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Interview: Spielsucht: Die Gefahr lauert nicht nur am Automaten

Interview

Spielsucht: Die Gefahr lauert nicht nur am Automaten

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    Automatenspieler sind die größte Gruppe von Spielsüchtigen. Doch das Angebot an virtuellen Glücksspielen steigt rasant an und bietet ein hohes Suchtpotenzial.
    Automatenspieler sind die größte Gruppe von Spielsüchtigen. Doch das Angebot an virtuellen Glücksspielen steigt rasant an und bietet ein hohes Suchtpotenzial. Foto: Ole Spata, dpa (Symbolbild)

    34000 Personen gelten in Bayern als spielsüchtig, bei weiteren 33000 liegt ein problematisches Spielverhalten vor. Wir haben mit Ursula Köhler-Baiter, der Leiterin der Suchtfachambulanz des Caritaszentrums in Schwabmünchen, und Edith Girstenbrei-Wittling, der Leiterin der Suchtfachambulanz Augsburg mit der angegliederten Fachstelle für Glücksspielsucht, gesprochen.

    Mit Freunden einmal im Monat in eine Spielhalle gehen und dort an den Automaten zocken – gilt so jemand schon als spielsüchtig?

    Edith Girstenbrei-Wittling: Gelegentliches Spielen kann ganz unproblematisch sein. Allerdings ist wie bei allen Abhängigkeitsformen auch bei der Spielsucht der Beginn schleichend. Das Spiel wird als angenehm erlebt, entlastet und lenkt von Alltagsproblemen ab. Oftmals berichten Klienten auch von einem Gewinn in der Anfangsphase, was weitere Gewinnerwartungen und das Gefühl einer scheinbaren Kontrolle befeuert. Wie bei allen Süchten dient auch das Spielen der Gefühlsregulation und zur Kompensation nicht erfüllter eigener und äußerer Erwartungen. Betroffene zweifeln oft an ihrem Selbstwert, außerdem sind ihre Bedürfnisse nach Anerkennung oder Selbstentfaltung sind meist nicht ausreichend befriedigt.

    Welche Folgen ergeben sich aus der Spielsucht?

    Girstenbrei-Wittling: Die Folgen übermäßigen Glücksspielens sind oft dramatisch. Neben der Verstärkung der ursächlichen Probleme führt sie meist zu hoher Verschuldung und bedeutet oftmals auch den Ruin ganzer Familien. Die durchschnittliche Verschuldung der Hilfesuchenden liegt bei 25000 Euro. Die Glücksspielsucht stellt eine immens hohe psychische Belastung für Betroffene und deren Angehörige dar.

    Welche Personengruppe ist am häufigsten spielsüchtig?

    Girstenbrei-Wittling: Es gibt keine eindeutige Spielercharakteristik. Es zeigt sich aber, dass junge Männer besonders gefährdet sind, Glücksspiel als Kompensationsstrategie zu wählen.

    Melden sich Betroffene selbst oder kommt der Anstoß von außen?

    Ursula Köhler-Baiter:Es ist wichtig, dass Angehörige oder der Arbeitgeber Druck machen. Diese Fremdmotivierung ist wichtig, aber genauso wichtig ist die Eigenmotivation.

    Girstenbrei-Wittling: Bei vielen kommt der Anstoß von außen. Laut Studien weisen Betroffene über die Dauer von vier bis zehn Jahren regelmäßiges Spielverhalten auf, bevor sie Probleme wahrnehmen und eine Beratungsstelle aufsuchen. Oftmals stehen am Beginn eines Beratungsprozesses extreme Ängste oder völlige psychische Erschöpfung und massive finanzielle Nöte.

    Woran erkennen Betroffene oder Angehörige, dass jemand spielsüchtig ist?

