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Weniger Bürokratie auf EU-Ebene: Lieferkettengesetz und mehr auf dem Prüfstand

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Weniger Bürokratie auf EU-Ebene: Lieferkettengesetz und mehr auf dem Prüfstand

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    Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, hatte sich für das Lieferkettengesetz stark gemacht.
    Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, hatte sich für das Lieferkettengesetz stark gemacht. Foto: Aurelien Morissard, AP/dpa

    Olaf Scholz könnte es nicht nur als Bundeskanzler a.D. in die Geschichtsbücher schaffen. Möglicherweise wird von ihm auch der Ruf eines Hellsehers bleiben. Keine vier Monate ist es her, dass er mit Blick auf das europäische Lieferkettengesetz prophezeite: „Das kommt weg.“ Da war die umstrittene Richtlinie zwar schon auf EU-Ebene beschlossen, Scholz schien jedoch die Kehrtwende zu ahnen, die die EU-Kommission an diesem Mittwoch offiziell vollzieht.

    Das Gesetz, das dafür sorgen soll, dass Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren, soll auf Wunsch der Behörde weiter abgeschwächt werden. Demnach würden Unternehmen nicht mehr dazu verpflichtet sein, ihre Lieferanten über die gesamte Lieferkette hinweg zu überprüfen. Beobachter mutmaßen, am Ende könnte gar das ganze Gesetz kassiert werden.

    Genervte Unternehmer sollen entlastet werden

    Die Kommission verspricht außerdem, die Berichtspflichten für Unternehmen deutlich einzudämmen, Stichwort Bürokratieabbau. Alles solle jetzt „schneller und schlanker“ werden. Mithilfe von sogenannten Omnibus-Verordnungen sollen mehrere Richtlinien des Grünen Deals themenbezogen überarbeitet werden – oder, um im Bild zu bleiben, unter die Räder kommen. Tiefe Einschnitte könnte es etwa bei der Bürokratie rund um die Nachhaltigkeitsrichtlinien geben. Das könnte zehntausende genervte und verärgerte Unternehmer versöhnen. 

    Demnach könnten kleine und mittelgroße Firmen von der Einhaltung dieser Richtlinien befreit werden. Betroffen wären nur noch Unternehmen ab einem Jahresumsatz von mehr als 450 Millionen Euro und ab 1000 Mitarbeitern – und nicht wie aktuell geplant 250 Beschäftigten. Sie müssten weiterhin Bericht darüber erstatten, inwieweit sie etwa das Wasser in Drittstaaten verschmutzen oder ob sie die Rechte indigener Völker achten.

    Zudem plant Brüssel Freigrenzen für Importe, die 100.000 Tonnen CO₂-Äquivalent entsprechen. Das heißt, so betonte der FDP-Europaabgeordnete Andreas Glück, „dass 90 Prozent unserer Unternehmen von dieser Bürokratie befreit würden, aber trotzdem 99 Prozent der Emissionen abgedeckt sind“.

    Es droht ein Kulturkampf

    Als Gründe für den Umschwung führt die Behörde die Energiekrise, den hohen Inflationsdruck, die zunehmenden Handelsspannungen und „die wachsende Besorgnis von Unternehmen über die ihnen auferlegten regulatorischen Belastungen durch die Nachhaltigkeitsberichterstattung“ an, wie es in dem Entwurf heißt, der in Teilen unserer Redaktion vorliegt. 

    Ursula von der Leyen demontiert damit einen Teil ihres eigenen Prestigeprojekts. Vor fünf Jahren hatte die Deutsche den Grünen Deal präsentiert und als Europas „Mann-auf-dem-Mond-Moment“ gepriesen. Der Kontinent soll bis 2050 Klimaneutralität erreichen, bis 2030 wollte man ein Minus von 55 Prozent Emissionen im Vergleich zu 1990 vorweisen können. Auf die Zielsetzung folgten so viele anspruchsvolle Gesetze, dass Europas Unternehmer, Hausbesitzer und Bauern kaum noch den Überblick behalten konnten – und vor allem nicht mehr wollten.

    Von der Leyens Vorhaben zum klimafreundlichen Umbau der europäischen Wirtschaft lösten einen regelrechten Kulturkampf aus. Und der dürfte in den nächsten Wochen so hitzig wie nie geführt werden. „Bei dem Versuch der Vereinfachung von Berichtspflichten verliert die Kommission das Maß der Dinge“, kritisierte schon jetzt der SPD-Europaabgeordnete René Repasi.  

    Gestz noch nicht in Kraft, schon wird es abgeräumt

    Während Sozialdemokraten, Grüne sowie Umweltorganisationen und viele Großkonzerne, insbesondere aus der Konsumgüterbranche, vor einer Abwicklung des Grünen Deals warnen, drängen Christdemokraten, Mittelstandsvertreter und Wirtschaftsverbände auf ein Ende von Verbrenner-Aus, Lieferkettengesetz oder Entwaldungsordnung, da sie die unternehmerische Freiheit eingeschränkt sehen. Bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung sei „einiges aus den Fugen geraten“, sagt der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. „Die Kommission tut gut daran, hier nun aufzuräumen.“

    Die grüne Europaabgeordnete Anna Cavazzini nennt den Schritt der Kommission dagegen „übers Knie gebrochen“ und „von parteipolitischen Diskussionen getrieben“. Immerhin sei das Lieferkettengesetz noch nicht einmal in Kraft.

    Angesichts des Brüsseler Zickzack-Kurses dürfte sich Europas Bürgern aber vor allem eine Frage aufdrängen: Was läuft in der EU schief, wenn Gesetze, die gerade erst mehrheitlich vom Parlament und dem Gremium der 27 Mitgliedstaaten verabschiedet wurden, nun schon wieder korrigiert oder gleich ganz über Bord geworfen werden sollen? 

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    2 Kommentare
    Franz Xanter

    Bleibt festzustellen: 1. Bisher wird hierüber nur geredet; wie in der Vergangenheit, in den letzten Jahren auch. 2. Warum kam es überhaupt zu diesem bürokratischen Monstrum? Konnte man die selbst geschafften Hürden und Unwägbarkeiten nicht vorher erkennen?

    Anton Bäurle

    Die Brüsseler Beamten brauchen alle ihre Daseinsberechtigung und somit glaube ich nicht das die Bürokratie eingedämmt werden kann! Das ist ein sogenanntes Fass ohne Boden.

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