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Eva Vesterling zur Konjunktur: „Deutschland kann wieder zum Leuchtturm werden“

Interview

Chefin der Familienunternehmer: „Deutschland kann zum Leuchtturm werden“

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    „Wir haben jetzt die letzte Chance, mit einer wirtschaftsfreundlichen Regierung das Land auf Kurs zu bringen“, meint Eva Vesterling, die Chefin der bayerischen Familienunternehmer.
    „Wir haben jetzt die letzte Chance, mit einer wirtschaftsfreundlichen Regierung das Land auf Kurs zu bringen“, meint Eva Vesterling, die Chefin der bayerischen Familienunternehmer. Foto: Jan Greune, Die Familienunternehmer

    Frau Vesterling, in Israel und Gaza, in der Ukraine und zuletzt im Iran herrscht Krieg. Wie sehr kommt das Chaos in der Welt bei den bayerischen Unternehmen an?
    EVA VESTERLING: Die Unsicherheit für die Familienunternehmen hat sich mit der wachsenden Zahl an Auseinandersetzungen dramatisch Bahn gebrochen. Unsicherheit ist schlecht für die Märkte. Unsere Familienunternehmen sind enorm betroffen – auch wenn sich der Aktienmarkt für die Großkonzerne nicht wahnsinnig beeindruckt zeigt. Wenn wir im Land einen wirtschaftlichen Aufschwung erreichen wollen, brauchen die Unternehmen Planungssicherheit für Investitionen, Standorte und Mitarbeiter.

    Was macht den Familienunternehmen konkret zu schaffen?  
    VESTERLING: Konflikte beeinflussen die Ölpreise und die internationalen Lieferketten und damit im Zweifelsfall Kostenstrukturen und die Produktion negativ. Wenn zum Beispiel Bauteile und Komponenten nicht geliefert werden, können ganze Produktionszweige zum Erliegen kommen. Das noch größere Problem ist die Unsicherheit: Bei einer unsicheren Lage fragen sich die Unternehmen sehr genau: Rechnet sich die Investition? Wie hoch ist das Risiko? Das Kapital sitzt bei den Unternehmen längst nicht mehr so locker. Die Möglichkeit zu investieren, ist bei vielen stark geschrumpft, da in den letzten Rezessionsjahren das Kapital abgeschmolzen ist.

    Die Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten 2026 einen Aufschwung. Wie ist Ihr Eindruck, wenn Sie auf Ihre Mitgliedsunternehmen blicken?
    VESTERLING: Die letzten Jahre waren schwierig, und auch heute ist die Geschäftslage für viele angespannt. Doch wir haben die Zuversicht, dass es besser wird. Die Umfrage unter unseren Verbandsmitgliedern spricht Bände: Ganze 91 Prozent der Familienunternehmer trauen der neuen Bundesregierung zu, die Herausforderungen unserer Zeit besser zu meistern als die vorherige Ampelkoalition.

    Bei unserem letzten Gespräch vor einem Jahr haben Sie gefordert, dass die Union einen Kurs für Deutschland abstecken sollte, damit wir wirtschaftlich aus dem Tal der Tränen herauskommen. Ist das also gelungen?
    VESTERLING: Die Ampelregierung war ein Desaster für uns, sie hat große Frustration ausgelöst. Man hat die Unternehmen mit Berichtspflichten und politischen Zielen geradezu bedrängt. Es gab kaum mehr Raum, neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Die neue Bundesregierung vermittelt dagegen Signale, dass sie verstanden hat, dass es einen neuen Kurs für die Wirtschaft braucht. Und das ist auch gut so: Wir haben jetzt die letzte Chance, mit einer wirtschaftsfreundlichen Regierung das Land auf Kurs zu bringen. Das gerade beschlossene Investitionspaket ist ein erster Schritt. Unternehmen bekommen Anreize, zu investieren, weil sie die Kosten besser steuerlich absetzen können. Wir sehen auch, dass die Regierung ernste Schritte zum Bürokratieabbau unternimmt. Friedrich Merz hat uns zu den Familienunternehmer-Tagen in Berlin sein Vertrauen ausgesprochen. Das war psychologisch ein extrem wichtiger Moment, der über den Saal hinaus etwas auslöst. Es wird greifbar, dass wir es schaffen können, aus der Krise zu kommen.

    Sie sprechen von ersten Schritten, die die Regierung unternimmt. Das heißt, die Reformen genügen noch nicht?
    VESTERLING: Die Absenkung der Körperschaftssteuer im Jahr 2028 kommt zu spät, so viel ist absehbar. Bessere Abschreibungsmöglichkeiten helfen Unternehmen, die Kapital haben, um zu investieren. Es gibt aber viele Unternehmen, die nach zwei Jahren Rezession keine Polster mehr haben, die mit dem Rücken zu Wand stehen. Hier brauchen wir Sofortmaßnahmen wie die Senkung der Unternehmenssteuern für Personengesellschaften. Zu befürchten ist aber, dass die Rentenpläne des SPD-geführten Arbeitsministeriums die Entlastungen gleich wieder aufwiegen oder noch schlimmer, die Belastung für die Unternehmen sogar größer wird.

    Wo ist der Handlungsbedarf am größten?
    VESTERLING: Das Top-Thema mit dem größten Handlungsbedarf ist für 77 Prozent unserer Mitgliedsunternehmen die große Bürokratielast. 44 Prozent stöhnen unter den hohen Sozialversicherungsbeiträgen, 42 fordern eine Senkung der Unternehmenssteuern. 2028 ist dafür zu spät! Wir brauchen keine Reförmchen, sondern massive Strukturreformen in all diesen Themenfeldern.

    Immerhin legt die Bundesregierung auch ein Billionen-Paket für Verteidigung und Infrastruktur auf. Das müsste die Wirtschaft doch freuen, wenn neue Aufträge winken?
    VESTERLING: Angesichts der Bedrohung durch Russland ist es notwendig, in die Bundeswehr zu investieren. Das 500-Milliarden-Infrastrukturpaket aber ist allein nicht geeignet, Wachstum zu erzeugen. Wir befinden uns nicht in einer Konjunkturdelle allein. Die deutsche Wirtschaft erlebt eine Strukturkrise. Das Vertrauen in den Standort ist geschwunden. Diese Strukturkrise lässt sich nur lösen, wenn wir die Rahmenbedingungen verbessern. Der Reformstau muss aufgelöst werden. Unternehmenssteuern, Bürokratie und Energiekosten sind zu hoch. Für eine dringend nötige Reform der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sehen wir gar keine Ansätze. Die extremen Schulden belasten nachfolgende Generationen, die Zins und Tilgung zahlen müssen. Deutschland muss finanziell nachhaltig wirtschaften, deshalb sind wir für die Schuldenbremse eingetreten.

    Bei der Senkung der Energiekosten startet Schwarz-Rot mit einem gebrochenen Versprechen. Die Stromsteuersenkung beispielsweise für Handwerksbetriebe und Verbraucher bleibt erstmal aus. Wie schätzen Sie dies ein?
    VESTERLING: Die Anpassung der Stromsteuer wäre ein wichtiges Signal für den Wirtschaftsstandort Deutschland und die Energiewende. Sie senkt die Stromkosten für alle Verbrauchergruppen, fördert klimafreundliche Technologien und stärkt die Akzeptanz der CO₂‑Bepreisung. Daher: Die Bundesregierung muss jetzt liefern und die angekündigte Entlastung ab dem 1. Januar 2026 umsetzen. Wir begrüßen daher den Vorstoß von Markus Söder, durch Einsparungen bei den Sozialausgaben finanzielle Spielräume zu schaffen – nämlich beim Bürgergeld –, um die Stromsteuer wie angekündigt ab 1. Januar 2026 zu senken.

    Bei der Arbeitszeit hat man eine Reform angepackt. Statt einer täglichen gibt es eine wöchentliche Höchstarbeitszeit. Hilft diese Flexibilität den Unternehmen?
    VESTERLING: Die Einführung der Wochenarbeitszeit hilft Unternehmen und Mitarbeitern. Es geht hier nicht um Mehrarbeit, sondern um Flexibilität bei der Arbeitseinteilung. Die Reform erleichtert es allen, die Angehörige pflegen und Kinder betreuen. Die Reform ist aber auch hier nur ein erster Schritt.

