Hallo Herr Zimmermann, am Freitag testen Sie beim Großen Preis von Argau für die Tour de Suisse, die dann am Sonntag startet. Wie ist Ihre Form?
GEORG ZIMMERMANN: Ich fühle mich topfit. Wir haben uns seit dem 23. Mai in Andorra in einem Höhen-Trainingslager auf die kommenden Wochen vorbereitet. Die Tour de Suisse sehen wir als Generalprobe für die Tour de France, die am 5. Juli beginnt. Darauf bin ich fokussiert. Ich bin bereit, voll bis zum Ende der Tour de France durchzuziehen.
Wie sehen Sie Ihre Saison bisher?
ZIMMERMANN: Ich habe im April den Giro d’Abruzzo gewonnen und zudem einige schöne Ergebnisse mit Top-20-Platzierungen erreicht, wie bei der Tour Down Under und bei Paris-Nizza. Gerade bei den beiden letztgenannten World-Tour-Etappenrennen habe ich eine gute Konstanz gezeigt. Darum bin ich sehr zufrieden.
Stimmt es, dass Sie als Kapitän Ihr Team Intermarché bei der Tour de Suisse anführen?
ZIMMERMANN: Unser sportlicher Leiter hat sich uns gegenüber noch nicht geäußert. Aber ich fühle mich zurzeit sehr gut und ich wäre auch bereit, diese Verantwortung zu übernehmen.
Was haben Sie sich für die achttägige Tour vorgenommen, die am Sonntag in Küssnacht startet und mit einem Berg-Zeitfahren eine Woche später in Beckenried am Vierwaldstätter See endet?
ZIMMERMANN: Mit einem Top- 20-Gesamtergebnis wie in Australien oder bei Paris-Nizza wäre ich sehr zufrieden.
Ist auch ein Etappen-Sieg im Bereich des Möglichen?
ZIMMERMANN: Warum sollte ein Etappensieg nicht drin sein? Wir werden schauen, wie die ersten Etappen laufen und dann können wir die Taktik noch mal anpassen.
Gibt es eine Etappe, die Ihnen liegen könnte?
ZIMMERMANN: Die Tour de Suisse bietet in diesem Jahr viele Möglichkeiten. Das Streckenprofil gefällt mir eigentlich sehr gut. Gleich die erste Etappe sieht vielversprechend aus, auch die dritte Etappe könnte mir liegen.
Bei der Tour de Suisse wird erstmals ein Fahrer- und Konvoi-Tracking sowie eine mobile Sicherheitszentrale eingeführt. Damit reagiert man auf die Todesfälle von Gino Mäder vor zwei Jahren und der Nachwuchsfahrerin Muriel Furrer beim WM-Rennen der Juniorinnen in Zürich im vergangenen Jahr. In dieser Saison ist der türkische Nachwuchs-Radprofi Mustafa Ayyorkun nach einem Sturz bei der Iran-Rundfahrt verstorben. Ihr Augsburger Kollege Marco Brenner und Top-Favorit Primo Roglic mussten nach Stürzen beim Giro aufgeben. Wird der Radsport immer gefährlicher?
ZIMMERMANN: Wir betreiben einen gefährlichen Sport. Das muss man akzeptieren. Ich denke, die Gefahr ist immer gleich groß.
Gehen die Fahrer vielleicht mehr Risiken ein?
ZIMMERMANN: Vor ein paar Jahren hatten wir noch eine Felgenbremse. Als sie durch die Scheibenbremse abgelöst wurde, sind wird nicht gleich schnell runtergefahren und dadurch sicherer, sondern das Tempo bei den Abfahrten wurde schneller und damit sind wir wieder mit dem gleichen Risiko unterwegs. Es ist einfach so, dass man halt einfach immer die Grenzen auslotet. Das ist wie bei anderen gefährlichen Sportarten auch.
Wie gehen Sie persönlich mit dem Sturzrisiko um?
ZIMMERMANN: Man muss aufpassen, konzentriert bleiben und aufs Beste hoffen.

