Baschar al-Assad hat Syrien eine Bilanz hinterlassen, die finsterer nicht sein könnte: Der Diktator, der Anfang Dezember nach Moskau geflohen ist, steht für mehr als 13 Jahre Krieg, je nach Quelle bis zu 700.000 Tote, Millionen Flüchtlinge, massenhafte Folter, ein weitgehend zerstörtes Land. Ahmed al-Schaara heißt der Mann, der sich fest entschlossen gibt, das zerrüttete Land mit seinen verschiedenen Ethnien, Religionen und schwer bewaffneten Milizen zurück in die Zivilisation zu führen. Der Anführer der siegreichen islamistischen HTS-Rebellen und Übergangspräsident gibt sich pragmatisch, knüpft Kontakte zum Westen, aber auch nach Moskau und Ankara. Sein Ziel: Hilfe beim Wiederaufbau und die Rücknahme von Sanktionen.
Immerhin hat er erreicht, dass dieses Thema nun auf der politischen Weltbühne spielt. Bei einem Syrien-Gipfel in Paris trafen sich führende Politiker aus Frankreich, der Türkei, den arabischen Staaten und Vertreter von UN und EU, um über die viele Milliarden schwere Finanzierung des Wiederaufbaus zu sprechen. Der französische Präsident Emmanuel Macron forderte ein Ende der Kämpfe in ganz Syrien als Grundlage für ein Hilfskonzept.
Mit am Tisch saßen in Paris die Zweifel, ob man dem früheren IS-Kämpfer al-Scharaa trauen kann. Diese Frage stellt sich auch der Generalsekretär der Welthungerhilfe, Mathias Mogge: „Die neue Regierung gibt sich nach außen hin moderat und offen und möchte alle Glaubensrichtungen einbinden. Ob dieses Versprechen eingehalten werden kann, gerade unter den schwierigen Bedingungen, bleibt abzuwarten“, sagte er unserer Redaktion per Telefon aus Damaskus.
Viele Syrerinnen und Syrer sind glücklich, endlich wieder frei sprechen zu können
Mogge war tagelang in Syrien unterwegs – in der Hauptstadt, in Aleppo, auf dem Land. Er führte Gespräche mit Ministern, Hilfsorganisationen, kleinen Händlern, mit Menschen auf der Straße. „Es gibt eine große Euphorie im Land. Eine ganz, ganz große Hoffnung, dass jetzt tatsächlich der Frieden einkehrt.“ Immer hörte er Satz: „Endlich können wir wieder frei aussprechen, was wir denken.“

Das ist das eine, das andere ist der Alltag in Trümmern. Er sei von dem Grad der Zerstörung überrascht gewesen, sagte Mogge. In den Städten fahre man über Kilometer an Stadtteilen vorbei, die in Schutt und Asche liegen. Auch in vielen Kleinstädten und Dörfern sehe es kaum besser aus.
Fast jede Familie ist betroffen von Krieg und Gewaltherrschaft
Fast jede Familie ist betroffen von den Folgen von Krieg und Gewaltherrschaft. „Mich hat sehr berührt, dass immer wieder davon gesprochen wurde, dass viele, viele Menschen nach wie vor vermisst werden. Sie wurden von der Straße weggeholt und sind verschwunden.“ Ein drängendes Problem seien Tausende von Männern und auch Frauen, die aus den Gefängnissen befreit wurden. „Diese Leute sind jetzt über das Land verstreut und stark traumatisiert“, berichtet Generalsekretär Mogge.
Angetan war Mogge von einem Treffen mit Agrarminister Mohammad Taha al-Ahmad. Reformen sind überlebenswichtig, der Agrarsektor ist am Boden - viele Bauern sind geflohen, Landminen lauern in den Feldern. „Der Minister war sehr gut vorbereitet. Er ist Agraringenieur, der seine Pläne für eine neue Landwirtschaftsstrategie präsentiert hat. Dazu wird es Workshops mit wichtigen Akteuren aus Syrien, aber auch internationalen Experten geben.“ Die Märkte seien zwar gut bestückt, aber die Preise für Lebensmittel viel zu hoch. Die Welthungerhilfe unterstützt im Nordwesten des Landes eine zentrale Verteilstelle für subventioniertes Brot. Geplant ist weit mehr. Mogge: „Wir werden jetzt ein kleines Büro hier in Damaskus eröffnen und mit bewährten syrischen Partnerorganisationen zusammenarbeiten.“ Von dort sollen neben den humanitären Projekten auch Vorhaben unterstützt werden, die die soziale Infrastruktur stärken – es geht beispielsweise um Schulen, Gesundheitszentren oder die Wasserversorgung.
Viele Syrer in Deutschland wollen beim Aufbau ihrer Heimat helfen, zögern aber noch
Syrien war einst ein Staat mit funktionierendem Bildungs- und Gesundheitssystem sowie einer beachtlichen Wirtschaftskraft. Das könnte eine Basis für die Zukunft sein. „Die Syrer und Syrerinnen sind Patrioten, sie lieben ihr Land, sind stolz auf ihre jahrtausendealte Hochkultur. Von den vielen Millionen, die vor dem Krieg ins Ausland geflohen sind, wollen sehr viele in ihre Heimat zurückkehren, um beim Aufbau zu helfen. Man sollte jedoch auch in Deutschland dafür Verständnis haben, dass viele noch zögern. Sie sind unsicher, wie sich die Lage in Syrien entwickelt“, sagt Mogge.
Eine Unsicherheit, die sich aus der Tatsache speist, dass Syrien nach wie vor ein gespaltenes Land ist. Im Nordosten gibt es weiterhin heftige Gefechte zwischen Milizen, die von der Türkei unterstützt werden, und kurdischen Kräften. Umstritten ist, ob die dezimierten IS-Kämpfer noch einen Machtfaktor darstellen. Völlig unklar ist zudem, ob es al-Scharaa gelingt, die verschiedenen islamistischen Milizen einzubinden.
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