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Exklusiv-Interview
08.04.2018

Ex-Ifo-Chef Sinn lobt SPD-Vorstoß für solidarisches Grundeinkommen

Ex-Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn: Sein Nachfolger ist Clemens Fuest, zuvor Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
Foto: Michael Kappeler, dpa

Volkswirt Sinn fordert "Drei-Euro-Jobs“, kritisiert die EU-Politik im Handelskonflikt mit den USA und erzählt von seiner bewegten 68er-Zeit.

Hans-Werner Sinn sitzt in seinem Zimmer im Münchner Ifo-Institut. Bis 2016 war er Präsident der renommierten Einrichtung für Wirtschaftsforschung. Die Meinung des streitbaren Professors mit dem markanten Kinnbart ist gefragt wie seit Jahrzehnten. Es liegen reichlich Briefe auf dem Schreibtisch - Gratulationsschreiben zu seinem 70. Geburtstag. Sinn lächelt und stöhnt etwas: „Es ist echt schwierig. Wenn man 70 wird, schreiben einem viele Leute. All die Geschenke, dieser Rummel.“ Sinn selbst schreibt nach wie vor. Seine gut 650 Seiten lange Autobiografie „Auf der Suche nach der Wahrheit“ verkauft sich bestens. Der Ökonom wirkt entspannt und gut gelaunt.

Sie gehen nach wie vor auch mit 70 keiner Kontroverse aus dem Weg, auch wenn es Prügel hagelt. Ihre Debattenlust ist ungebrochen. Was motiviert Sie, sich immer wieder einzumischen?

Sinn: Ich bin Volkswirt. Ein Volkswirt ist für das Volk da. Er soll das Volk beraten. An den angelsächsischen Ökonomen habe ich immer bewundert, dass sie sich nicht zu schade sind, Zeitungskolumnen zu schreiben und die Dinge auf den Punkt zu bringen. Der größte Nachkriegsökonom Paul Samuelson hat einmal gesagt, eine Theorie sei nur dann gut, wenn sie jeder versteht.

Wie berät ein Volkswirt das Volk?

Sinn: Zum einen, indem er die Politik berät. Doch Politiker hören nicht zu, weil sie mit ökonomischem Rat schon deshalb wenig anzufangen wissen, weil er ihnen mehr Reformen abverlangt, als sie politisch für realisierbar halten. Politiker sind persönliche Maximierer und Optimierer wie andere auch. Ihnen geht es meistens auch nur darum, andere Politiker auszustechen, Posten im Staatsapparat zu bekommen und für ihre Partei die meisten Stimmen zu kriegen. Nur wenn das Volk sich selbst informiert und Druck macht, bewegen sie sich. Deswegen berate ich als Volkswirt durch Schriften und öffentliche Auftritte das Volk direkt, sodass es Politikern Dampf macht. Demokratie funktioniert nur, wenn die Wähler aufgeklärt sind.

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Sie attestieren Kanzlerin Merkel eine „rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik“. Woran machen Sie das fest?

Sinn: Der Begriff „rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik“ geht auf den Titel eines Gutachten des Sachverständigenrates zurück. Damit ist gemeint, dass die SPD unter dem früheren Kanzler Gerhard Schröder den Arbeitsmarkt durch die Hartz-Reformen mobilisiert hat. Doch diese Reformen wurden von der Kanzlerin, wenn auch nun wieder unter dem Druck der SPD, teilweise rückabgewickelt, indem sie den Mindestlohn einführte und energiepolitisch eigenartige Wege geht.

Merkel kommt bei Ihnen nicht gut weg.

Sinn: Ein schwerer Fehler war, dass sie Deutschland mit der Atomkraft seiner billigsten Energiequelle beraubt hat, noch dazu einer, die keine Klimaschäden hervorruft. Wenn wir nun aus der Kohle und der Kernenergie zugleich aussteigen, stehen wir vor dem Nichts. Man kann die Räder der Industriegesellschaft nicht allein mit Wind- und Sonnenkraft drehen. Das ist viel zu zappelig, als dass man damit viel anstellen könnte.

