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Zeitzeuge berichtet: Wie das Bauernleben in Siegertshofen den Zweiten Weltkrieg prägte und Hoffnung schenkte

Siegertshofen/ Fischach

„Bauernhöfe waren das Zentrum unseres Lebens“

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    Anfang Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Entfesselt vom Deutschen Reich, hatte er binnen sechs Jahren weltweit rund 60 Millionen Menschenleben gefordert. Die Redaktion des Augsburger Landboten und der Schwabmünchner Allgemeinen arbeiten zum Kriegsende vor 80 Jahren noch einmal die Erinnerungen der letzten Zeitzeugen auf. Als im Winter 1944 über Augsburg dunkle Rauchwolken aufstiegen, war Erwin Gruber gerade einmal fünf Jahre alt. Der Angriff auf die nahegelegene Stadt markiert den Beginn seiner Erinnerungen an die letzten Kriegsmonate und die Zeit danach. Angst verspürte er damals kaum – zumindest nicht so, wie Erwachsene sie erlebt haben. Das kleine Dorf Siegertshofen, heute ein Ortsteil von Fischach, blieb verschont. Ein Bauerndorf war kein klassisches Ziel für Fliegerangriffe. Und doch, „in unserem kleinen Dorf war das alles eine riesige Sensation“, sagt Gruber rückblickend.

    Siegertshofen bestand damals aus einer Ansammlung von Bauernhöfen. Hunger kannte dort niemand – das verdankte man der Landwirtschaft. „Die Bauernhöfe waren das Zentrum unseres Lebens“, erinnert sich Gruber. Für ihn als Kind war der Hof der Familie Auer ein besonderer Ort: ein Spielplatz, ein Zuhause auf Zeit, ein Zufluchtsort. Auch Jahrzehnte später ist er dort noch immer herzlich willkommen. Erwin Gruber stampfte mit neugierigen Kinderaugen durch eine Nachkriegswelt. Der Umbruch lag in der Luft, was führ den kleinen Jungen damals jedoch mehr aufregend als beängstigend war.

    Er selbst wuchs nicht auf einem Bauernhof auf. Mit seiner Mutter, einer Lehrerin, lebte er im Schulhaus des Ortes. Sein Vater war während des Krieges beim Militär. Geschwister hatte er keine. Die Schule war nicht nur sein Zuhause, sondern auch der Ort, an dem seine Schulzeit begann – in der ersten Klasse, unterrichtet von seiner eigenen Mutter.

    Begegnung mit den Amerikanern

    Gruber erinnert sich besonders lebhaft an die Ankunft der amerikanischen Soldaten. Noch bevor schwere Fahrzeuge eintrafen, bewachten einige von ihnen in einem Jeep die Schmutterbrücke. „Für uns Kinder war das eine riesige Aufregung“, sagt Gruber. Neugierig näherten sie sich der fremden Patrouille – und wurden mit Schokolade und exotischen Früchten beschenkt. Erst später erfuhren sie, dass es sich um Orangen und Bananen handelte.

    Doch nicht alle Erlebnisse dieser Zeit waren so positiv. Vor den Amerikanern waren zunächst andere, unbekannte Personen im Schulhaus einquartiert worden. „Diese Zeit war voller Misstrauen“, erinnert sich Gruber. Man wusste nie, wer einem gegenüberstand, und so zogen die Amerikaner auch schwer bewaffnet durch die Straßen. „Jedes Dorf musste übergeben werden. Man hat extra weiße Tücher und Bettlaken herausgehängt, um zu zeigen, wir ergeben uns.“ Erwin Gruber erinnert sich, wie die Amerikaner im Schulhaus Wasser auffüllten. „Ich stand mit meiner Mutter dabei, als sie uns mit ihren Waffen in Schach hielten.“ Trotz der anfänglichen Spannungen seien die Soldaten grundsätzlich freundlich gewesen.

    Ein Kind in einer neuen Welt

    „Es war totales Chaos im ganzen Land“, beschreibt Gruber die Zeit nach dem Kriegsende. Mit den Amerikanern hielten neue Strukturen Einzug: eine veränderte Zeitrechnung, neue Vorschriften – vieles, was vor allem die Landwirtschaft herausforderte. Auch die amerikanischen Soldaten mussten untergebracht und versorgt werden. „Die vollständige Kapitulation haben wir gar nicht so mitbekommen. Irgendwann waren die Amerikaner da und für ein paar Wochen waren sie dann einquartiert“, erinnert sich Gruber. „In unserem Schulhaus war niemand. Ohne die Amerikaner ging es ja nicht. Es gab damals auch keinen öffentlichen Nahverkehr. Man musste halt nach Fischach laufen. Kein Benzin, sondern Holzvergaser fuhren herum.“

    Trotz aller Umstellungen blickt Erwin Gruber mit Dankbarkeit auf seine Kindheit zurück. „Kriegserlebnisse habe ich Gott sei Dank keine“, sagt er. „Ich habe nie Hunger gelitten, nie Langeweile verspürt. Es war eine gute Kindheit.“ Das verdankt er nicht zuletzt der solidarischen Dorfgemeinschaft – und seiner Mutter, die während der Abwesenheit des Vaters den Unterricht übernahm und ihm die ersten Schuljahre ermöglichte.

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