Das Reisen hat sich in den letzten Jahren verändert, Städte verlangen Eintrittsgebühren, geben Obergrenzen für Besucher aus, Sehenswürdigkeiten müssen online vorgebucht werden, um sie besichtigen zu können. Wie schauen Sie auf das Phänomen Overtourism. Amüsiert oder angewidert?
ALTMANN: Wie sollte man amüsiert sein, wenn alles Schöne niedergetrampelt wird? Wenn die Einheimischen auf die Straße gehen und ihrer Wut über die Massen Luft machen? Wie die Nerven behalten, wenn man liest, dass China in den nächsten 10 Jahren 200 neue Flughäfen bauen will. Und Indien dem nicht nachstehen will? Und Airbus neue Rekordzahlen liefert. Wie nicht in Depressionen verfallen, wenn man Landschaften wieder sieht, die man einst als Eldorado abgespeichert hat und die man nun als Betonwüsten mit 1000 gräulichen Betonwarzen, damit meine ich natürlich Hotels, wiederfindet. Wie nicht in Tränen ausbrechen, wenn man mitansehen muss, mit welchem Furor, mit welcher Gier nach Profit wir unsere wunderschöne Welt totschlagen? Es brennt an allen Ecken, es überschwemmt an allen Ecken, es taifunt an allen Ecken. Narren brüllen: mehr Wachstum!
Was beobachten Sie? Erweitert das Reisen in seiner heutigen Form noch den Horizont?
ALTMANN: Für alle die, die was wollen, natürlich! Trotz alledem. Viele wollen das nicht. Sie legen sich mit ihrer Plauze in die Sonne und begreifen das Land, in das sie sich fliegen lassen, als Solarium. Zur Präzisierung: Man muss nicht unbedingt reisen, um an der Welt teilzunehmen, um zu lernen, um sein Hirn auf Trab zu halten. Wie ja umgekehrt das Reisen nicht zwingend zu Toleranz, Coolness und Freundlichkeit beiträgt.
Ihre Co2-Bilanz muss schrecklich sein. Schlechtes Gewissen?
ALTMANN: Ach die, die immer mit der Büßerkutte unterwegs sind. Ich nicht. Hätten sie wirklich ein schlechtes Gewissen, sie würden ihr Verhalten ändern. Flugscham? Nur Lippenbekenntnisse, eher scheinheilig. Ich fliege heute kaum mehr. Meine liebsten Transportmittel sind meine Beine, das Fahrrad, die Bahn. Was gewiss die Welt nicht retten wird. Klar, auch ich habe in meinem Leben nicht immer zur Gesundung der Welt beigetragen.
Wenn man in Ihr neues Buch „Sehnsucht Leben“ hineinliest, spürt man, dass Reisen für Sie auch oftmals eine Flucht war, was suchen Sie in der Ferne?
ALTMANN: Fliehen wollte ich nur aus dem Kral, in dem ich geboren bin. Aus allen anderen Städten, in denen ich gelebt habe, ob nun Salzburg, Wien, Pune, Kyoto, New York und Mexico City, wollte ich nicht fliehen. Ich bin davon, weil was Neues fällig war. Nicht Flucht treibt mich an, aber die Neugier auf andere. Was interessiert den Menschen mehr als der Mensch? Sorry, es gibt noch ein zweites Motiv: Knete, Geld muss her, überall auf der Welt muss Miete gezahlt werden. Und superehrlich: Ich will gelesen werden, weil ich einigermaßen passabel deutsche Sätze formulieren kann und nicht, weil ich etwas von der Welt gesehen habe.
Wenn Sie Städte besuchen, gehen Sie auch in Viertel, wo die vom Leben benachteiligten wohnen. Was zieht Sie dort hin?
ALTMANN: Ich gehöre nicht zu denen, die immer auf der Seite der mühselig Beladenen stehen. Jede Art Sozialkitsch nervt. Ich bin unterwegs, um Geschichten zu finden. Und die finde ich schneller in den schwierigen Stadtteilen. Schneller als in den – vor allem in der „Dritten Welt“ – ghettoisierten Villenvierteln. Weil schneller Nähe entsteht, weil ich keine Termine machen muss, weil ich einfach hineingehe und nicht lange warten muss, bis ein Kontakt entsteht.
Gibt es ein Land, das Ihr Herz erobert hat? Und warum?
ALTMANN: Viele Länder eroberten mein Herz. Unsere Erde ist das Grandioseste in der großen weiten Welt. Und da ich leicht entflammbar bin, bin ich schnell verliebt. In das Land. Wo immer ich bin. Ich will als Weltmann sterben und nicht als verknitterter Alter, dem nichts als das Ranzige auffällt. Und doch, ich habe meine Rückfälle, da knicke ich ein, da wird dann für Stunden die Seele schwarz, sie heult dann.
Und wo können Sie es gar nicht aushalten?