"Merkel hat einen Fehler gemacht"

Und wie schätzen Sie die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin ein?

Sinn: Sie hat hier einen Fehler gemacht, indem sie Deutschland mit weiteren Ausgaben für Sozialleistungen überlastet hat. Deutschland hat mehr Flüchtlinge aufgenommen als der Rest Europas zusammen. Ich bin froh, dass Horst Seehofer Innenminister geworden ist und im Verein mit Markus Söder endlich das Thema Grenzsicherung kompetent aufgreift.

Sie werfen Merkel vor, mit alldem Platz für die AfD geschaffen zu haben.

Sinn: Mit dem Linksruck, den Angela Merkel der CDU verpasst hat, hat sie die SPD zerquetscht. Dabei hat sie übersehen, dass damit am rechten Rand eine neue Partei entstehen kann. Hinzu kommt eine falsche Euro-Politik, nämlich der Bruch des Maastrichter Vertrages, der ja explizit eine Rettung von Gläubigern von Staaten ausschließt. Beides – die verfehlte Flüchtlings- und Europolitik – haben die AfD groß gemacht.

Dabei haben Sie Merkel früher beraten. Ist die Kanzlerin ein klassisches Beispiel für den Typus des beratungsresistenten Politikers?

Sinn: In ihrer Anfangsphase hat Merkel meinen Rat gesucht. Heute tut sie das nicht mehr. Auch die Art, wie sie auf die Gutachten des Sachverständigenrates reagiert, zeigt, dass sie sich nicht von ökonomischen Argumenten beeindrucken lässt. Das ist nicht ihre Welt.

In Sachen Euro vertrauen Ihnen viele. Sie vergleichen die Eurozone mit einer Wohngemeinschaft. In einer Wohngemeinschaft gibt es zwei elementare Fragen: Wer hat die Milch geklaut und wer hat das Bad nicht geputzt? Wer hat im Euroland die Milch geklaut und wer hat das Bad nicht geputzt?

Sinn (lacht): Das sind drastische Vergleiche. Fest steht, dass die südeuropäischen Länder und noch andere ihre fehlende Wettbewerbsfähigkeit durch riesige Überziehungskredite bei der Bundesbank – also durch die sogenannten Targetkredite - ausgeglichen haben. Das sind mittlerweile 914 Milliarden Euro. Wir Deutschen sollten nicht glauben, dass das Geld zurückkommt. Auch die fiskalischen Rettungsschirme sind benutzt worden, um öffentliche Kredite in Länder zu geben, die keine Privatkredite mehr bekamen. Auf diese Weise bereitet man den Weg in die Transferunion vor. Erst nennt man die Gelder Kredit, danach wird der Kredit gestrichen. Dann handelt es sich um Geschenke. Der Schritt zu den Geschenken wird nun ultimativ vom französischen Präsidenten Macron eingefordert.

Welche Konsequenzen hat das?

Sinn: Dadurch entsteht nichts als Streit. Man denke nur daran, wie viele Hakenkreuzfahnen in Griechenland gehisst wurden, nachdem wir das große Rettungspaket für Griechenland geschnürt hatten. Es war dann eben aus Sicht der Protestierenden in Griechenland nicht genug Geld. Wenn man mit so etwa anfängt, ist das ein Fass ohne Boden. Der kleine Finger wird gereicht. Die ganze Hand wird genommen. Und wenn man dann seine Hand zurückzieht, entsteht der Streit.

Kommt die Euro-Krise zurück?

Sinn: Sie kommt dann zurück, wenn der deutsche Staat irgendwann nicht mehr bereit ist, neue Bürgschaften, Kredite und Geschenke zu gewähren.

Geht die nächste Eurokrise von Italien aus?

Sinn: Italien ist ein potenzielles Pulverfass. Da müssen wir aufpassen, dass dieses Fass nicht hochgeht. Die Krise in Italien können wir nicht ähnlich wie in Griechenland lösen. So viel Geld gibt es gar nicht. Italien ist schließlich ein großes Land. Dabei handeln die Verantwortlichen in Italien nicht aus bösem Willen. Durch den Euro ist vielmehr eine Unwucht entstanden, weil Italien viel schneller als andere Euroländer inflationierte und seine Wettbewerbsfähigkeit so zerstört hat. Die Menschen in Italien sind frustriert, weil ihre Kinder keine Arbeit finden.

Sie haben eine harte Diagnose über Europa gefällt. Demnach ist der alte Kontinent „ein kranker Mann“, so wie es Deutschland in den 90er-Jahren war. Warum sind Sie so pessimistisch?

Sinn: Insgesamt ist Europa durch den Euro in eine verhängnisvolle Erwartungsspirale gerutscht. Die Länder Südeuropas haben sich durch billige Kredite einen Lebensstandard verschafft, der jenseits ihrer Produktivität liegt. Das hat die Arbeitslosigkeit erzeugt und das Wachstum gebremst. Der Kontinent rutscht von einer Krise zur nächsten. Mit jeder Krise wird das Füllhorn der noch gesunden Länder etwas weiter aufgemacht. Mit erheblicher Geschwindigkeit entwickeln wir uns in eine Transferunion.

"Ich bin sehr besorgt über Europa"

Kommt es wirklich soweit?

Sinn: Frankreich will einen europäischen Krisen-Fonds schaffen, in den alle Länder – und damit Deutschland am meisten – einzahlen. Der Fonds soll automatisch Gelder für schwächere Länder bereitstellen. Wir Deutsche sollten nicht glauben, dass wir jemals Geld aus einem solchen Fonds zurückbekommen, wenn wir etwas brauchen.

Die Gretchenfrage: Bleibt der Euro?

Sinn: Noch einmal: Der Euro bleibt, solange Deutschland weiter bereit ist, Zahlungen zu leisten und Bürgschaften zu übernehmen. Deutschland sollte dem Euro nicht den Rücken kehren, aber nicht auf die Umverteilungswünsche eingehen. Dann muss man sehen, was passiert. Für diesen Fall erwarte ich, dass einzelne Länder aus dem Euro austreten. Dadurch würde die Euro-Gemeinschaft kleiner. Wir sollten kein Land durch Geldleistungen vom Austritt abzuhalten versuchen, denn es ist für alle Beteiligten besser, wenn es sein Geld nach einer Abwertung wieder selbst verdienen kann.

Europa sieht sich derzeit mit einer machtvollen Rückkehr des Protektionismus und Nationalismus konfrontiert. Wie besorgt sind Sie?

Sinn: Ich bin sehr besorgt. In die jetzige Lage sind wir durch eine naive Politik geraten. Die größte Naivität zeigte sich darin, dass wir den Euro eingeführt haben. Das brachte ganz Südeuropa in eine unhaltbare Situation. Dadurch entstanden sehr viele Animositäten gegenüber Deutschland. Als der Maastricht-Vertrag gemacht wurde, standen südeuropäische Länder am Rande des Konkurses. Der Euro schien für sie die Rettung zu sein. In Wahrheit sind sie durch die billigen Kredite, die ihnen der Euro ermöglichte, noch tiefer in die Krise gerutscht und haben sich noch mehr verschuldet.

Und der Brexit?

Sinn: Auch der Brexit macht mir Sorgen. Die Briten verlassen die EU wegen der Flüchtlingsfrage. Sie hatten Angst, dass Flüchtlinge illegal in ihr Land kommen, und sie hatten Angst, dass Deutschland mit seinem Quotensystem durchkommt und die Briten zwingt, einen Teil des damaligen Flüchtlingsstroms aufzunehmen. Das wurde den Briten zu bunt. Deswegen gab es eine knappe Mehrheit für den Austritt aus der EU.

Wie stark beunruhigt Sie die protektionistische Politik Trumps?

Sinn: Sehr. Zur Wahrheit gehört hier aber auch, dass wir Europäer bislang noch die größeren Protektionisten sind. So schützen wir von jeher - vor allem auf Druck der französischen Bauern - unsere Landwirtschaft mit hohen Preisen. Und wir verlangen für amerikanische Autos, die nach Europa exportiert werden, einen Zoll von zehn Prozent. Die Amerikaner verlangen aber nur 2,5 Prozent. Das Hauptproblem liegt im Agrarsektor.

Warum kritisieren Sie Frankreich so vehement?

Sinn: Die Franzosen haben Angst, dass Deutschland den Amerikanern Zugeständnisse macht. Unter französischem Einfluss riskiert die EU-Kommission lieber einen Handelskonflikt mit den USA, als Amerika bei den Agrarzöllen entgegen zu kommen, zumal die EU ja selbst die höheren Zolleinnahmen bekäme. Schon heute erhebt Europa 69 Prozent Zoll auf Rindfleisch-Importe und 26 Prozent für Schweinefleisch-Importe. Den deutschen Verbrauchern werden so günstigere Lebensmittel vorenthalten. Die Zeche zahlen vor allem die kleinen Leute. Sie müssen mehr Geld für Nahrungsmittel ausgeben. Andererseits rechnen Politiker vor, dass der Hartz-IV-Satz nicht reicht.

In Deutschland ist erneut eine Hartz-IV-Debatte entbrannt. SPD-Politiker fordern ein staatlich subventioniertes solidarisches Grundeinkommen, das deutlich höher als der Hartz-IV-Regelsatz von 416 Euro liegt. Dafür müssten Langzeitarbeitslose etwa auf Kinder von Alleinerziehenden aufpassen oder Flüchtlinge betreuen. Wie beurteilen Sie den Vorstoß der SPD?

Sinn: Ich halte ihn für sinnvoll. Es ist besser, Hilfsbedürftige für das Mitmachen als das Wegbleiben zu bezahlen. Darauf hat das Ifo-Institut unter meiner Regie schon 2002 hingewiesen, noch ehe die Hartz-Reformen Schröders Wirklichkeit wurden. Für mehr Geld - also 300 bis 400 mehr als Hartz IV - könnte der Staat Leistungen einkaufen, die er sich sonst nicht leisten kann, weil sie von Privatfirmen viel teurer angeboten werden.

"Kommunale Ein-Euro-Jobs sind gut für den Staat wie die Betroffenen"

Warum unterstützen Sie den SPD-Vorstoß?

Sinn: Mit einem solidarischen Grundeinkommen, das ja im Grunde kaum etwas anderes ist als die Ein-Euro-Jobs, nur dass man jetzt von Zwei-bis-Drei-Euro-Jobs reden müsste, wird Sozialprodukt erzeugt. Menschen tun etwas, was sonst nicht getan würde, etwa in Berlin die Straßen schneller vom Schnee zu befreien. Solche kommunalen Jobs sind gut für den Staat wie die Betroffenen. Viele Leute können sich damit nicht mehr auf Hartz IV ausruhen. Sie können zur Abwehr einer Kürzung des Regelsatzes nicht mehr behaupten, ihnen würde keine zumutbare Arbeit angeboten. Zudem haben sie auch keine Zeit mehr für Schwarzarbeit.

In Ihrem neuen Buch geben Sie anders als früher auch tiefe Einblicke in den Menschen Sinn. So werfen Sie die Frage auf, ob Sie fast schon ein richtiger Bayer sind oder noch ein echter Westfale. Wie steht es?

Sinn: Ich bin in einem kleinen Ort in Westfalen aufgewachsen. Ich bin aber mit einer Bayerin verheiratet und habe insofern die bayerische Staatsbürgerschaft. Und meine Enkel reden im Gegensatz zu mir Bayerisch. Das färbt ab. Ich habe auch eine Lederhose geschenkt bekommen. Ich identifiziere mich mit den naturverbundenen und urigen Bayern.