    Das heißt, die Deutschen sollten doch wieder mehr arbeiten?
    VESTERLING: Einer Allensbach-Umfrage nach sagen 68 Prozent der Bürger, dass wir länger arbeiten müssen, um unseren Wohlstand zu sichern. Es gibt einen Reformkonsens in der Bevölkerung. Bei den Arbeitsstunden pro Bundesbürger liegt Deutschland unter den OECD-Ländern jedoch auf dem drittletzten Platz.

    Liegt dies aber nicht vor allem an der hohen Teilzeitquote?
    VESTERLING: Wenn Teilzeitbeschäftigte ihre Stundenzahl erhöhen könnten, wäre das eine Lösung gegen den Fachkräftemangel. Es ist ein Unterschied für Betriebe wie den unseren, ob Teilzeitbeschäftigte 20 oder 24 Stunden pro Woche arbeiten. Auch die steuerfreie Aktivrente hat Potential. Niemand muss über das Renteneintrittsalter hinaus 40 Stunden in der Woche arbeiten. Aber wenn er an einigen Stunden pro Woche sein Wissen einbringt und dafür 2000 Euro steuerfrei bekommt, sehe ich das positiv.

    Unterstützen Sie den Vorstoß, einen Feiertag abzuschaffen?
    VESTERLING: Es ist ein Baustein in der großen Fragestellung: Wie kommen wir dazu, mehr Produktivität zu erhalten? Ein Feiertag wird nicht all unsere wirtschaftspolitischen Probleme lösen, das ist für uns alle klar. Es braucht Wirtschaftswachstum und eine Debatte darüber, wie wir wieder wachsen können und wollen – mit Bürokratieabbau, Digitalisierung, steuerlichen Entlastungen, Mehr-Beschäftigung, zum Beispiel durch bessere Betreuungsinfrastruktur für Kinder, besserer Bildung. Dafür war der Vorstoß wichtig.

    Was kann ein Feiertag weniger bringen, wenn die Fabriken vieler Unternehmen wie beispielsweise in der Autoindustrie nicht ausgelastet sind?
    VESTERLING: Der Effekt gilt sicher nicht für alle Branchen gleichermaßen. Ein zusätzlicher Arbeitstag hat aber einen Nutzen für viele Betriebe, die zum Beispiel neue Dienstleistungen entwickeln und gut ausgelastet sind.

    Welcher Feiertag würde Ihnen vorschweben?
    VESTERLING: Alle haben ja mitbekommen, wie die Diskussion zu Fronleichnam gerade durchs Land gegangen ist. Die Debatte, das Nachdenken darüber ist gut, denn darum geht es: Wie kommen wir zu Mehr-Arbeit beziehungsweise Mehr-Produktivität?

    Wie stark treffen die US-Zölle von Donald Trump die Familienunternehmen?
    VESTERLING: Die Zölle sind eine unnötige Belastung der europäisch-amerikanischen Beziehungen. Auch bei größeren Unternehmen mit 2000 bis 3000 Mitarbeitern erlebe ich extreme Unsicherheit. Es gibt 6000 deutsche Unternehmen in den USA, das unterstreicht die Bedeutung der Handelsbeziehungen. Im Bemühen, eine Lösung mit den USA zu finden, sehen wir sehr wenig Engagement von Kommissionspräsidentin von der Leyen. Auch das Handelsabkommen Mercosur mit Südamerika lag zu lange brach und muss jetzt endlich finalisiert werden. Ich bin deshalb froh, dass sich Bundeskanzler Merz der Außenpolitik zugewendet hat. Alle Kommunikationskanäle müssen offengehalten werden.

    Ist Ihnen Europa zu verzagt, zu defensiv?
    VESTERLING: Wir müssen uns wieder stärker auf unsere Stärken in Europa besinnen und Dinge auch wieder einfach und mit Vertrauen in die Unternehmen regulieren. Europa kann zum Hafen für Kapital werden, das angesichts der Unsicherheit durch Donald Trump nicht in die USA fließt. Die Bundesrepublik kann mit der neuen Regierung zum Leuchtturm werden. Unsere Chancen sind besser als wir es lange gesehen haben.

    Zur Person

    Dr. Eva Vesterling, 47, ist Vorstand und Gesellschafterin der Vesterling Personalberatung für Technologie in München. Seit Ende Juni 2024 führt sie den bayerischen Landesbereich der Familienunternehmer.

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