Im Moment des Erfolgs schien alles von Frank Schmidt abzufallen. Nach dem Abpfiff des 2:1-Siegs seines 1. FC Heidenheim in Elversberg setzte der 51-Jährige zum Sprint am, kam ins Straucheln und feierte dann doch noch mit Spielern und allen FCH-Mitarbeitern. Nach dem Sieg im Saarland steht fest: Die Ostalb stellt auch im dritten Jahr nacheinander einen Bundesligisten – und Schmidt selbst braucht dringend eine Pause. Am Mikrofon von Sat.1 sagte er: „Ganz ehrlich: Ich bin mausekaputt – schon seit Tagen und Wochen. Mich braucht auch keiner mehr anrufen, ich stehe für niemanden mehr zur Verfügung.“ Die lange Saison habe ihren Tribut gefordert, betonte Schmidt auf der anschließenden Pressekonferenz nochmal: „Wir haben dieses Jahr so viel durchgemacht, als Verein – und auch als Mannschaft. Wir haben Widerstände überwunden und es ging nicht immer harmonisch zu. Es war eine unfassbar schwere Saison für uns“
Tatsächlich hatten nur wenige Bundesligisten eine derart lange Saison wie der FCH. Wegen der Play-offs zur Conference League begann die Saison für das Schmidt-Team mit zwei englischen Wochen. Am Ende absolvierte der Verein mit Auftritten im Europapokal, Liga, DFB-Pokal und Relegation 48 Pflichtspiele und damit nur unwesentlich weniger als Topteams wie der VfB und Frankfurt (je 49), Leverkusen, der BVB (je 50) und der FC Bayern, der 51 Mal antreten musste. Für die Münchner steht aber auch noch die Klub-WM in den USA an. Zwischenzeitlich schien nur noch wenig auf den Klassenerhalt hinzudeuten – etwa Anfang März, als Heidenheim Tabellenletzter war. Schmidt gab zu, dass Teile seines zuversichtlichen und kraftvollen Auftretens Fassade waren: „Es ging darum, den Glauben aufrechtzuerhalten, obwohl man selbst sehr kaputt war.“
Elversberg war dem zweiten Treffer näher als Heidenheim – dann kam Scienza
Kaputt schien auch die Mannschaft des FC Heidenheim im 48. und entscheidenden Pflichtspiel der Saison zu sein. Nach der Führung durch Mathias Honsak (9.) glich Elversbergs Kapitän Robin Fellhauer noch vor der Pause aus (31.). Nach dem Seitenwechsel jubelte Elversberg durch Fisnik Asllani (47.) schon über das 2:1 – wegen einer hauchzarten Abseitsposition nahm Schiedsrichter Sascha Stegemann die Entscheidung nach minutenlanger Sichtung der Videobilder zurück. Von Heidenheim kaum noch etwas, die SV Elversberg drückte und war dem Siegtor deutlich näher.
SVE-Coach Horst Steffen hatte sich schon auf die Verlängerung einstellte, „in der wir nochmal Gas geben können, damit sich die Lücke auftut“. Tatsächlich tat sich in der regulären Spielzeit eine Lücke auf – allerdings für Heidenheim. Bei einem Gegenstoß kam Leo Scienza im Strafraum an den Ball. Der Brasilianer tanzte seinen Gegenspieler Florian Le Joncour mit einem Haken aus und schloss sehr verbindlich zum 2:1-Siegtreffer ab, wenige Sekunden vor Schluss (90.+5). Scienza avancierte damit zum Spieler dieser Relegation: An allen vier Heidenheimer Treffern war er direkt beteiligt.
Anfang März hatte Frank Schmidt Scienza aus dem Kader gestrichen
Scienzas Saisonverlauf ist durchaus repräsentativ für die gesamte Heidenheimer Saison: Vor der Saison vom Drittligaaufsteiger SSV Ulm verpflichtet, startete der Brasilianer, der auch einen luxemburgischen Pass hat, furios – und blieb dann lange vieles schuldig. Dass Scienza ein überragender Fußballer ist, vielleicht sogar der beste im FCH-Kader, bezweifelt niemand. Dass es mit der Disziplin – eine Kerntugend auf der Ostalb – mitunter haperte, ist ein offenes Geheimnis. Anfang März hatte Schmidt Scienza sogar für ein Spiel suspendiert, wegen dessen Verhaltens beim Abschlusstraining. Eine Lektion, die offenbar Wirkung zeigte, so Schmidt: „Nachdem er aus der 3. Liga gekommen war, war es für ihn keine einfache Saison, auch mit mir nicht. Ich habe gewisse Vorstellungen und er hat sich da schwerer getan als andere Spieler.“ Letztlich zeige der Fall des nicht immer pflegeleichten Dribblers aber, was möglich sei, so Schmidt: „Man sieht, dass Kritik und Auseinandersetzung nichts Schlimmes sein müssen.“ Scienza habe gezeigt, dass es wichtig sei, auch gegen Widerstände anzukämpfen.
Scienza selbst feierte den Klassenerhalt bereits in der Mixed Zone mit einer Flasche Bier. „Wahnsinn“ seien die beiden Partien für ihn gewesen. „Ich bin einfach nur glücklich, der Mannschaft geholfen zu haben und den Fans dieses gute Gefühl gegeben zu haben.“ Ein langes, hartes Jahr mit vielen besonderen Momenten sei diese Saison gewesen. Nun träumt Scienza sogar von der brasilianischen Nationalmannschaft: „Warum nicht. Mein Weg bis hierher war schon unglaublich.“ Runterkommen? „Das machen wir morgen. Heute feiern wir.“ Erst im Juli geht es in Heidenheim wieder los. Mit einem ausgeruhten Frank Schmidt.
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