die Infiltration des Realen uns in jedem Rückzugsraum einholt. Wir haben über Weihnachten ein paar Wochen lang versucht, der Dauerbenachrichtigung zu entfliehen. Geht nicht: Außer im Koma kann man der Realität nicht mehr entfliehen.

    Nimmt die EU Putin ernst genug und tut Europa genug für die Ukraine?

    Sloterdijk: Genug wofür – das müsste man fragen. Putin hat von der sogenannten militärischen Spezialoperation auf Abnutzungskrieg umgestellt. Das ist eine bedauerliche Tatsache. Es wäre vielleicht gut, die militärischen Schriften von Mao Zedong wieder zu lesen. Der erschreckendste Aufsatz ist der über den „langen Krieg“. Es ist ja nicht nur einfache Zermürbung, die dabei praktiziert wird, sondern fast ein krebsartiges Konzept. Das heißt, man pflanzt Krebszellen in den gegnerischen Körper ein und lässt sie arbeiten – nicht im Modus einer Entscheidungsschlacht, sondern im Sinne einer auf Jahre und Jahrzehnte angelegten Korruptionsstrategie. Diese Art von Kriegsführung beobachten wir zunehmend, vor allem, wenn man sieht, wie der Krieg gegen die Zivilbevölkerung ständig ausgeweitet wird. Mit anderen Worten: Der Krieg wird vom Terror nicht mehr unterscheidbar. Das ist es, was die besondere Hässlichkeit der Situation ausmacht.

    Also tut die EU, tut vor allem Deutschland genug? Scholz hält sich viel auf Deutschlands Engagement zugute.

    Sloterdijk: Deutschland ist Mitgefangener der Gesamtsituation. Wir sind nicht Spielführer, sondern nach wie vor in einer Art Sanitäter-Rolle. Das heißt, man leistet immer noch so etwas wie Erste Hilfe, aber ein sehr viel weiter reichendes Konzept ist noch nicht sichtbar. Ob die Achse Trump-Putin funktionieren wird – es liegt ja ein Deal in der Luft – kann man nicht sagen. Die Neufassung der Hamlet-Frage lautet dieser Tage: Deal oder kein Deal. Die Trumpsche Unbedarftheit kann hier zum weltpolitischen Faktor werden: Die ostukrainischen Territorien wären dann weg, man zieht einfach eine neue Grenze und die Ukrainer müssten irgendwie abgefunden werden. Letztlich muss man mit dem Schlimmsten rechnen, als wäre es unvermeidlich. In einer Welt, in der Herr von Dohnanyi mit Frau Wagenknecht sympathisiert, ist alles möglich. Die meinen im Ernst, man solle den Russen den Donbass schenken, dann kommt der Friede ganz von allein.

    Apropos alles möglich: Hat Friedrich Merz mit seinem Manöver die Brandmauer zur AfD eingerissen?

    Sloterdijk: Ich sehe da schon eine infektiöse Wirkung des Trump-Musk-Syndroms. Große Männer wollen Geschichte machen. Und Geschichte machen bedeutet in diesem Fall: Durch die Wand gehen – oder durch die Brandmauer. Da ist ein interkontinentaler Infektionseffekt zu bemerken. Es soll wieder richtige Politik gemacht werden und man glaubt, das Mandat der Volksstimmung dafür zu besitzen. Das liegt ja auch dem Teufelspakt von Trump mit seinen Wählern zugrunde. Ich mache mir Sorgen darüber, dass die Wählbarkeit der Union Schaden nimmt, wenn solche Manöver überhandnehmen. Wenn ich Merz‘ Rechnung mitrechne, wird es - nach allem, was wir sehen - für eine Zweierkoalition nicht reichen. Weder für schwarz-grün noch für schwarz-rot. Er muss also politisch bis drei zählen können.

    Eigentlich bis vier, wenn man die CSU dazu nimmt...

    Sloterdijk: Richtig, denn die hat noch ihren eigenen Unterteufel. Aber nehmen wir die Union als Block: Dann sehen wir die Notwendigkeit, eine Dreier-Koalition zu realisieren. Der Dritte im Bunde können nur die Freien Demokraten sein. Die haben durch den kapitalen Fehler, den Koalitionsbruch viel zu lange verschleppt zu haben, viele Sympathien eingebüßt. Also müsste Herr Merz, wenn er richtig rechnet, alles tun, um den Freien Demokraten ein paar Wähler zuzuschieben. Das könnte der tiefere Sinn seines Handelns sein, wenn wir mal die hohe Kunst der Überinterpretation auf ihn anwenden. Auch wenn er es als Wahlkämpfer in eigener Sache abstreitet, sein Grand Design müsste sein, selbst die Wahl zu gewinnen und zugleich die Freien Demokraten wieder mehr wählbar zu machen.

    Wenn Sie meinen.

    Sloterdijk: Die Deutschen müssen im Augenblick wieder ihre karierten Hefte herausholen und rechnen lernen. Die nächste Regierung wird sich aller Voraussicht nach aus einer Dreierkoalition bilden müssen. Will man die Demokratiefeinde nicht, bleiben nur die Freien Demokraten. Lindner wäre der Held des Jahrzehnts geworden, hätte er im Sommer die Koalition gesprengt.

    Entschuldigung, aber der Zeitpunkt und die Umstände, unter denen die Ampel tatsächlich gesprengt wurde, sind alles, aber nicht heldenhaft. In der Zeit, wo Trump Dekrete am Stück, rausfeuert, steht Deutschland über Monate ohne Regierung und ohne Haushalt da.

    Sloterdijk: Da war Naivität im Spiel – auch ein gewisser Dilettantismus. Lindner...

    ... mit dem Sie privat gut bekannt sind ...

    Sloterdijk: ... war allzu gerne Finanzminister. Er hat eine falsche Loyalität gegenüber Scholz aufgebaut, weil er nach Jahrzehnten in der Opposition die Chance sah, auf die Regierungsbank zu kommen. Er machte es zu gerne. Das hat ihn zu diesem fürchterlichen Fehler verlockt, zu spät aus der Ampel auszuscheiden.

    Ist nicht der viel größere Fehler gewesen, stur an der Austeritätspolitik und der Schuldenbremse festzuhalten?

    Sloterdijk: Das wäre nochmals ein anderes, ein wirtschaftsphilosophisches Gespräch - eine andere Auflage der unendlichen Geschichte. Das können wir hier nur auf die Schnelle sprachlich glossieren: Meine Großmutter hat das Wort sparen noch so interpretiert, dass man etwas vom Vorhandenen auf die Seite legt. Wenn man aber noch so denkt, ist man Teil der alten Welt. Will man ein Teil der neuen Welt sein, dann muss man das Wort Sparen völlig anders verwenden – es meint jetzt,  dass man beim Wettlauf in die Neuverschuldung ein geringfügig geringeres Tempo anschlägt. Wir müssten das Wesen der Schulden von Grund auf neu diskutierten. Beim nächsten Mal.

    Info: Der Philosoph Peter Sloterdijk, geboren 1947, ist einer der bekanntesten zeitgenössischen Publizisten. Er ist emeritierter Professor für Philosophie und Ästhetik der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, die er bis 2015 als Rektor leitete. Zuletzt erschien von ihm „Der Kontinent ohne Eigenschaften - Lesezeichen im Buch Europa“ (Suhrkamp). 1994 erschien in diesem Kontext von ihm: „Falls Europa erwacht – Gedanken zum Programm einer Weltmacht am Ende des Zeitalters ihrer politischen Absence“.

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