Irgendwie scheint es die deutsche Fußball-Geschichte mit dieser 4 zu haben. 1954, 1974, 2014 - drei der vier WM-Titel errang die deutsche Mannschaft, wenn das vierte Jahr einer Dekade anstand. Umso erstaunlicher ja, dass es bei der Heim-EM in diesem Jahr keinen Pott gab, den man hochstemmen durfte. Aber ist ja eben auch eine Europa-, keine Weltmeisterschaft. In diesen Tagen standen oder stehen die Jubiläen der WM-Triumphe an. Unterschiedlicher könnten die Hintergründe und Folgen davon aber kaum sein.
WM 1954: Finale am 4. Juli, Deutschland - Ungarn 3:2 Die eigentliche Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland. Man war wieder wer. Der Sport wird im Nachhinein des Öfteren überhöht. Aber selbstverständlich war der Erfolg dem Selbstvertrauen und Selbstverständnis des jungen Deutschland nicht abträglich. Regisseur Sönke Wortmann spendierte dem Wunder von Bern einen ganzen Spielfilm. In Ungarn gleichwohl hatte die Niederlage nach dem aus dem Hintergrund zum 2:3 einschießenden Rahn eine gänzlich andere Wirkung. Hunderttausende Menschen zogen enttäuscht von der Niederlage auf die Straße. Bald entwickelten sich politische Demonstrationen - die im niedergeschlagenen Volksaufstand von 1956 mündeten. Die Anhänger verwüsteten die Wohnung des kommunistischen Nationaltrainers Gusztáv Sebes. Dikaktor Mátyás Rákosi sprach zur Mannschaft: „Niemand von euch soll Angst haben, bestraft zu werden für dieses Spiel. Ich habe den Klang seiner Stimme noch im Ohr. Als dieser Satz fiel, wusste ich, dass er genau das Gegenteil bedeutet. Ich wusste, dass etwas Schlimmes passieren würde“, erinnerte sich Torhüter Gyula Grosics. Er wurde erst unter Hausarrest gestellt und später zu einem Provinzverein verbannt. Das Finale von Bern kannte viele deutsche Helden - und keinen einzigen ungarischen.

WM 1974: Finale am 7. Juli; Niederlande - Deutschland 1:2 Der Erfolg dürfte wohl der Titel gewesen sein, der mit den meisten Störgeräuschen vonstattenging. Ärger zwischen den Spielern und dem Verband gab es von Beginn an: Zuerst sorgte der Streit über die Prämienzahlungen für Unmut. Bis kurz vor Turnierbeginn war nicht klar, wie die Zahlungen für den Erfolgsfall aussehen würden. Paul Breitner erinnerte sich im Gespräch mit unserer Redaktion kürzlich wie folgt daran: „Der DFB lebte noch in einer romantischen Vorstellung von elf Freunden, die eine Mannschaft bilden sollten. Dabei gab es schon seit elf Jahren die Bundesliga, Fußball war für uns ein Beruf.“ In der Sportschule Malente fand sich schließlich noch ein Kompromiss, zähneknirschend gab der Verband kleinbei. Den großen Krach gab es dann ausgerechnet nach dem gewonnenen Finale gegen die Niederlande. Während die Funktionäre mit ihren Frauen die Plätze beim Bankett einnahmen, waren die Frauen und Freundinnen der Spieler nicht erwünscht.
Die beiden 30-jährigen Jürgen Grabowski, und Wolfgang Overath, der 28-jährige Gerd Müller und der erst 22-jährige Paul Breitner traten daraufhin aus der Nationalmannschaft zurück. Letztgenannter sollte zwar für die WM 1982 ein Comeback geben, das Tischtuch zwischen DFB und den Weltmeistern bleibt aber bis heute zerschnitten, so Breitner: „Wir, die 74er-Weltmeister, sind für den DFB bis heute nicht existent. Es hat sich nie einer bei uns gemeldet und eine Einladung ausgesprochen.“ Eine Feier zum 50-jährigen Jubiläum haben Hoeneß, Breitner und Bonhof deswegen auf eigene Faust organisiert - Vertreter des DFB waren nicht eingeladen.
Sportlich war der WM-Titel die Krönung für die Spielergeneration Beckenbauer, Netzer und Co. Nach dem EM-Titel zwei Jahre zuvor holte sich die deutsche Mannschaft auch die Weltmeisterschaft. Das und der Umstand, dass der FC Bayern von 1974 an dreimal in Folge den Europapokal der Landesmeister, den Vorgänger der heutigen Champions League, gewinnen sollte, war Ausdruck einer nie wieder erlebten deutschen Dominanz im Weltfußball.
WM 2014: Finale am 13. Juli; Deutschland - Argentinien 1:0 nach Verlängerung In Momenten größtmöglichen Erfolgs neigt der Mensch - also auch der Fan - dazu, Dinge zu verklären. Kreisen die Gedanken um die WM 2014, schießen einem Bilder in den Kopf, die ein Grinsen ins Gesicht zaubern. Schürrle auf Götze. TV-Kommentator Tom Bartels, der schreit: „Mach ihn, mach ihn. Er macht ihn!“ Ein Treffer für die Geschichtsbücher. Allein dieses epische Finale gegen Argentinien lieferte Spektakel im Minutentakt. Khedira, der verzichtet. Kramer, der umherirrt. Schweinsteiger, der blutet. Neuer, der Higuain foult (ohne dass es Strafstoß gibt). Höwedes, der köpft (und nur den Pfosten trifft). Und, klar, Götze, der der Welt zeigt, dass er besser als Messi ist (zumindest in einem Moment).

Zuvor hatte die Mannschaft von Joachim Löw in einem Jahrhundert-Halbfinale Gastgeber Brasilien 7:1 gedemütigt. 5:0 nach 29 Minuten. Sieben Treffer, die die ach so stolze Fußball-Nation vom Zuckerhut in ihren Grundfesten erschütterte. Löw hatte über vier Jahre hinweg eine formidable Mannschaft geformt, die nun herausragend agierte, vor allem aber harmonierte. Neuer, Lahm, Hummels, Boateng, Schweinsteiger, Khedira, Kroos, Müller, Özil. Spieler auf dem Zenit ihrer Schaffenskraft. Ergänzt durch einen zum Linksverteidiger umfunktionierten Höwedes und den bislang letzten DFB-Vollstrecker Klose.
Auf dem Weg zu den Höhepunktspielen jedoch, nun zur Verklärung, versprühte das Team selten Glanz. Gegen Ghana und die USA mühten sich die Deutschen zu einem Unentschieden sowie knappen Sieg. Gegen Algerien brauchte es Manu, den Libero, und die Verlängerung, um das Achtelfinale zu überstehen. Vom Viertelfinale gegen Frankreich blieb lediglich Hummels Schädel. Und wäre Deutschland nicht Weltmeister geworden, jeder hätte sich über das schwerlich mit einer Fähre zu erreichende Campo Bahia mitten im Regenwald aufgeregt. So aber: Grinsen im Gesicht.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden