Kyle Bonn hatte einen großen Wunsch. Der 36-Jährige wohnt in Charlotte und berichtet von hier aus für The Sporting News über die FIFA-Klub-WM. Er hatte das Gruppenspiel von Real Madrid gegen Pachuca live gesehen, die 0:1-Niederlage des FC Bayern München gegen Benfica Lissabon und er saß auch am Samstag beim Achtelfinale zwischen Lissabon und Chelsea im Stadion in Downtown Charlotte. Alles schön und gut, sagt Bonn, der normalerweise hier nur über die Major League Soccer berichtet.
Aber der Amerikaner mit den dunklen Haaren und dem dunklen Vollbart hatte vor allem auf ein Spiel gehofft: ein Achtelfinal-Duell zwischen Fluminense und River Plate am 30. Juni in Charlotte. „Wir haben die argentinischen und die brasilianischen Fans im Turnier gesehen, wie verrückt sie sind. Beide gegeneinander zu erleben, wäre super aufregend gewesen, ein absolutes Chaos - im positiven Sinne natürlich“, sagt Bonn im Gespräch mit unserer Redaktion und ergänzt leicht geknickt: „Aber River Plate hat's versaut.“ Weil der Traditionsklub aus Buenos Aires das letzte Gruppenspiel gegen Inter Mailand 0:2 verlor, verpassten die Argentinier die K.-o.-Runde - und so treffen nun die Italiener am Montag (21 Uhr) in Charlotte auf Fluminense.
Für Europas Klubs ist die Klub-WM eine Pflicht, für Teams aus Südamerika eine Kür
Zwei Wochen dieser erstmals mit 32 Mannschaften in den USA ausgetragenen Klub-WM sind vorbei. Es ist ein Turnier mit zwei Welten. Südamerikanische Party trifft auf europäischem Pragmatismus. Für die Teams aus Deutschland, England, Spanien, Italien oder Frankreich fällt dieses Event in die eigentliche Saisonpause und wirkt deshalb eher wie ein quälendes Pflichtprogramm. Eine verordnete Show, zu der sie antreten müssen und dafür fürstlich entlohnt werden. Die vier brasilianischen und zwei argentinischen Vereine hingegen haben gerade die Hälfte ihrer jeweiligen Saisons gespielt - und diese Klub-WM von Beginn an als Kür auf dem größtmöglichen Catwalk gesehen.
Gleiches gilt für die Fanlager. Die Anhänger von Fluminense, Botafogo, Palmeiras, Flamengo, River Plate und Boca Juniors haben die ersten beiden Turnierwochen geprägt, ihnen laut singende, lächelnde und leidenschaftliche Gesichter gegeben. Sie haben gefeiert und gejubelt. In jedem Spiel, 90 Minuten lang. Die europäischen Fans indes sind im Vergleich dazu leicht zu übersehen und zu überhören. Es haben ohnehin nur wenige von ihnen die Reise in die USA angetreten. Vielen war der Trip zu weit weg, zu teuer und das gesamte Turnier eher ein Konstrukt, das nur nach Geld riecht, aber nichts mit echter Fußballleidenschaft und -liebe zu tun hat.
Auch bei Spielern vom FC Bayern und Boussia Dortmund: Stellenweise bleiben viele Plätze in den Stadien leer
„Ich glaube, es ist schwer, für solch ein Turnier von Deutschland nach Amerika zu kommen”, versuchte sich Borussia Dortmunds Karim Adeyemi an einer Erklärung. Zu den Vorrundenspielen des BVB gegen Mamelodi Sundows (14.006 Zuschauer) und HD Ulsan (8.239) waren viele Sitze im kleinen Soccer-Stadion von Cincinnati mit einer Kapazität von rund 21.000 Plätzen frei geblieben. Natürlich wäre es schön, so Adeyemi, „wenn eine richtige Atmosphäre hier” wäre und „jeder mitfiebern“ würde. Aber letztlich sei man „dankbar, dass wir überhaupt Fans hier haben”, meinte der 23-Jährige.
Ganz anders klang Bayern-Profi Konrad Laimer nach dem 2:1-Vorrunden-Sieg der Münchner in Miami gegen Boca Juniors. „Das war eine coole Erfahrung, auch wegen der Fans”, meinte der Österreicher. Bis zu 20.000 Argentinier hatten ihr Team pausenlos unterstützt. Harry Kane sprach von einer „starken Stimmung„, Trainer Vincent Kompany meinte gar, dass man als Bayern München „große Nächte gewöhnt“, die Atmosphäre gegen Boca jedoch „noch einmal etwas ganz anderes“ gewesen sei. In Seattle hätten, schrieb The Athletic, die River-Plate-Anhänger für „eine Massen-Wallfahrt“ gesorgt. Dass beide Vereine aus Buenos Aires die Vorrunde nicht überstanden, veranlasste das Online-Portal zu der Schlagzeile „Auf Wiedersehen, Argentinien. Die Klub-WM wird deine Fans vermissen“.
Die vier brasilianischen Teams hatten es alle in die K.o.-Runde geschafft. Am Samstag standen sich Palmeiras und Botafogo in Philadelphia sogar im ersten Achtelfinal-Match des Turniers gegenüber. Ihre Fans sorgten bei strahlendem Sonnenschein und Temperaturen von 32 Grad Celsius für Samba-Feeling, Palmeiras gewann 1:0 nach Verlängerung. „Könnt ihr euch den Stolz und die Euphorie vorstellen, wenn ein brasilianisches Team Erster wird“, schrieb Ex-Nationalspieler Tostão, der mit der Selecao 1970 den WM-Titel gewann, in der Tageszeitung Folha de Sao Paulo.
Euphorie und Enthusiasmus der Brasilianer und Argentinier sorgen zugleich bei den Europäern für einen Blick in den Spiegel. Man bekomme „hier vor Ort mit, wie begeistert die Südamerikaner dieses Turnier begleiten”, hatte Hans-Joachim Watzke gegenüber der Sport Bild betont. Für sie, ergänzte der Geschäftsführer von Borussia Dortmund, hätte es „halt einen Wert wie für uns die Champions-League.“ In diesem Zusammenhang warf der den Europäern vor, „vielleicht auch etwas zu arrogant“ zu sein.
Die Präsenz der südamerikanischen Fans, schreibt die Nachrichtenagentur Reuters habe, das „Geschäfts-Experiment Klub-WM” in etwas „Spannungsgeladenes, Lebendiges” verwandelt - und sie hätte ihren „europäischen Gegenübern etwas zum Nachdenken gegeben.” Im nächsten Sommer werden noch mehr Anhänger aus Südamerika kommen. Dann wird die WM in Mexiko und Kanada, vor allem aber den USA ausgetragen. Und dann sind neben den Argentiniern und Brasilianern auch die sanges- und feierfreudigen Fans aus Uruguay, Ecuador oder Kolumbien dabei. Amerika darf sich freuen auf jede Menge Lautstärke und Leidenschaft.
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