Ihre westfälische Herkunft wird dennoch sehr deutlich. Westfalen sagt man ja eine gewisse Dickschädeligkeit nach. Mischen Sie sich deswegen so gerne in Debatten ein und beharren auf Ihrer Meinung?

Sinn: Ich will das nicht ausschließen. Aber ich mache das vor allem wegen meines Auftrags als Volkswirt, also um dem Volk zu helfen. Ich verkünde das Wissen, dass ich in meinem Beruf erworben habe. Dieses Wissen deckt sich eben vielfach nicht mit dem, was die Parteien wollen. Und da wird mir vorgeworfen, ich sei provokant. Das stimmt überhaupt nicht: Politiker sind provokant, weil sie die wirtschaftlichen Gesetze häufig ignorieren, ja leugnen.

Hans-Werner Sinn: „Wurde von NPD-Leuten bis zur Bewusstlosigkeit veprügelt.“
Foto: Hannibal Hanschke, dpa

Sie haben auch das Schicksal der kleinen Leute im Blick. Hat das etwas mit Ihrer Herkunft zu tun?

Sinn: Meine Eltern waren arm. Die Lehrzeit meines Vaters wurde unterbrochen, weil er als Jugendlicher in den Krieg eingezogen wurde. Er musste sich als Lastwagenfahrer durchschlagen.. Zum Glück hatten meine Großeltern ein Stück Land. Gemüse war also da. Wir hatten auch Schweine, Hühner und Kaninchen. So kamen wir zurecht. Aber es war eine Zeit der Armut. Man konnte nicht in einen Laden gehen und Kleidung kaufen. Es wurde genäht, was man brauchte.

Und Hans-Werner Sinn war ein Linker als junger Mann. Wie kam das?

Sinn: Ja, ich wurde Mitglied der Falken, der Sozialistischen Jugend Deutschlands. Ich bin aber auch in den CVJM, den Christlichen Verein junger Männer, eingetreten. Das waren die beiden Vereine, die es auf dem Dorf gab. Bei den Falken hat sich mein politisches Bewusstsein entwickelt. Wir wurden hier früh mit den Gräueltaten der Nazis konfrontiert. Mit 18 Jahren bin ich der SPD beigetreten. Als Student verließ ich die SPD bald wieder, war jedoch noch Mitglied des Sozialdemokratischen Hochschulbundes, bis sich die SPD 1971 von ihm abwandte und er seinen Namen in Sozialistischen Hochschulbund veränderte.

Gehören Sie heute einer Partei an?

Sinn: Seit einem halben Jahrhundert bin ich parteilos und ein Mann der Wissenschaft. Mit dem Alter wurde ich jedoch wesentlich konservativer und respektiere etwa die gesellschaftlich wichtige Rolle der Kirche. Ich mag es auch sehr, dass die Bayern ihr Kulturgut schützen. Mein Herz für die kleinen Leute habe ich nicht verloren.

Als junger Mann wurden Sie sich einmal sogar von  Rechten verprügelt.

Sinn: Ja, mit Leuten der NPD. Die Partei hatte eine Veranstaltung in Münster, wo ich studierte. Ich war damals 19 Jahre alt. Wir vom Sozialdemokratischen Hochschulbund haben da vorbeigeschaut. Ich wollte zum Podium gehen, das Mikrofon ergreifen und gegen die revanchistische und faschistische Politik der NPD Stellung nehmen. Da ergriffen mich starke Hände und zogen mich hinter den Vorhang. Ich wurde von den Häschern der NPD kräftig verprügelt, bis ich bewusstlos wurde. Als ich wieder aufwachte, standen Polizisten neben mir. Ich bekam eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs. Die Anzeige wurde aber niedergeschlagen. Durch die Prügel sei ich schon genug gestraft.

Clemens Fuest ist Sinns Nachfolger am Ifo-Institut. Lesen Sie hier ein Interview mit ihm. 

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