Alle anderen sprangen auf, Alexander Owetschkin tauchte ab. Er schlitterte bäuchlings über das Eis der UBS Arena in New York. Denn er hatte soeben für seine Washington Capitals getroffen. Mal wieder. Wie so oft seit seinem ersten Spiel in Nordamerikas Eishockey-Profiliga NHL vor mittlerweile fast 20 Jahren. Doch dieser Treffer war anders als alle 894 vorherigen. Er war nicht so wichtig, denn Washington verlor bei den New York Islanders 1:4, aber er war wertvoll.
Zum 895. Mal hatte Owetschkin den Puck in ein NHL-Tor geschossen - so oft, wie kein anderer in der Liga-Geschichte. Bis zur Partie am Sonntagnachmittag war er gleichauf gewesen mit Wayne Gretzky. Doch nun hatte “The Great Eight”, wie Owetschkin in Anlehnung an seine Rückennummer acht auch genannt wird, die weltweit wohl bekannteste Eishockey-Legende, “The Great One”, Wayne Gretzky, hinter sich gelassen.

Auch Wayne Gretzky selbst klatschte in der Arena Beifall
Als sein Schlagschuss in der 28. Minute ins Netz zischte, wurde die ausverkaufte Arena zum Epizentrum der Emotionen. Owetschkin riss den Mund weit auf, seine Mitspieler stürmten auf ihn zu, Gegenspieler gratulierten, die Fans skandierten “Owi, Owi!” Und oben in einer der VIP-Logen klatschte Gretzky Beifall. “Ich bin begeistert, freue mich für ihn. Alex ist ein echter Wettkämpfer und dies ist ein großartiger Tag für Eishockey”, sagte Gretzky im ersten von vielen Interviews an diesem Tag.
Auch Owetschkin versuchte, sein Tor einzuordnen. “Was für ein Augenblick für Eishockey, meine Familie, mich selbst, den Verein und meine Mitspieler. Das ist riesig”, meinte der 39-Jährige. Das Spiel wurde nach seinem historischen Treffer für mehr als zehn Minuten unterbrochen, um den Moskauer und seinen besonderen Moment entsprechend zu würdigen.
Hat der jetzige Owetschkin-Rekord für die Ewigkeit Bestand?
Am 5. Oktober 2005 hatte Owetschkin bei seinem NHL-Debüt erstmals getroffen. Nun, 7123 Tage später, war er Rekordtorschütze der stärksten Eishockeyliga der Welt geworden. Rekorde seien dazu da, um gebrochen zu werden, betonte Gretzky. Aber ob es jemals einen Spieler geben werde, der Owetschkins Bestmarke knackt? “Ich kann mir das nicht vorstellen, denn in der NHL wird es immer schwieriger, zu scoren”, sagt der Augsburger NHL-Profi Nico Sturm, der für Meister Florida Panthers spielt.
Zum Vergleich: Leon Draisaitl spielt seine elfte NHL-Saison. Der Kölner im Trikot der Edmonton Oilers ist seit Jahren einer der Topstars der Liga und aktuell mit 52 Treffern der beste Torschütze. Dennoch liegt Draisaitl mit seinen 399 Karriere-Toren noch 496 Treffer hinter Owetschkin zurück. Was der in seinem Alter noch leiste, sei “einfach unglaublich”, so Draisaitl anerkennend. Nach Owetschkins geschichtsträchtigem Tor spielte die Liga auf dem Videowürfel Glückwünsche anderer Superstars ein. Michael Phelps und LeBron James gratulierten ebenso wie Tom Brady, Simone Biles, Michael Jordan oder auch Snoop Dogg und Danny DeVito. Kritische Stimmen gab es keine. Sie waren auch im Vorfeld nur vereinzelt zu vernehmen.

Owetschkin pflegt eine umstrittene Nähe zu Wladimir Putin
Dabei gibt es eine Seite bei Owetschkin, die durchaus kritikwürdig ist. Die seiner Bestmarke einen Beigeschmack gibt: seine Nähe zu Wladimir Putin. Er ist der Vorzeige-Profi des russischen Präsidenten, der neben Judo auch Eishockey zu seinen großen Passionen zählt. Owetschkin hat zwar stets betont, sich nicht politisch äußern zu wollen. Doch er hat eben auch seinen Instagram-Account, auf dem ihm 1,6 Millionen Menschen folgen. Und sein Profilbild dort zeigt ihn mit Putin. Owetschkin hat auch Videos des Machthabers hochgeladen, er hat Putin im Wahlkampf 2018 unterstützt und er war sich auch nicht zu schade, Kreml-Propaganda auf seinem Kanal zu teilen. So hatte Owetschkin am 28. August 2014 ein Foto geposted, auf dem er einen Zettel mit der Botschaft “Rettet Kinder vor Faschismus” hochhält. Mit dieser perfiden Indoktrination hatte Putin damals unter anderem die Annexion der Krim gerechtfertigt.
Als Russland im Februar 2022 die Ukraine überfiel, sagte Owetschkin das, was Athleten in solchen Situationen oft sagen. Er sprach davon, dass es keinen Krieg geben dürfe, dass alle zusammen in Frieden leben müssten. Doch all das wirkte eher wie eine vorgefertigte Meldung einer PR-Agentur, als ein ehrliches Statement. Zumal Owetschkin auch deutlich machte: “Putin ist mein Präsident.” Doch nun könnte ausgerechnet wegen seines Freundes Putin Owetschkins letzter Karriere-Traum platzen: der Gewinn der Olympischen Goldmedaille. Aufgrund des Ukraine-Krieges hat der Eishockey-Weltverband IIHF Russland und Belarus von allen Wettbewerben ausgeschlossen - vorerst bis zur Saison 2025/26. Somit wird Owetschkin, der im September seinen 40. Geburtstag feiert, bei den Winterspielen in Mailand fehlen.
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