    Girstenbrei-Wittling: Alarmzeichen können sein, wenn das Spielen andere Interessen und Verantwortlichkeiten in Familie und Partnerschaft in den Hintergrund drängt. Wenn sich der Betroffene mehr und mehr zurückzieht, Gesprächen aus dem Weg geht und Heimlichkeiten oder Lügen die Beziehung erschweren. Unerklärliche hohe Geldausgaben oder nicht nachvollziehbare finanzielle Engpässe sind weitere Hinweise. Auch Erschöpfung, Gereiztheit oder depressive Stimmungen können auf eine Suchtproblematik hindeuten. Wichtig ist, dass die Angehörigen die Situation offen ansprechen und sich selbst Hilfe suchen.

    Wie viele Spielsüchtige sind bei Ihnen in Behandlung?

    Girstenbrei-Wittling: An der Suchtfachambulanz Augsburg mit der angegliederten Fachstelle Glücksspielsucht ist der Anteil der Glücksspielklienten in den letzten Jahren kontinuierlich hoch geblieben. Es wenden sich jedes Jahr zwischen 150 und 200 Betroffene an die Beratungsstelle. Hinzu kommt noch die Beratung von Angehörigen.

    Ist Spielsucht komplett heilbar?

    Girstenbrei-Wittling: Bei Pathologischem Spielen handelt es sich um eine psychische Erkrankung, die gut behandelt werden kann. Eine dauerhafte Spiel-Abstinenz – was einem Teil der Betroffenen gelingt – allein als Erfolg zu werten, greift sicher zu kurz. Die Auseinandersetzung mit sich selbst und dem jeweiligen sozialen Umfeld ist eine fortdauernde Aufgabe.

    Köhler-Baiter: Genauso wie bei allen anderen Suchtformen kommt es auch bei der Spielsucht zu Rückfällen in alte Verhaltensmuster. Die Betroffenen müssen lernen mit Rückfällen umzugehen. Dazu gehört auch rechtzeitig suchttherapeutische Unterstützung aufzunehmen.

    Kann man sagen, dass Spielsucht weniger gefährlich als Alkoholsucht ist?

    Köhler-Baiter: Jede Sucht ist auf ihre Art und Weise gefährlich. Drogen zerstören den Körper mehr oder weniger schnell. Außerdem bergen sie die Gefahr, dass man nicht weiß, was genau man eigentlich zu sich genommen hat. Bei Alkohol wird die körperliche Schädigung dagegen erst später sichtbar. Glücksspiel wirkt sich zwar nicht unmittelbar körperlich aus, kann aber neben möglicherweise stärkeren psychischen und sozialen Problemen auch zum finanziellen Ruin führen.

    Wie groß ist die Gefahr durch Online-Glücksspiele?

    Girstenbrei-Wittling: Zahlenmäßig sind noch immer die Automatenspieler die größte Gruppe der pathologischen Glücksspiele und machen etwa 75 Prozent der Klienten an den Fachstellen Glücksspielsucht aus. Durch das enorme Angebot an virtuellen Glückspielen steigen jedoch auch deren Gefahren, da diese Spielform ein sehr hohes Suchtpotenzial hat: Onlinespiele sind ständig verfügbar, die Geldtransaktionen sind noch leichter und „abstrakter“ und geraten so schneller außer Kontrolle. Außerdem kann das problematische Verhalten länger vor Angehörigen und Freunden verheimlicht werden. Die Abwicklung der eigentlich illegalen Online-Glücksspiele geschieht international und ist somit gesetzlich schwer zu regulieren. Zudem ist der Jugendschutz ebenfalls nicht zu gewährleisten.

    Lesen Sie hier über einen tragischen Fall von Spielsucht in Schwabmünchen und erfahren Sie mehr darüber, welche Stadt in der Region das Glücksspiel-Mekka ist: Wenn das Glücksspiel die Familie ruiniert

    Lesen Sie hier die Meinung unseres Autors über Trends beim Glücksspiel: Sportwetten und Co: Die Suchtgefahr wächst rasant

    Hilfe finden Betroffene und Angehörige bei der Suchtfachambulanz der Caritas in Augsburg, Auf dem Kreuz 41, Telefon 0821/31560, oder per E-Mail unter info@caritas-augsburg.de.

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