ALTMANN: Atemnot sucht mich immer dann heim, wenn mich Dummköpfe umzingeln. Wenn Geistlosigkeit umgeht und der Pöbel die Herrschaft übernimmt. Ähnlich grausig die Hartleibigen, die ohne Empathie und Mitgefühl durchs Leben kommen. Das wäre die Rasse der Wichtigtuer und Aufgeblasenen. Wie sagte es Halldor Laxness, der isländische Literatur-Nobelpreisträger: „Ich leide unter Menschen, die nicht leiden.“ Ein paar Herzkammern sollten für andere reserviert sein. Ich mag gern Damen und Herren zuschauen, die sich vorgenommen haben, nicht kaltschnäuzig und gleichgültig ihre Tage hinter sich zu bringen.
Etwas konkreter, würden Sie noch in die USA reisen?
ALTMANN: Aber natürlich, ich lasse mir doch von Trump nicht die herrlichen USA vermiesen. So wenig wie mir Putin die Liebe zu Russland austreibt. Und so sollen Fremde Deutschland besuchen und bestaunen, auch wenn die AfD gerade ihr Unwesen hier treibt.
Wieder eingeklemmte Beine im Flugzeug, wieder hineingeworfen in ein fremdes Land. Hat man das Reisen nicht auch manchmal satt? Wie bewahren Sie sich Ihre Neugierde?
ALTMANN: Durchaus habe ich das Reisen manchmal satt. Doch Neugier hat nichts mit Mobilität zu tun. Ich habe Rollstuhlfahrer getroffen, in deren Kopf hat es jeden Tag geblitzt. Gedankenblitze, Teilnahme am Leben, der nie stillbare Wunsch, wissen zu wollen. Für die anderen, durch deren Hirn nie ein Blitz fährt, passt der folgende Spruch: Wissen ist Macht, aber nichts wissen macht nichts. Schon wahr, Neugier ist auch ein Gen. Das irgendwie schon im Mutterleib seinen Anfang nimmt. Wenn dann noch das Kind Glück hat und zwischen einer neugierigen Mutter und einem neugierigen Vater aufwächst, dann blüht das Gen. Bis zum letzten Schnaufer.
Wenn man älter wird, wie verändert sich das Reisen? Muss man sich vor der eigenen Lebenserfahrung schützen?
ALTMANN: Das ist eine sehr interessante Frage. Richtig, mit den Jahren steigt die Gefahr der Ausweglosigkeit. Angesichts des Wahnsinns des Menschen, der mörderischen Brutalität, mit der Leben vernichtet wird. Als Reporter hat man das zweifelhafte Glück, Zustände zu sehen, die es nie in die Medien schaffen. Heute jung sein muss ein anstrengendes Geschäft sein, Umfragen bestätigen das. Die Halbwüchsigen sollten sich warm anziehen. Uff, das ist ein schwachsinniger Vorschlag, wenn man bedenkt, wie wir die Erde aufheizen. In Frankreich arbeiten Wissenschaftler bereits an Kleidung, mit der man 50 Grad aushalten kann.
Sie stammen aus Altötting und haben nach vielen Stationen Paris als Ihre Stadt gefunden, in der sie Leben wollen. Was betört Sie?
ALTMANN: Eigentlich verbiete ich jedem, den Namen meines Geburtsfehlers in meiner Gegenwart auszusprechen. Der Name hört sich wie der Sprung in eine Jauchegrube an. In meinem Buch „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meinen eigene Scheißjugend“ habe ich die kriminellen Taten dieses „Gnadenorts“ beschrieben. Von Kindsmisshandlung über Alt-Nazi-Sadismus bis hin zum Kindsmissbrauch – alles da. Veröffentlicht mit Klarnamen der zuständigen Halunken. Und keine einzige einstweilige Verfügung kam, denn die Halunken wussten, dass in dem Buch die Wirklichkeit steht. Kein Wunder, dass es ein Bestseller wurde. Ich weiß also, wovon ich rede. Ist es dann nicht logisch, dass jemand wie ich, noch minderjährig, davonrennt? Bis er da ankommt, wo es nach Welt und Internationalität und Eleganz riecht? Nun, ob mich Paris jeden Tag „betört“, ich vermute nein. Aber ich liebe den täglichen Blick auf Schönheit, auf Harmonie, auf eine weltmeisterliche Architektur. Ich bin weder Paris-Spezialist noch Frankreich-Spezialist noch französische-Sprache-Spezialist, bin nur ein schönheitshungriges Tier. Wie sagte es Dostojewski: Schönheit wird die Welt retten. Gewiss nicht, aber mich.
Zur Person Andreas Altmann
Andreas Altmann jobbte als Spüler, Privatchauffeur und Parkwächter bevor er Schauspieler wurde und schließlich seine Berufung im Reisen und Schreiben fand. Altmanns hat seine Reise-Reportagen in Magazinen und Büchern veröffentlicht. Gerade ist sein jüngstes „Sehnsucht Leben“ erschienen. Piper Verlag, 300 Seiten, 22 Euro. Altmann wurde in Altötting geboren. Er lebt in Paris.
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