Wie ordnen Sie den bisherigen Saisonverlauf für Ihr Team Intermarché ein?
ZIMMERMANN: Es läuft so lala. Wir hatten unsere Highlights, aber auch unsere Schwierigkeiten. Von daher freuen wir uns alle auf die Tour de France. Da kann man solch eine mittelgute Saison schnell deutlich ins Positive drehen. Das haben wir letztes Jahr gesehen. Da ist uns vor der Tour auch nicht besonders viel gelungen, und mit den drei Etappensiegen von Biniam Girmay haben wir in den drei Wochen das ganze Jahr ja in einem Augenblick auf links gedreht.
Haben Sie die Tour de France schon im Hinterkopf, wenn Sie in der Schweiz an den Start gehen?
ZIMMERMANN: Ja, so ehrlich muss man sein. Die Tour de Suisse ist auf jeden Fall ein Vorbereitungswettkampf auf die Tour de France.
Wird es da wieder eine Einmann-Show von Tadej Pogacar?
ZIMMERMANN: Es sieht momentan danach aus. Aber in dieser Woche läuft noch das Criterium du Dauphine. Da treffen alle guten Bergfahrer aufeinander. Da wird man sehen, in welche Richtung es bei der Tour gehen wird. Ich habe den Eindruck, dass es Tadej nicht mehr so einfach fallen wird, wie im Frühjahr, alles zu gewinnen.
Lange stand das Duell Roglic-Pogacar im Blickpunkt. Es scheint, als würde Roglic nicht mehr mithalten können. Stimmt der Eindruck?
ZIMMERMANN: Das stimmt nicht, würde ich sagen. Er ist ein Weltklassefahrer, der alles hat, was man braucht, um auch die Tour zu gewinnen. Das hat er bei der Vuelta, die er schon mehrere Male gewonnen hat, gezeigt. Sein Handicap ist es, dass er nicht so gut darin ist, auf der Straße zu bleiben. Er stürzt tendenziell mehr als andere. Das ist ein bisschen seine Schwäche. Bei der Vuelta fährt man viel auf großen, breiten Straßen. Da kommt sein Manko nicht so zum Tragen. Man muss abwarten, wie er sich bei der Tour präsentiert.

Was kann man von Ihnen und Ihren deutschen Kollegen in Frankreich erwarten?
ZIMMERMANN: Es ist, glaube ich, noch nicht offiziell bestätigt, aber alles deutet darauf hin, dass Florian Lipowitz (24, Red Bull-Bora-hansgrohe) mitfahren wird. Er wurde Vierter bei der Baskenland-Rundfahrt und Zweiter bei Paris-Nizza. Wenn er da anknüpfen kann, kann es für die deutschen Radsportfans eine ganz besondere Tour de France werden. Im Kampf um das Gelbe Trikot sehe ich ihn noch nicht, aber einen Platz unter den ersten Zehn traue ich ihm auf jeden Fall zu.

Und was trauen Sie sich zu?
ZIMMERMANN: Auch sehr viel. Ich bin gut in Form, fühle mich gut. Wir haben ein gutes Team, einen guten Teamspirit. Bei der Tour de Suisse werde ich die Möglichkeit haben, mit den sportlichen Leitern länger zu reden, wie wir uns taktisch aufstellen. Und dann können wir uns für mich persönlich und fürs Team einen hoffentlich aussichtsreichen Plan zurechtlegen.
Georg Zimmermann, 27, fährt seit 2019 in der WorldTour, der höchsten Kategorie im Straßen-Radrennsport. Zuerst bei CCC Team, seit 2021 beim belgischen Rennstall Intermarché. Zimmermann, der in Augsburg geboren und in Neusäß-Hainhofen aufgewachsen ist, nahm bisher viermal an der Tour de France teil. 2023 wurde er einmal Etappen-Zweiter. In diesem Jahr gewann er im April erstmals mit dem Giro d‘Abruzzo (2.1) ein mehrtägiges Etappenrennen. Zimmermann lebt mit seiner Freundin in Augsburg.
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